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Philosophische Terminologie
psycMogiscli-soziologisclier AMcbt
Von
Ferdinand t^nnies
DIESE ABHANDLUNO ERHIELT DEN WELBY- PREIS (1898)
Leipzig
Veriag von Theod. Thomas
1906
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Hin«.
-74')
PUBLIC Lii,L<;vL\i I
374236 1
4 :
L
/ii» verbornm qui ignorant
facile in rafiociniis decipjunfnr.
ARISTOTELES,
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Herrn
Georg Hoffmann
o. 6. Prof. der semitischen Sprachen an der
Chr. Albr. Universität zu Kiel
I freundschaftlich gewidmet.
11
^ Digitizedby Google
yDds Beste wird nicht deutlich durch Worte."
GOETHE^
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Vorwort (1897).
Das Preisthema lautet (ins Deutsche fibertragen):
»Die Ursachen der gegenwärtigen Unklarheit und Verworrenheit
in psychologischer und philosophischer Terminologie, und die Rich-
tungen, in denen wir auf praktisch wirksame Abhülfe hoffen dürfen«.
Zur Erläuterung des Tliemas war hinzugefügt worden, was wir
gleichfalls hier übersetzen:
»Der Geber des Preises wünscht, daß allgemeine Rücksicht
genommen werde auf die Klassifikation der verschiedenen Weisen,
in denen von einem Worte oder anderem Zeichen gesagt werden
kann, daß sie »Bedeutung« haben und auf die entsprechenden
Unterschiede der Methode in Übertragung oder Auslegung von
»Bedeutungen«. Das Preis-Komitee wird die praktische Nützlichkeit
des ihm unterbreiteten Werkes als vorzugsweise wichtig betrachten«.
Verfasser gegenwärtigen Aufsatzes hat im Thema selber und
in den Erläuterungen die Aufforderung erblickt, das Wesen von
Zeichen im allgemeinen, und von Worten im besonderen, von neuem
zu untersuchen. Er hielt sich um so mehr dazu berechtigt, als
mehrere der einflußreichsten philosophischen Autoren früherer Zeit,
in der gleichen Absicht auf Beseitigung terminologischer Unklarheit
und Verworrenheit, regelmäßig ebenso für geboten hielten, in ein-
gehender Weise Wesen und Ursprung von Wortbedeutungen über-
haupt, darzustellen.
Der gegenwärtige Autor glaubte aber, durch seine Bestimmung
und Einteilung des Begriffes »Wille«, insonderheit durch Unter-
scheidung der Formen eines sozialen Willens, eine verbesserte
Basis für solche Darstellung zu schaffen.
Die »praktische Nützlichkeit« dieser Leistung sieht er — außer-
dem, daß jede Vertiefung in bedeutsame Probleme für nützlich
gelten darf — darin, daß sie dazu beitragen soll, das Ziel selber
zu fördern: die Einigung über Begriffe und über die Kunstausdrücke,
mit denen sie bezeichnet werden. Denn zu diesem Zwecke hält er
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— VI —
für unerläßlich y daß den Denkern , und zumal den angehenden
Denkern, ein klares und starkes Bewußtsein erzeugt oder befestigt
werde ihrer Macht über die Materie, ihrer freien Verfügung, nicht
allein über Laute und andere Zeichen zur Notierung, sondern
auch über Ideen zur Bildung von Baffen. Wegen Dunkelheit
und Unzulänglichkeit des Begriffes, den man mit dem Worte »Wille«
zu verbinden pfl^ wird aus diesem »der Willkür Tür und Tor
eröffnen« r^^dmäßig die absurde Folgerung gewonnen, grundlose,
d. h. vernunftwidrige Laune werde damit zur Herrin gemacht Als
ob, wenn ich jemandem freie Verfügung über ein großes Ver-
mögen gebe, ich ihn dadurch anweisen wollte, sein Vermögen zu
verschwenden oder auf törichte Weise anzulegen. Ich gebe ihm
allerdings das Recht dazu, aber ich gebe ihm zugleich das Redit
zur weisesten Verfügung, Einteilung, Bestimmung jedes Stückes
davon^ und wenn ich auf seinen Willen Einfluß habe, so werde ich
ihn lehren, seinen deutlich vorgestellten Zwecken gemäß über
seine Mittel zu disponieren; kann ich aber sogar auf seine Zweck-
setzungen einwirken, so werde ich ihn lehren, daß er sich vornehme,
so sehr als möglich auf menschlich edle Art zu leben und nicht
auf den sinnlichen Genuß oder auf eitle Ehren sein Streben gerichtet
zu halten. Ebenso ist die Freiheit des Denkers zu verstehen. Es
muß vorausgesetzt werden, daß er seinen Willen dahin bestimmt
habe, Wirklichkeit in ihrer Beschaffenheit und in ihrem Zusammen-
hange zu erkennen, oder es muß ihm dieser als sein (wenigstens)
nächster Zweck klar gemacht werden. Besitzt er aber diese Klar-
heit, so steht alsbald, anstatt einer lustigen Schwelgerei, eine überaus
schwierige Aufgabe vor seinen Augen: auf die sachlichste, nütz-
lichste, angepaßteste Art soll er über die gewaltigen Mittel des Ge-
dankens verfügen, die besten, d. h. jenem Zwecke am vollkommensten
entsprechenden Begriffe soll er gestalten, und die brauchbarsten,
bequemsten, leichtest- verständlichen Zeichen soll er prägen und
jenen Begriffen anhängen. Nicht jeder und nicht der Lehrling oder
Geselle wird sich so hoher Kunst gewachsen fühlen, und ganz eigent-
lich gelten auch in diesem Gebiete die Goethe'schen Maurer-Verse:
»Wer soll Lehrling sein? — jedermann!«
»Wer soll Geselle sein? — der was kann!«
»Wer soll Meister sein? — der was ersann!«
Sie alle aber müssen wissen, daß sie einem großen Bunde angehören,
der durch alle Völker geht, der Gelehrten-Republik, und daß
in dieser, für diese zu wirken, in ihr verstanden, anerkannt zu werden.
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— VII —
Nachfolge und Mitarbeit zu finden, höchstes Ziel der Meislerschaft
immer gewesen ist So fühlt alsbald der individuelle Wille auf
der Höhe seines Machtgenusses und Känstlerstolzes, einem mäch-
tigeren, Achtung heischenden sozialen Willen sich gegenüber, der
sdber sich bildend in einer Ratsversammlung, in der die Stimmen
der erlesensten Meister das größte natürliche Gewicht haben, seines
Amtes der Sonderung und Auslese waltend, mit enisdieidender
Souveränetat bestimmt, was allgemeine, was dauernde, was allge-
meine und dauernde Geltung haben soll.
Wie sehr wir noch in den Anfängen wissensdiaftlicher Erkenntnis
vom Menschen stehen — um die es bei aller Psychologie und
Philosophie im modernen Sinne wesentlich sich handelt — läßt sich
daran ermessen, daß so außerordentlich wenig über ihre Ziele und
Wege Klarheit und Übereinstimmung angetroffen wird. AUenfadls
wird zugegeben — wenn auch selten danach gehandelt — daß
nicht aus Worten philosophiert werden dürfe, sondern das Wort
ein an sich gleichgültiges Zeichen sei, dessen Wert ganz und gar
dadurch bestimmt wird, daß es zwedcmäßig gebildet und daß es zur
Err^^ng der gewollten klaren und deutlichen Vorstellung oder —
im eigentlichen, dem abstrakten Denken — zur Erinnerung an die
eigene, fremde oder gemeinsame Tätigkeit der Begriffsbildung und
dadurch an den Inhalt solches B^jiffes diene. Viel weniger erkannt
wird die Möglichkeit und Bedeutung der willkürlich-freien Begriffs-
bildung selber, oder sie wird mit der bloßen Determinierung einer
Wortbedeutung verwechselt Und doch liegt hier der Springqudl
für die Bewältigung der größten Probleme. Der Begriffsstoff ist
das Eisen, das wir als Denker zu schmieden haben. Mannigfache
Geräte müssen daraus zusammengefügt werden: zum Graben, zum
Pflügen, zum Kämpfen, zum Schmieden selber. Das wissenschaft-
liche Denken ist nicht von ungefähr. Es will in harter Arbeit er-
lernt, mit zäher Ausdauer, in heißem Ringen, geübt, seine Regeln
und Methoden wollen erkannt werden. Natürliche Begabung wird
erfordert wie zu jeder anderen Kunst, aber auch der Fähigste wird
in die Irre gehen, wenn er von dem Wahne sich leiten läßt, oder
darin bestärkt wird, als ob Philosophie durch lebhafte Anschauung,
Fantasie und poetische Rede, anstatt durch genaues und strenges
Denken ihren Charakter empfangen müsse.
In der Meinung aber, daß ein redliches Bemühen, auch wenn
man sein Gelingen nicht anerkennen sollte, um tiefere B^jündung
dieser Erkenntnisse, wenigstens als guter Wille geehrt zu werden
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— VIII —
verdiene, wagen wir, uns die Aussprüche eines berühmten Vorgängers
zu eigen zu machen: >The consideraiion then, meint JOHN
LOCKE (Essay on human understanding IV, 21, 4), 0/ ideas
and words, as the great instruments 0/ knowledge, makes no
despicable pari 0/ thetr contemplaüon, who would take a view
0/ human knowledge^ in the whole extent of iL And perhaps,
tf they were disHnctly weighed and duly constdered, they would
afford US another sott of logick and criHck than what we have
been hitherto acquainted wüh<ii\ Und auch was den Nutzen
der Erörterung angeht, dürfen wir mit ihm sagen (ibid. III, 5, 16):
»/ shall imagine I have done some service to truth, peace
and learning, if by any enlargement on this subject, I can
m4ike men reflect on thetr own use oflanguage; and give theni
reason to suspect, that, since it is frequent for others, it may
also be possible for them, to have sometimes very good and
approved words in their mouths and writings, with very uncer-
tain, little or no signification. And therefore, it is not un-
reasonable for them, to be wary herein to themselves, and not
to be unwilling to have them examined by others^^.
^ »Mithin macht die Betrachtung von Ideen und Wörtern, als der groflen
Werkzeuge der Erkenntnis, keinen verächtlichen Bestandteil in den Gedanken derer
aus, die eine Ansicht der menschlichen Erkenntnis, in ihrer ganzen Ausdehnung
gewinnen wollen. Und vielleicht würden sie, wenn deutlich erwogen und gehörig
untersucht, uns eine andere Art von Logik und Kritik schaffen als die uns bis-
her bekannt gewordenen c.
^ »Ich werde denken, dafl ich der Wahrheit, dem Frieden und der Bildung
einen Dienst geleistet habe, wenn ich, durch Verbreitung über diesen Cjegenstand,
die Menschen veranlassen kann, über ihren eigenen Gebrauch der Sprache nach-
zudenken; und ihnen Grund zu dem Verdachte gebe, dafl, wie es so häufig bei
anderen sich findet, auch sie selber möglicherweise manchmal sehr gute und aU-
gemein-gebilligte Wörter im Munde fähren und in die Feder nehmen, die doch eine
sehr unsichere, geringe oder gar keine Bedeutung haben. Und darum ist es nicht
unvernünftig, wenn sie darin iür sich selber behutsam und nicht abgeneigt sein
wollen, ihren Wortgebrauch der Prüfung durch andere zu unterwerfen».
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— IX —
Vorrede (1906).
Äußere Anregung und äußerliche Beweggründe haben den
Verfasser dieser Schrift bewogen, sie in ihrem ursprünglichen Texte
herauszugeben, nachdem sie zuerst (vor etwa 7 Jahren) in einer
englischen Übersetzung, die im Mind Vol. VIII N. S. No. 31, 32;
Vol. IX N. S. No. 33 gedruckt wurde, dem gelehrten Publikum ist
vorgelegt worden. Ich habe mich lange mit der Absicht getragen,
diesen Text einer ganz neuen Bearbeitung zu unterwerfen, die den
Umfang leicht hätte verdoppeln mögen; denn ich wußte wohl, daß
viele der von mir vorgetragenen Sätze eine eingehendere Begründung,
auch die Auseinandersetzung mit den Lehren anderer, wie sie
in hervorragenden Schriften niedergel^ sind^ wünschenswert er-
scheinen lassen. Meine Schrift war in kurzer Zeit entstanden, und
darf für sich geltend machen, daß sie einigermaßen aus einem
Gusse ist; auch kann ich — was sich vielleicht von selbst ver-
stehen sollte — alle Gedanken darin als meine eigenen in An-
spruch nehmen. Aber nicht allein darum habe ich geglaubt, sie
aus dem Schreine, in dem sie so lange geruht hat, hervorholen zu
dürfen. Sondern mich hat vor allem die große Wichtigkeit des
Gegenstandes dazu ermutigt, eine Wichtigkeit, die im Laufe dieser
9 Jahre — und ich freue mich, daß ich ein wenig dazu mitwirken
^ Ich weise ausdrücklich darauf hin, dafi ich nicht Sprachforscher, auch
nicht Sprachphilosoph bin ; es wäre mir aber allerdings erwünscht, meine Theoreme
zu denen dieser verdienstvollen Denker in Beziehungen zu setzen. Das grofle Werk
WUNDT'S Über die Völkerpsychologie in der Sprache ist inzwischen er-
schienen, und daran hat sich mit »Grundfragen der Sprachforschungen (Strasburg 1901)
B. DELBRÜCK angeschlossen, dessen Ausführungen sehr lehrreich sind, gruppiert
um die Entgegenstellung Herbart'scher inteUektualistischer und Wundt'scher volunta-
ristischer Psychologie. Delbrück findet (S. 14) diese (von mir zuerst eingeführten)
'Schlagworte* besonders treffend. — Erwähnen möchte ich hier auch den mir durch
die englische Übersetzung (»Semantics€\ London 1900) bekannt gewordenen Essai
cU Semantiqui von MICHEL BRJ^AL (engl, mit Voirede und Anhang von J. P.
Postgate).
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— X —
durfte — mehr und mehr, in weiteren Kreisen, erkannt und aner-
kannt worden ist Vor allem ist eine Frage, die ich im Zusammen-
hange (damit angerührt hatte, seitdem lebhaft in FluB gekommen:
die Frage der Universalsprache. Es ist dies in ausgezeichneter
Weise das Verdienst einiger Franzosen, unter denen ich den treff-
lichen Kenner der Leibnizischen Schriften und scharfsinnigen mathe-
matischen Logiker, Herrn LOUIS COUTURAT, rühmend hervor-
hebe. Um seine Bestrebungen richtig zu würdigen, muß man
immer der Tatsache eingedenk sein, daß es ihm zunächst und in
erster Linie nur darum zu tun ist, die Idee einer »internationalen
Hilfssprache« ^ zur Geltung zu bringen: in diesem Sinne wendet
er sich an die Akademien und gelehrten Gesellschaften, die im
Jahre 1900 eine internationale Assoziation gebildet haben, in
Verbindung mit einer schon erklecklichen Zahl von Gelehrten aller
Länder, unto* denen in deutscher Sprache HUGO SCHUCHARDT
schon seit vielen Jahren im Sinne dieser Idee gewirkt hat^ nicht
minder tätig ist dafür WILHELM OSTWALD», der wie>ir hoffen
mögen, nachdem er sein Lehramt niedo-gelegt hat, einen Teil seiner
kostbaren Muße dieser großen Aufgabe widmen wird. In Verbin-
dung mit dem Mathematiker Dr. L. Ll&AU hat inzwischen Dr. COU-
TURAT eine große ^Histoire de la langue universelle^ (Paris,
Hachette 1903 XXXII— 576 S.) verfaßt und herausgegeben — ohne
Zweifel ein verdienstvolles Werk. — Aber auch in Sachen der philo-
sophischen Terminologie ist um die Wende des Jahrhunderts
es nicht still geblieben. Erschienen ist 1899 zuerst, dann in zweiter
Auflage umgearbeitet 1904, das »Wörterbuch der philoso-
phischen Begriffe« von Dr. RUDOLF EISLER (Berlin, E. S.
Mittler & Sohn), das freilich zu ausschließlich aus bloßen Zitaten
besteht; aber der emsige Sammlerfleiß, der darin niedergelegt wurde,
ist sicherlich alles Lobes wert Größer entworfen und ausgeführt
ist das der Vollendung nahe amerikanische »Dictionary of philo-
sophy and psychology, giving a terminology of English, French,
^ Eine kleine Broschüre dieses Titels — ins Deutsche übersetzt von W.
Ostwald — ist von Veit & Co. in Leipzig verlegt (1902) und wird den Inter-
essenten auf Verlangen gratis und franko zugesandt.
* „Weltsprache und Weltsprachen" 1894. Vgl. Rapport sur h mowvimeni
iendani a la creatian d^une langue auxiliaire internationale arttficttUe» Paris 1904
(nicht im ELandel) — ein Bericht an die Wiener Akademie der Wissenschaften.
8 Vgl. „Die Weltsprache" (Stuttgart, Franckh 1904) 16 SS. (10 Pfg., lo
Stück 80 Pfg.)
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— XI —
German and Italian^ Ed. by J. M. BALDWIN (3 Vols. in 4
parts) 1903 — 1806. Endlich aber ist auch Frankreich in dieser Rich-
tung tätig. Die Soci6t6 franfaise de Philosophie, an deren Spitze
die Herren XAVIER L^N und ANDR1& LALANDE stehen, gibt in
ihren Bulletins ein » Vocabulaire technique et critiqv^ de philoso-
phier heraus, woran mit großer Sorgfalt gearbeitet wird, und schon ist
es bis nahe an die Hälfte fortgeschritten; es ist mir eine Genugtuung,
daß ich, als Deutscher neben Herrn EUCKEN, daran, wenn auch nur
durch kleine Anm^kungen, mittätig sein darf. Unter den Leitern
dieses Unternehmens ist auch Herr L. COUTURAT. Auch hier werden
die Termini nach Möglichkeit in den 4 Sprachen wiederg^eben;
zugleich aber am Schlüsse jedes Artikels eine oder mehrere »inter-
nationale Wurzeln«, gebildet nach den R^eln des Esperanto. Den
Bemühungen des Herrn COUTURAT um die Anerkennung des Prin-
zips einer internationalen Hilfssprache ist es vielleicht schädlich,
daß er zu gleicher Zeit persönlich für die merkwürdige Erfindung
des russischen Arztes Dr. ZAMENHOFF (Warschau), das Esperanto,
sich engagiert hat. Es würde hier zu weit führen, den Wert dieser
Kunstsprache zu diskutieren; auch fühle ich mich dazu keineswegs
kompetent. Es muß aber anerkannt werden, daß sie in kurzer Zeit
sehr bedeutende Fortschritte gemacht hat, und durch ihre einfachen
und klaren R^eln sich stark zn empfehlen scheint Ich selb^ stehe,
so lebhaft ich auch für die Idee einer internationalen Hilfssprache
mich interessiere, außerhalb der Parteinahme. Aber ich habe noch
nicht die Überzeugung gewonnen, daß meine im Jahre 1897 (in
dieser Schrift) gestellte Prognose unrichtig sei — eine Prognose
nenne ich es, denn ich halte strenge davon getrennt, was ich etwa
wünschen, und wenn ich zur Erörterung d^ Sache berufen wäre,
raten möchte. Meine Prognose ging und geht dahin, daß die
Universalität der englischen Sprache, als der Sprache des internatio-
nalen Verkehrs und Geschäftes, unaufhaltbar und gesichert ist; daß
aber die Gelehrtenrepublik, auch aus terminologischen Gründen,
nicht mit der englischen Sprache zufrieden sein, daß sie am ehesten,
da das Bedürfnis des. Weltverständnisses immer stärker sich fühlbar
machen muß, zur lateinischen Sprache zurückkehren wird. Der
Handel werde — so war und ist meine Meinung, — neben den
nationalen Sprachen, mehr und mehr englisch; die Wissen-
schaft und Philosophie werde, gleichfalls neben den nationalen
Sprachen, mehr und mehr wieder lateinisch sprechen. Ich habe
schon an anderer Stelle (vgl. Additamente II S. 103) darauf, als auf
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— XII —
ein merkwürdiges Zusammentreffen hingewiesen, daß kaum ein Jahr
vergangen war, seitdem ich diese Prognose aufgestellt hatte, da ging
von der Berliner Akademie der Wissenschaften die Anrufung aus,
mit den übrigen gelehrten Gesellschaften in eine Verhandlung über
die Wiederherstellung des Latein, als interakademischen Mittels der
Verständigung, einzutreten. — Ich leugne nicht, daß mit meiner
Prognose eine Befürwortung verbunden war; jetzt aber trenne ich sie
gänzlich davon: meine (ohnehin unmächtige) Befürwortung lasse
ich fallen; die Prognose halte ich fest
Was aber die Leitgedanken dieser Abhandlung betrifft, so wird
dem geneigten Leser, der die Grundlegung der philosophischen
Soziologie, wie sie in meinem Werke »Gemeinschaft und Gesellschaft« ^
enthalten ist, sich zu eigen gemacht hat, nicht entgehen, daß die
g^enwärtige Schrift so zu sagen eine Tochter jenes Werkes ist,
nnd mehrfache Anwendungen darin vorgel^er und entwickelter
B^ffe enthält — Dies gilt weniger von den später geschriebenen
»Additamenten«, die, unmittelbaren Anlässen entsprungen, vorzugs-
weise den Verdiensten anderer gerecht werden wollen.
Übrigens, wenn man wieder liest und erwägt, was man vor
9 Jahren geschrieben hat, so kann es nicht leicht anders sein, als
daß man — auch wenn man einstweilen nicht an eine völlig neue
Bearbeitung des G^enstandes denken kann — manche Sätze ver-
ändern, einige streichen möchte, aus allerlei Gründen. Nach ein-
gehender Überlegung habe ich auch hierauf verzichtet, und mich
auf den Satz gestellt: Quod scripsi, scripsi. So habe ich nur ganz
geringe stilistische Änderungen vorgenommen, die nicht der Er-
wähnung wert sind. Man wird daher vielleicht einige Äußerungen
in dieser Schrift finden, die ich wortwörtlich noch zu vertreten kaum
gesonnen bin. Indessen mögen sie wenigstens eine Erörterung
und Kritik verdienen, die möglicherweise den Sachen, an denen
mir gele:en ist, förderlich sein werden. Ich werde inzwischen fort-
fahren, auf meine Art der Wahrheit nachzugehen und dankbar da-
für zu sein, wenn mir auf meinen ziemlich einsamen W^fcn hin
und wieder eine Ermutigung zu Teil wird. .
^ Leipzig, O. R. Reisland, 1887. Anastatischer Neudruck 1905.
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— XIII —
Übersicht
I. Zeichen und Wörter. — Wörter und Begriffe.
I. Definitioneii. 2. Natürliche Zeichen — ideeller Fall der Identität
— Organismus und Seele. 3. Sympathie — Intuition — Werden von Zeichen.
4. Nachempfindung — Schlußfolgerung — Vermischung von Sache und Zeichen.
5. Äufiere Bewegung — Zeichen von Empfindung und GefUhl 6. Ähnlichkeit —
Gleichheit — Bild natürliches Zeichen des Originales. 7. Teil natürliches Zeichen
des Ganzen. 8. Stück Zeichen eines anderen Stückes — Zeichen ist, was als
Zeichen wirkt — Ideenassoziationen — Lokalzeichen — Urteil. 9. Natürliche
Zeichen im Naturverlaufe oder von Menschen aus — letztere als Zeichen unwill-
kürlich oder zu Zeichen bestimmt. 10. Unwillkürliche Zeichen — Ausdrucksbe-
wegungen des Menschen, ii. Ausdrückliche Zeichen — Mitteilung. 12. Gebrauch
gemachter Zeichen — Symbole. 13. Gegenseitiges Verständnis — Geberden-
sprache — Lautsprache. 14. Künstliche Zeichen — durch menschlichen
Willen — natürliche Zeichen, die den Sprachlauten zu gründe liegen. 15. Be-
deutung des Wortes — Wille eines einzelnen Menschen — das Verstehen — An-
strengung. 16. Wörter als soziale Zeichen — sozialer Wille. 17. Ankündigung
des Unterschiedes im sozialen Willen. 18. Bedeutung als Gleichung. 19. Ver-
bindung von Namen und Sache für wirklich gehalten. Aberglaube. Die richtigen
Namen. 20. Verschiedene Sprachen — Dialekte — Sondersprachen. 21. Gemein-
sames Ideensystem als Mitbedingung gegenseitigen Verständnisses — guter Wille.
22. Zeichen als Ideen — Lernen — Gewohnheit — das Natürliche. 23. Der
Geist der Sprache ist sozialer Wille. 24. Definition des Individualwillens. 25. Wille
als Ursache. 26. Vorausfühlen — vorausdenken — Grundzweck — Endzweck.
27. Fernere Klassifikation der Willensformen. 28. 6 Klassen. 29. Anwendung auf
Zeichen. 30. Analogie des sozialen Willens. 31. Sitte — Gesetz. 32. Wesen
der Sitte. 33. Sitte als Wille und als blofie Übung. 34. Herkommen — Brauch.
35. Sprachgebrauch — Wille in Gewohnheit. 36. Gewohnheitsrecht — Gesetzgebung.
37. Charakteristik des Gegensatzes. 38. Sprachgebrauch im Gewohnheitsrecht. 39. Ge-
setzgebung und Definition. 40. Freie Verfügung über den Sprachstoff. 41. Sprach-
gesetzgebtmg. 42. Wirkung der Wissenschaft auf die Sprache — wissenschaftlicher
Sprachgebrauch. 43.£ntwicklungindividualer und sozialer Gewohnheit. 44. Natürliche
Harmonie — Ursprung der Sprache. 45. Überlieferung durch Lehre — Autorität
— Glaube. 46. Wort und Glaube — Vorbedeutung und Mitbedeutung. 47. Kunst
des Redners. 48. Poetische Sprache — Metaphern u. a. Redefiguren. 49. Gegen-
satz von Volksglaube und Wissenschaft. 50. Einverständnis und Verabredung ^-
Interpretation. 51. Verabredete Zeichen — verabredete Sprache — Schriftzeichen —
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— XIV —
Derivatiyzeichen — konventionelle Rede und Lüge. 52. Konventionelle Sprache
— Weltsprache — GeschSftssprache. 53. Freier sodaler Wille — Wissenschaft —
Terminologie -» Allgemeinvorstellnngen und Begri£fe — allgemeine und spezielle
Namen — praktisches und theoretisches Interesse — Begriffsbildungen. 54. Ab-
strakte Begriffe — ihre Gegenstände — Maßstäbe — Vergleichung — Erkenntnis
der Verhältnisse. 55. Definitionen — nicht Explikationen des Sprachgedrauchs —
nicht blofi, was ein Name bedeuten soll — Beschreibung des ideellen Gegen-
standes. 56. Andere Zeichen. 57. Analogie des Geldes — gemünztes und Papier-
geld — Geldsurrogate — die Banknote. 58. Mannigfidtigkeit von Bedeutung —
subjektive und objektive Bedeutung. 59. Gestaltungen des sozialen Willens in
bezug auf die Bedeutung von Wörtern — Bedingungen des Verständnisses —
Schriftsprache — Umgangssprache — FeiertagsgefUhle. 60. Beurkundung — Kanzlei-
stil — Lapidarstil. 61. Korrespondenz der Stufen — Balance des sozialen und
individualen Prinzips — Phrasen — Auslegung — Begriffe — Kommentare
62. Fortsetzung der Geld -Analogie. 63. Wissenschaft als Form des sozialen
"^^ens — Zeichen als Mittel — freie Übereinstimmung.
n. Philosophische Terminologie und ihre neuere Entwicklung.
64. Zustand der philosophischen Terminologie. — 65. Die Ursachen. — 66. All-
gemeine Hemmnisse und historische Bedingungen. — 67. Alte Klage. — Bruch
mit der Überliefenmg. — 68. Physik und Chemie und ihre Terminologie. —
Stellung der Naturwissenschaften zu Metaphysik und Logik — deren eigene Ent-
Wickelung — Ausdehnung des w&senschaftlichen Denkens — Mechanik — more
geotmtrico — Definitionen — Meinung, daß dadurch der meiste Streit verschwin-
den müsse — die Philosophie der Aufklärung — Anklagen gegen die Sprache
•— Beziehung auf die 3 Begriffe des sozialen Willens -* erste Anklage — Klassi-
fikation der Organismen — Realismus und Nominalismus — künstliche Systematik
und natürliche Ordnung — Konstanz der Arten — Biologie — künstliche Namen.
69. Zweite Anklage — moralische Meinungen und Begriffe — Billigung und Mißbüli-
gnng — Verstoß gegen die Sprache als moralischer Frevel — ^ sozialer Wille der Öffent-
lichkeit — eigene Urtole jeder Gruppe — Anwendung der Namen — Bemühun-
gen der Philosophen — Parteiansichten in den Systemen — diese selber sozialer
Wüle — Interesse der Gesellschaft und des Staates an rein wissenschaftlicher Be-
arbeitung der Moral — 70. Drittes Argument ^- metaphorische Ausdrücke —
Wechselwirkung zwischen Bezeichnungen für j^ysische und psychische Vorgange
— Bildersprache in der Psychologie. — 71. Historische Ursachen — Untergang
der europäischen Gelehrtensprache — die nationalen Schriftsprachen -— Freimeister-
tum der Philosophie — die deutschen Universitäten — • Aneignung der rationali-
stischen Prinzipien. — 72. Das System Wolfs in lateinischer Sprache — Kant —
Verfidl der Gelehrtensprache im 19. Jahrhundert ^- die kleinen Nationen —
Nachteile und Vorteile. — 73. Verfall der Schultradition — Annäherung der
Philosophie an common sense — Schlagwörter — Vereinfachung der Aüsdrucks-
weise — Locke über Ge&hren unterhaltender Abhandlungen — auch heute Psjrcho-
logie vidfiich Tummelplatz des Witzes und der Phantasie — Wiederholung des
Kampfes gegen die Universitätsphilosophie des 19. Jahrhunderts in Deutschland
— F<^en ftir die Terminologie — Urteil Euckens — seither neue Belebung der
Digitized by LjOOQIC
— XV —
Philosophie durch die GeisteswisseDschaften — Terminologie der neueren Psycho-
logie. — 74. Hemmnisse in der Verschiedenheit des Denkens selber — Gleich-
heit der Sprache ba verschiedenem Denken an sich möglich — aber nicht, wenn
der Gegenstand, den A bezeichnet, von B nicht gekannt oder nicht anerkannt
wird. — 75. Geschichte der Terminologie als Reflex der Geschichte der Philo-
sophie — die mechanistische Philosophie — Descartes — Klare und deutliche
BegrÜTe — Ausscheidung des Nur-Denkbaren — des Möglichen — Spott über die
scholastischen Begriffe — die Lebenskraft — Kraft — Energie — vitalistische
Strömung in jüngster Zeit — Opposition gegen mechanische Deutung der Energie
— richtige Einsicht und falsche Voraussetzung — die Welt erklärbar? — Hume
— Spinoza — ratio = causa — das Unendliche — mechanische Bewegung allein
real? — Bewegung als Größe — regulative' Idee. — 76. Kritik des absoluten
Wertes der mechanischen Prinzipien — Auflösung der Wirklichkeit in Dinge —
Trennung von Subjekt und Objekt — naives Denken — Heflexion — wissen-
schaftliches Denken — kritische Besinnung gegen mathematischen Verstand —
Dasein der Welt als einziger Prozefi — Entropie — Erklärung als Beschreibung.
77. ICritik des mechanistischen Rationalismus durch das ganze Jahrhundert —
tieferes Studium des Lebens — philosophische Folgerungen — siegreiche Ideen —
Bewegung, Veränderung, Werden — Leben als Reproduktion und Zerstörung zu-
gleich — Wirklichkeit als Möglichkeit — regenerierte aristotelische Begriffe.
78. Bedeutung für Psychologie — gegen die cartesianische Auffassung — Entwick-
lungstheorie — Identität von Leib und Seele. — 79. Descartes und seine Gegner
— Assoziations-Psychologie — Herbartianer — Klippe der Gefühle. 80. Unbe-
fangene Selbsterkexmtnis — Abstammungslehre — Gefühl und Leben. — 81. Streit
der Terminologien — Schwierigkeit — Intelligenz Wesen der Seele? -— Be-
griffe, die das Leben bezeichnen, kommen nicht zu gehöriger Geltung — 82. Lehre
vom Willen — Einheit des Lebensgefühls — Scheidung — Funktionen — Be-
deutungen des Wortes Wille im Sprachgebrauch — Wille und Intelligenz —
Instinkt — gemeinsames der Ideen — Beziehung auf die Zukunft — mannigfeiche
Auffassung im Anschlufi an die Sprache. — 83. Was Wille sei? — Zustand, den
jeder kennt? — keine Definition möglich? — James und Wundt — die Physio-
logen — Huxley und die Materialisten — Unterschied von Identitätspsychologie —
die einzig wichtige Aufgabe — eigene Begriffsbildung — individualer und sozialer
Wille. — 84. Nebenursachen — Beschaffenheit der Gegenstände der Psychologie
— praktische Interessen — Verachtung der Philosophie -^ Abschaffung der Meta-
physik — eigentlicher Sinn der »Ontologie« — Wolf — Kants Kritik — Hegel
— das Allerheiligste — die drei System-Philosophen nach Hegel — 85. Hem-
mungen des Fortschritts — Münchener Reden. 86. Gespensterfiurcht — unklares
und falsches Denken — Verantwortlichkeit. 87. Philosophie im höheren Unter-
richt und im öffentlichen Leben. — Vorlesungen — Geschichte der Philosophie —
Autorität? — Philosophie als Vagabundin.
in. Die Richtungen der Reform.
88. Hauptrichtung. 89. Internationaler Charakter der Philosophie. 90. Welt-
verkehr — Kongresse — Ausgleichung. 91. Weltsprache — wissenschaftliches Be-
dürfiiis — Wilkins — Descartes — Leibniz. 92. Utopische Ideen. 93. Rich-
tungen des Strebens — geometrische Darstellung von Begriffen. 94. Beispiele —
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— XVI —
Prototypc. 95, Autoritative Stelle — eine internatioiiale Akademie. 96. For-
schung und Lehre — Schrift- und Gedankensprache. 97. Das philosophische Sy-
stem — Modellbegriffe. 98. Andere Utopien realisiert — 4ntemationale Probleme
— soziale Frage — Statistik — Wirkung auf Bestimmung von Begriffen. 99. Hoff-
nungen und Fortschritte.
Additaxnente.
I. (Resum6.) Streit über Worte — Verabredungen, Vertrage — die
Sprache — Sprachinseln — die Sachen — das Bedürfnis — die wirklichen Diffe-
renzen — Psychologie und Soziologie — Begriffe in den Wissenschaften — Wir-
kung auf Phantasie — Metaphern — Unterscheidung empirischer und rationaler
Begriffe -* Mafistfibe — soziale Gültigkeit — Unterschied des Bildens und Be-
nennens von Begriffen — nichts zu entdecken, sondern zu statuieren — Anregun-
gen von aufien — Herbeiführung eines Reiches der Ordnung, ü. (Auseinander-
setzung mit einer Kritik.) Die Idee einer allgemeinen Reform der Ausdrucks-
weise — Bedeutung für Wissenschaft — Schädlichkeit beabsichtigter Mifiverstand-
nisse — unfreiwillige — Wert pädagogischer Einflüsse — Bedeutung und Aus-
druck — die Analogie des Geldes gerechtfertigt — Metaphern und Analogien —
Gefahren — der ernste Wille zum Verstehen — das Reale — eine internationale
Ratbehörde — die allgemeine Sprache. III. (Was ist Bedeutung?) — Sinn,
Bedeutung, Hochsinn — Dienstbarkeit des Gedankens — unentwickelter Zu-
stand der Sprache — plastische Sprache — Dunkelheit — Deutungen — Über-
tragungen — die Schemata — das Warum? und die Erziehung — Schaffen,
Denken, Leben — der Planet, das Sonnensystem, der Kosmos.
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1. Wir nennen einen Gegenstand (A) Zeichen eines anderen
O^enstandes (B), wenn die Wahrnehmung oder Erinnerung A die
Erinnerung B zur r^dmäßigen und unmittelbaren Folge hat Als
O^enstand verstehen wir hier alles, was in eine Wahrnehmung
oder Erinnerung eingehen kann, mithin sowohl Dinge als Vorgänge.
Wahrnehmung ist alle Auffassung durch Sinne; Erinnerung umfaßt
außer Reproduktion von Wahrnehmungen Reproduktion aller anderen
Empfindungen, sofern sie einen Offenstand oder doch einen als
Gegenstand setzbaren Inhalt haben. Menschliche Erinnerung ist
gleich Denken. Denken, wie es hier verstanden wird, ist selber
zum größten Teile Erinnerung an Zeichen und durch Zeichen an
andere, bezeichnete Dinge. Wahrnehmungen und Erinnerungen
werden im Folgenden gelegentlich unter dem Namen »Ideeri«
zusammengefaßt, welcher Name aber auch Gefühle mitbezeich-
nen kann.
2. Einige Zeichen sind natürliche Zeichen, d. h. solche,
bei denen jene Folge durch das natürliche Verhältnis zwischen
Zeichen (A) und Bezeichnetem (B) begründet ist Natürliche Ver-
hältnisse dieser Art sind mannigfach. Sie lassen sich aus dnem
idealen Falle ableiten, der jene Folge als von sdbst verständlich
erscheinen läßt: aus dem Falle der Identität von A und B, von
Zeichen und Bezeichnetem. Diese Identität kann 1. im Erkenntnis-
akte des wahrnehmenden Subjektes vorhanden sein; dann ist B in
keinem Sinne ein anderes Ding und der Satz, daß A Zeichen von
B sei, sagt nichts anderes, als daß die Wahrnehmung oder Erinne-
rung eines Gegenstandes die Erinnerung seiner sdbst zur regel-
mäßigen und unmittelbaren Folge hat; von der Erinnerung ausge-
sagt, bedeutet er nur, daß sie eine gewisse Dauer hat, die als eine
Reproduktion ihrer selbst begriffen werden kann; von der Wahr-
nehmung ausgesagt ist er insofern wahr, als Wahrnehmung nicht
ohne Erinnerung stattfinden kann, — ein Urteil, dessen Richtigkeit
Tönnies, Philos. Terminologie. |
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— 2 —
hier vorausgesetzt werden muß; dadurch aber wird der Satz auf
das erste Stuck der Alternative (daß er von der Erinnerung ausge-
sagt wird) zurfickgeffihrt; Identität aber ist für ein wahrnehmendes
oder denkendes Subjekt die UnUnterscheidbarkeit; 2. ist die Identität
im Erkenntnisakte des wahrnehmenden Subjektes nicht vorhanden
und doch durch einen Gedankenprozeß erkennbar. Das ist — nach
einer philosophischen Lehre, deren Richtigkeit hier, gleichfalls, für
den Zweck dieser begrifflichen Einteilung, vorausgesetzt werde —
die Identität des lebenden Organismus mit der (ihm nach gewöhn-
licher Auffassung innewohnenden) Seele, in anderem Ausdrucke:
organischer »äußerer« — Bewegungen mit den darin sich aus-
drfickenden — »inneren« — Empfindungen und Gefühlen. Für Wahr-
nehmung sind, ihrem B^friffe nach, Empfindungen und Gefühle
(im Folgenden werden diese unter Empfindungen mitb^friffen) nicht
als G^:enstände vorhanden — sie sind unwahmehmbar; dagegen
sind alle körperlichen Bewegungen wahrnehmbar; in Wirklichkeit
jedoch werden die meisten Bewegungen des lebenden Organismus
nicht wahrgenommen, nur einige solche Bew^;ungen, die auch
„Ausdrucksbew^fungen^^ genannt werden, sind regelmäßige Gegen-
stände d^ Wahrnehmung.
3. Wenn aber Empfindungen und Bewegungen als identisch
gedacht werden, so folgt, daß die Auffassung solcher (äußere orga-
nischer) Bew^ungen in Wirklichkeit zugleich Auffassung von Emp-
findungen, wenn gleich in völlig unbestimmter Weise, ist; und dem ent-
spricht es, daß zwischen organischen Wesen Mitempfindung statt-
findet und daß für sinnlich wahrnehmende Subjekte diese in einem
ungeteilten Akte mit sinnlichen Wahrnehmungen (in der »Intuition«)
sich vollzieht In solchen Fällen, z. B. wenn durch die Stimme
des Jungen Mitempfindung seines Hungers in das Muttertier über-
geht, kann man sagen: der Schrei ist Zeichen der mit ihm iden-
tischen Empfindung des Hungers, und wenn man jenen ungeteilten
Akt der Intuition in die zwei: Wahrnehmung (des Tons, d. h. einer Be-
w^^ng) und Mitempfindung (einer Empfindung) zerlegt, so ist die
r^;elmäßige und unmittelbare Folge von selbst verständlich, d. h. aus
jener Identität erklärbar. Je mehr aber in Wirklichkeit die Erkennt-
nistätigkeiten sich abschnüren von der Gesamtmasse der Erlebnisse,
d. h. der psychischen Tatsachen, desto mehr tritt es hervor, daß Aus-
drucksbewegungen Zeichen der (im Grunde mit ihnen identischen)
Empfindungen werden, d. h. nach unserer Definition, daß die
Wahrnehmung oder Erinnerung solcher organischen äußeren Be-
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— 3 —
w^^ngen Mitempfindung d. i. Erinnerung einer Empfindung zur
r^dmäßigen und unmittelbaren Folge hat
4. Aus Mitempfindung aber wird Nacfaempftndung, endlich die
:» diskursiv« vollzogene daher dem Irrtum um so eher ausgesetzte
Schlußfolgerung. Der Schluß von der Ausdrucksbewegung auf
den »Willen« bleibt immer der Intuition um so niher, je mehr
beide auf unzweideutige Art miteinander verbunden sind, und das
ist um so stärker der Fall, je weniger ein spezifisch menschlicher,
:» vernünftiger« Wille vorhanden oder entwickelt ist; so daß alsdann,
was objddiv als Zeichen begriffen werden kann, tatsächlich und
subjektiv von dem es Empfangenden (Verstehenden) als die Sache
selber aufgenommen wird, oder doch in Vermischung: zugleich
als die Sache und als deren Zeichen. So empfängt und verstdit
der Despot die Prostration zugleich als die tatsächliche gewollte
Unterwerfung und als deren Zeichen; in diesen und vielen ähn-
lichen Fällen läßt sich beobachten, wie aus der Sache selber
das Zeichen entsteht, oder doch sich davon ablöst, d. h. das bloße
Zeichen, das nicht mehr zugleich die Sache sdber ist, obgleich
diese anfänglich sog^ Haupt-Sache war. Das Schlachten des Opfer-
tieres ist ursprunglich ganz eigentlich gemeint: als Ernährung der
abgeschiedenen Gdster; zugldch soll es für diese Zeichen des
Gedenkens, der Furcht und Pietät ihrer Angehörigen sdn; allmäh-
lich wird es dann zum bloßen Zeichen dieser Gesinnung, auch in
der Meinung der Opfernden; der Zweck wird zum Mittd und das
Mittel wird mehr und mehr sdbständig gegen den Zweck, d. b.
mehr und mehr von ihm verschieden.
5. So ist oder wird im allgemdnen för wahrnehmende Sub-
jekte organische äußere Bewegung Zeichen von Empfindung und
Gefühl; und dies wird auch, da das natürliche Denken metaphorisdi
ist, d. h. Unwahmehmbares in sinnliche Bilder übersetzt, so aus-
gerückt: Äußeres Zeichen des Inneren, als ob die Sede räumlich
im Leibe vorhanden wäre, beide also Teile eines wahrnehmbaren
Ganzen; womit dieser dem Begriffe unmittdbar angehörige Fall
durch die Sprache (die das natürliche Denken ausdrückt) auf einen
ferneren, aus der Identität ableitbaren, zurückgeführt wird.
6. Der nächste Fall aber, der an der Identität gemessen werden
kann, ist die sinnlich wahrnehmbare Ähnlichkeit eines Dinges
mit einem andern, deren Vollkommenheit als Gleichheit bezeichnet
wird. So ist ein Bild Zeichen des Originals, und zwar um so
mehr, d. h. hat die Erinnerung an das Original um so r^dmäßiger
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— 4 —
und unmittelbarer zur Folge, je ähnlicher es ist, oder je mehr es
sich der Gleichheit nähert So ist aber selbst der Schatten noch
durch seine Ähnlichkeit natürlidies Zeichen eines G^enstandes, so
die Spur des abgedrfickten Fußes usw.
7. Anderersdts kann aus dem Falle der Identität abgeleitet
werden, daß der Teil natürliches Zeichen des Ganzen ist Denn es
ist das Wesen der Erinnerung zu ergänzen: dies beruht zuletzt auf
den Gesetzen der Übung und Gewöhnung, die wiederum materiell
gedacht spezielle Fälle des »kleinsten KraftmaBes« sind, psycholo-
gisch aber den Trieben der Selbsterhaltung (dem Willen zum Leben)
entspringen: je tiefer und enger eine Wahrnehmung oder Erinnerung^
mit diesen Trieben verknüpft ist, desto leichter, rascher, häufiger
wird sie reproduziert; es genügen um so mehr, um die Vorstdlung^
eines Ganzen als g^enwärtigen zu err^en, Wahrnehmungen von
Stücken eines solchen Ganzen; die Ergänzung wird dag^en um so
schwieriger, daher um so mehr in Form eines Schlusses vollzogen,
je geringer — kleiner oder weniger charakteristisch — das Stück
im Vergleiche zum Ganzen ist
8. Ebenso nun ist das Stück natürliches Zeichen eines anderen
Stückes, insonderheit des benachbarten, im Räume und in der Zeitr
daher kann jedes Antezedens Zeichen eines Konsequens werden
und umgekehrt: etwas Äußeres Zeichen von etwas Innerem usw.
Zeichen ist, was als Zeichen wirkt.
Hier ist so viel Mannigfaltigkeit, wie in den Tatsachen der Ideen-
Association überhaupt, die bekanntlich auf wenige Grundr^eln
zurückgeführt werden. Mit Recht wird gelehrt, wenn auch noch
nicht in definitiver Gestalt, daß schon für den Prozeß des einfach-
sten Erkennens, insbesondere der raumlichen Anordnung von Em-
pfindungen als Wahrnehmungen eine für die andere zum »Zeichen«,
wird, indem uns durch den Übergang — unbewußte Folgerungen —
vom Bekannteren auf minder Bekanntes jene Leistung des Gedächtnisses
möglich ist, die wir als Orientierung verstehen. Femer sind aber
auch alle höheren Arten des Erkennens als Vergleichungen — Identi-
fikation, Unterscheidung, Folgerung — an »Merkmale« gebunden, die
zur Erwägung, zur Erwartung und zur Gewißheit führen. Das
Urteil gründet sich auf Zeichen.
9. Natürliche Zeichen erscheinen entweder in dem von mensch-
lichem Wollen unabhängigen Naturverlaufe oder sie werden von
Menschen »gemacht«, »gegeben«, »gebildet«, und diese wiederum
sind entweder (als solche, nämlich als Zeichen) unwillkürlich oder
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werden zu dem Zwecke gemacht, etwas zu »bezeichnen«, sollen
etwas bezeichnen. Ein gemachtes Zeichen ist entweder bestimmt
dem, der es macht, selber ffir seine zukünftige Erinnerung zu dienen,
oder es soll Anderen dienen für g^enwärtige oder zukünftige
Erinnerung.
10. Unwillkürliche Zeichen sind oder werden alle mensch-
lichen Ausdrucksbewegungen für die sich in ihnen ausdrückenden
psychischen Zustände; sie, jene Zeichen, bew^^ sich zwischen
dem, was auch wider den Willen oder Wunsch an einem (z. B. Er-
röten, Erblassen) und von einem aus geschieht (sogen. Reflexbe-
wegungen, z. B. Zusammenfahren, Stimrunzeln), daraus ei^ben sich
»verräterische» Zeichen, die noch ganz dem unabhängigen Natur-
verlaufe angehören; und auf der andern Grenze solchem, was, ob-
gleich als Zeichen unwillkürlich, doch gleichsam die volle Zustimmung
des Subjektes hat, z. B. der Jubel und das In die Armefli^^en beim
Empfange des Geliebten.
11. Ausdrückliche Zeichen zu machen ist oder wird notwendig
ffir den, der seine Empfindungen und Gefühle mitteilen will,
insbesondere seinen Wunsch, daß ein anderes Wesen etwas tun
oder unterlassen möge. Zeichen, die in diesem Sinne gemacht
werden, können auch von vielen Tieren verstanden werden; dahin
gehören vorzüglich Töne und Geberden, aber auch Wirkungen auf
das allgemeine Sinnesorgan der Haut, angenehme und unangenehme.
12. Vorzugsweise auf gemachten Zeichen beruht der für das
gesamte Kulturleben der Menschheit unendlich wichtige Gebrauch
von Zeichen verschiedener Art Gemeinsame Empfindung, gemein-
sames Denken und Glauben gibt sich im Gebrauche von Zeichen
kund, auch wenn diese keinen anderen Zweck haben, als eben
der Stimmung und Übereinstimmung Ausdruck zu verleihen,
»Symbole« der Gemeinschaft zu sein.
13. Die meisten Zeichen dieser Art dienen aber auch zum
gegenseitigen Verständnisse und werden um so leichter ver-
standen, je mehr sie natürliche Zeichen des Willens sind, der durch
sie »sich äußert« oder »sich offenbart«. Da ist denn die Wirkung
auf das Gesicht (»Geberdensprache«) weit größerer Mannigfaltigkeit
fähig als die Wirkung auf das Gemeingefühl, die Wirkung auf das
Gehör aber (»Lautsprache«) übertrifft wiederum jene in viel höherem
Maße durch die Bildsamkeit des Materials, in dem die Zeichen
gleichsam geprägt werden. Zunächst freilich ist die Entwicklung
der Oeberdensprache leichter, weil sie eben über mehr natürliche
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— 6 —
Zeichen verffigt, und so wird sie in früheren Phasen menschlicher
Entwicklung nur unterstützt durch die Lautsprache, ein Verhältnis,
das später sich umkehrt, bis endlich die schriftlich fixierte Laut-
sprache allein durch sich selber wirkt und auch die Erklärung, die
der Redende durch Modulation der Stimme seinen Worten mitgibt,
entbehren muß. Im gleichen Verhältnisse entwickelt sich im ganzen
der For^ng von sinnlichen und einzelnen zu gedanklichen und
allgemeinen Mitteilungen.
14. Denn aus artikulierten Lauten entsteht fast ausschließlich
die ganze andere Gattung von Zeichen, die wir als künstliche
Zeichen den natürlichen Zeichen gegenüberstellen. Hier ist kein
natürliches Verhältnis oder Band mehr zwischen Zeichen und Be-
zeichnetem, sondern allein menschlicher Wille stellt das Verhältnis
der Ideen-Association her, wodurch das Wort Zeichen des Dinges
wird, ebenso das Verhältnis, wodurch die Schrift Zeichen des Wortes,
die Einheit des Buchstabens Zeichen der Einheit des Lautes wird Die
Abscheidung künstlicher von natürlichen Zeichen ist aber ein Prozeß,
der allmählich und in unmerklichen Übergängen fortschreitet: das Ge-
dächtnis muß sich an immer unnatürlichere, folglich unbequemere
Zeichen gewöhnen, die jedoch für die menschlichen Zwecke Erleich-
terungen sind, weil die natürlichen Zeichen nicht ausreichen oder
einen viel größeren Aufwand von Arbeit kosten würden, um in ge-
nügendem Maße ausgebildet zu werden. Die natürlichen Zeichen,
die den Sprachlauten zu gründe liegen, sind teils unwillkürliche
Ausdrucksbew^ungen der vokalen Organe, teils Nachahmungen, d. i.
Abbildungen gehörter und bekannt gewordener Töne, zum Teil end-
lich nach Prinzipien der Analogie und des Kontrastes gebildete Ver-
suche, die Eindrücke von Gegenständen wieder zu geben, die dann,
durch relativ zufällige Umstände begünstigt, sich erhalten haben,
d. h. in eine mehr oder minder feste Verbindung mit den Ideen (Wahr-
nehmungen oder Erinnerungen) der G^enstände gekommen sind.
15. Ein gewisses Wort hat eine gewisse Bedeutung, d. h. es
ist Zeichen eines gewissen (wahrnehmbaren oder denkbaren) Gegen-
standes, nach dem Willen eines oder mehrerer Menschen. Wenn
nach dem Willen eines Menschen, so versteht entweder er nur
allein das Zeichen, dann ist es ein individuelles Zeichen, oder es wird
auch von Anderen verstanden, alsdann ist es ein soziales Zeichen. Auch
hier sind Obergänge vorhanden. Verstehen ist selbst eine Art des
WoUens, ist der Wille der Anerkennung, der Annahme, d. h. Aneignung,
und so wird gemeinsames Verstehen einem gemeinsamen Besitze
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— 7 —
ähnlich. Durch das Verstehen wird also aus dem individualen ein
sozialer Wille. Je weniger aber das Wort soziale Geltung hat, desto
mehr bedarf es für das Individuum der Anstrengung, sich ver-
standen zu machen; den Sinn, den er dem Worte geben will,
unterstfitzt er dann durch naturiidiere Zeichen: Töne und Geberden.
16. Wesentlich und nach dem Gesetze ihrer Entwicklung
sind aber Wörter soziale Zeichen, und der soziale Wille, der in
ihnen sich ausdrückt, ihnen ihre Bedeutung gibt und darüber ent-
scheidet, ist, wie aller sozialer Wille, von mannigfacher Art
17. Hier muß vor allem der tiefe Unterschied vorausbedeutet
werden zwischen sozialem Willen, der auf natürliche Art sich ge^
bildet hat, und solchem, der auf bewußte Art gemacht wird. Aus
diesem Unterschiede entspringt der Grundunterschied des Sinnes^
worin ein Wort etwas bedeutet Ehe wir jedoch dies in eingehender
Weise betrachten, möge eine allgemeine Erörterung vorausgehen.
18. In jedem Falle ist die Bedeutung eine Art von Gleichung:
ein Wort ist gleich einem oder mehreren anderen Worten, durch
die es erklärt wird und ist so, mittell)ar oder unmittelbar, gleich
dem G^enstande einer Wahrnehmung oder Erinnerung. Diese
Gleichungen aber werden im Allgemeinen nicht als etwas Gewolltes
gedacht, sondern als etwas Wirkliches, das man also kennt oder
nicht kennt, über das man richtiger oder falscher Meinung sein
kann; man weiß oder weiß nicht, was ein Wort bedeutet d. h. wo-
für es das Zeichen ist; wie ein Ding »heißt«, d.h. durch welches
Wort es bezeichnet wird. Die Frage, aus welcher Ursache etwas
so oder so heiße, liegt zunächst so ferne, wie die Frage, aus welcher
Ursache etwas grün oder blau sei.
19. So sehr wird in jedem Kreise von Menschen das für wirk-
lich gehalten, d. h. dem Natüriichen gleich, was Alle kennen (oder
doch erfahren können); woran deshalb Alle sich gebunden fühlen;
die Verbindung von Namen und Sache wird so fest, daß sie als
notwendig empfunden und gedacht wird. Der Name gilt als zur
Sache gehörig, und wie ein Bild oder Schatten in mystischem Zu-
sammenhange mit ihr. Dies dann in besonderer Weise bei den
Namen von Personen, so daß man fürchtet, wer den Namen wisse,
erlange Gewalt über Leib und Seele; daher die Sorge, den Eigen-
namen zu vertiehlen, die Scheu, den Namen Verstorbener auszu-
sprechen, um ihre Ruhe nicht zu stören und viel verwandter Aber-
glaube. Sogar in der Philosophie wird die Meinung nicht leicht
überwunden, daß irgendwelche Namen den Dingen von Natur
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— 8 —
(f öaei) zukommen, und die christlichen Denker statuieren, daß Adam
den Dingen die richtigen Namen bdgei^ habe: noch im Anfange
des XIX. Jahrhunderts gelangt die Lehre zu neuer Geltung, daß aus
dem Hebräischen als der Ursprache alle Spradien abzuleiten seien.
Ja, noch heute gibt es berfihmte Autoren, die den Besitz der Sprache,
also eines ausgebildeten Systems von Lautzeichen, für eine absolute
Kluft zwischen Menschen und Tieren halten; eine Theorie, die zu ihrer
Ergänzung nur der anderen bedarf, daß eine neue absolute Kluft
zwischen Menschen, die das Zeichensystem einer Buchstabenschrift
besitzen und solchen, die es nicht besitzen, aufgetan sei, so daß
jene nicht von diesen abstammen können.
20. Nun aber weiß man doch, daß es verschiedene »Sprachen«
der Menschen gibt, und versteht darunter die Gesamt-Systeme von
Lautzeichen, die in einer gewissen Menge von Menschen, in einem
Volke oder in verwandten Völkern verstanden und gebraucht werden.
Die Tatsache, daß innerhalb einer solchen Menschenmenge kleine
Gruppen wiederum sich unterscheiden, teils und hauptsächlich in
bezug auf die Lautformen oder die »Aussprache« der gleichen
Wörter, teils durch eine gewisse Zahl abweichender, eigentümlicher
Wortzeichen, wird dadurch ausgedrückt, daß man innerhalb einer
Sprache verschiedene »Mundarten« oder »Dialekte« als vorhanden
hinstdlL Tatsächlich kommen in jeder größeren oder kleineren
Gruppe von Menschen, die zusammen leben und gemeinsame An-
gel^enheiten haben, besondere Wörter vor, die regelmäßig gebraucht
w^den und oft so massenhaft und auffallend sind, daß man wieder
von einer besonderen »Sprache«, der Studentensprache, Schiffer-
sprache, Gaunersprache u. dgl. redet Auch gibt es nicht selten in
engsten und kleinsten Gruppen, als zwischen Ehegatten oder Ge-
schwistern, eine eigene Spradie, d. h. zahlreiche Namen von Dingen,
die sie allein verstehen oder gd>rauchen, die sie oder die einer von
ihnen »erfunden« hatten, sei es nun ein beliebiger, sonst bedeutungs-
lose Laut oder ein sonst etwas anderes bedeutender, oder ein Laut,
der sich an einen so bekannten anlehnt
21. In Wahrheit ist zum gegenseitigen Verständnis eben so
sehr ein gemeinsames Ideen-System, wie ein gemeinsames Zeichen-
System notwendig, ja in höherem Grade, denn wenn die Ideen vor-
handen sind, so werden Zeichen leichter und rascher erworben, also
auch zum Ersätze gewonnen, während die Kenntnis von Zeichen
nichtig ist ohne Kenntnis der Ideen, worauf sie zu beziehen sind,
und diese Kenntnis ist viel schwerer zu erwerben oder zu ersetzen.
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— 9 —
zumal wenn es nicht mehr um wahrnehmbare, sondern nur noch
um denkbare G^enstände sich handelt Darum ist die Tatsache,
daß zwei Menschen dieselbe Sprache reden, keinesw^;s Garantie
dafür, daß sie einander in weitem Umfange verstehen. Hier kommt
außer der Fähigkeit von Wahrnehmungen (dem Blinden redet man
umsonst von Farbe), Vorstellungen, Abstraktionen sogleich das ganze
Gebiet spezieller technischer und wissenschaftlicher »Bq^riffe« in
Frage, deren Namen nicht nützen ohne Vertrautheit mit den Objekten.
Zum intimen Verständnisse gehört aber endlich, zumal wo es um
nur subjektive Gefühle und Erfahrungen sich handelt, auch ein ent-
schiedener (»guter«) Wille des Verstehens, daher eine lebhafte
Sympathie, sofern diese nicht durch Interesse, d. h. durch einen
Gedanken, dem das Verstehen Mittel zu anderem Zwecke ist, ersetzt
wird. In jedem Falle ist das Verstehen dessen, was ein anderer
gemeint hat, als Reproduktion eine Art von Kunstleistung, die mehr
oder minder gelingt, deren Gelingen wahrscheinlicher wird durch
Aufmerksamkeit und Übung, aber auch durch Kenntnis von Regeln,
nach denen teils aus der Erscheinung (dem angewandten Zeichen),
teils aus begleitenden Erscheinungen (z. B. der Betonung) auf die
wirkliche Meinung dessen, der diese mitteilen will, geschlossen
werden darf. Je nach dem genügt zum Verstehen ein für alle außer
dem Verstehenden unverständliches Stammeln oder Lallen, oder ist
eine lange Lehrzeit und selbst für den Gelehrten noch eine in vielen
verwickelten Sätzen vollzogene Entfaltung eines Gedankens not-
wendig.
22. Also setzt nicht blos gegenseitiges, sondern auch einseitiges
Verständnis gemeinsam -gleichartige Kenntnis von Ideen und von
Zeichen voraus; Zeichen sind selber Ideen und ihre Verbundenheit
mit den bezeichneten Ideen ist das, was vorhanden sein muß, um
ein Verstehen möglich zu machen. Diese Verbindung kann, sobald
andere als natürliche Zeichen verstanden werden sollen, nur erworben
werden durch Lernen, d. h. durch zunehmende und sich befesti-
gende Erfahrung, die wesentlich auf eigene Faust oder wesentlich
durch Hilfe anderer gewonnen wird; in jedem Falle ist durch eigene
Übung und damit sich bildende Gewohnheit die Entwickdung
jener Ideen- Assoziationen bedingt, die als gewohnte gekannt werden
und ein (wenn auch latent bleibendes) Wissen involvieren. Das
Gewohnte aber und Bekannte wird als natürlich empfunden und
gedacht, daher von dem naiven Geiste die Frage nicht leicht auf-
geworfen, warum denn der Gegenstand diese Namen oder das Wort
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— 10 —
diese Bedeutung habe, oder aber gleich ähnlichen Fragen nach dem
Ursprünge von Handlungsweisen, Od>riudien usw. durch Hin-
weisung auf die Übereinstimmung und auf die Überlieferung von
den Vorfahren her, beantwortet. Die Gewalt der Tatsache, als einer
für wirklich und natürlich gehaltenen, wird freilich dadurch ab-
geschwächt, daß es viele Sprachen gibt und daß es nur »in« dieser
»unserer« Sprache so ist — denn hierdurch wird der Gedanke
darauf hingelenkt, Bedeutung oder Namen als zufällig, anstatt als
notwendig anzuschauen, als durch menschlichen Willen gesetzt, daher
auch veränderlich (v(5|i(])) anstatt als natürlich und unabänderlidi
(föaei) sie zu b^[reifen. Aber die einzelne »Sprache« erscheint
nun als ein Wesen von natürlicher oder übernatürlicher Art, sie hat
einen »Geist«, man bedient sich ihrer als eines lebendigen Werk-
zeuges, ihrer, der ganzen, die als Ganzes sich darstellt, weil durch
sie, d. h. wenn man sie gebrauchen will, die einzelnen Wörter in
folgerichtiger, dem Belieben entrückter Weise zusammenhängen und
also vorgeschrieben, geboten sind, so daß man sie anwenden muß;
dazu »Regeln« für ihre Zusammensetzung, die man nicht »über-
treten« darf, ohne sich eines falschen, verkehrten, unverständlichen
oder doch unschönen Redens schuldig zu machen.
23. Der Geist der Sprache, das ist eine der Gestalten, in denen
das erkannt wird, was wir als sozialen Willen definieren. Die
Natur des sozialen Willens zu erkennen ist notwendig, um den ver-
schiedenen Sinn zu analysieren, worin von Wörtern oder anderen
sozialen Zeichen gesagt werden kann, daß sie »Bedeutung« haben.
Darum haben wir die Unterscheidung vorausgeschickt zwischen
sozialem Willen, der auf natürliche Art sich gebildet hat, und solchem,
der auf bewußte, wir dürfen sagen willkürliche Art gemacht wird.
Als sozialen Willen überhaupt verstehen wir den für eine Mehrheit
von Menschen gültigen, d. h. ihre Individual-Willen in gleichem
Sinne bestimmenden Willen, insofern als sie selber als Subjekte
(Urheber oder Träger) dieses ihnen gemeinsamen und sie verbin-
denden Willens gedacht werden.
24. Als individueller menschlicher Wille aber wird hier be-
griffen jede bestehende Verbindung von Ideen (Gedanken und Ge-
fühlen), welche für andere sich bildende Verbindungen von (eben-
solchen) Ideen erleichternd, beschleunigend, oder erschwerend und
hemmend wirkt (sie wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher macht).
25. In diesem Sinne kann menschlicher Wille als Ursache
menschlicher Tätigkeiten oder bewußter Unterlassungen gedacht
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— 11 —
werden; denn Tätigkeiten und bewußte Unterlassungen sind psycho-
logisch verstanden nichts als Sukzessionen von Ideen.
26. In jenen kausalen Ideenverbänden sind aber die relativ
konstanten Elemente die Gefühle (die Bejahung oder Verneinung),
die relativ variabeln die Gedanken. Das Verhältnis dieser zu jenen
muß daher Prinzip der Einteilung und der Klassifikation bilden.
Dies Prinzip li^ der Dichotomie des individualen wie des sozialen
Willens zu Grunde. Natürlich nennen wir den Willen, in dem die
Gefühle, künstlich den Willen, in dem die Gedanken überwiegen.
Das heißt: die Beziehung auf Tätigkeiten (um so kurz zu sagen), in
denen Wille überhaupt sich »äußert« oder »verwirklicht«, ist in
einem Falle mehr vorausgefühlt — man kann dies auch ausdrücken:
als objektiv vorhandene Tendenz empfunden — , im anderen mehr
vorausgedacht. Vorausgefühlt ist sie von Natur unbestimmt und
entwickelt sich von allgemeinen zu besonderen Beziehungen. Voraus-
gedacht geht sie von einzelnen Bestimmungen aus und geht in all-
gemeinere über, die aus jenen zusammengesetzt werden. Aus diesem
Gegensatze ergibt sich das charakteristische Merkmal: dort — im
Gefühlswillen — Herrschaft des Grundzweckes; d. h. die Idee
eines allgemeinen Gutes richtet Gefühle und Gedanken auf das be-
sondere Gut; hier — im Gedankenwillen — leitet die Idee eines
■besonderen Gutes — des Endzwecks — alle übrigen Ideen und
ordnet sie sich unter. Dort — um einen noch bestimmteren Kon-
trast herzustellen — »wird« dem Menschen seine Aufgabe, sein Be-
ruf offenbar (oder ist ihm offenbar geworden): »das soll ich«; hier
»macht« er sich einen Plan (oder hat ihn gemacht): »das muß ich«.
Dort — um endlich an geläufige wissenschaftliche Begriffe anzu-
knüpfen — herrscht im Willen das Unbewußte, hier das Bewußte vor.
27. Die fernere, diese Einteilung kreuzende Klassifikation der
Willensformen richtet sich nach der beiden Typen gemeinsamen Be-
ziehung auf Tätigkeiten. Je nachdem nämlich darin, d. h. in der
entsprechenden Sukzession von Ideen, das sinnliche Element (Emp-
findungen, Wahrnehmungen) oder aber das intellektuelle Element
(Vorstellungen, Gedanken) überwiegt, ergeben sich je 2 Hauptformen,
eine des Anfanges und eine der Vollendung; dazwischen aber legen
wir die breite Masse, in der jene Elemente so vermischt angetroffen
werden, daß sie in relativem Gleichgewidit sich befinden.
28. Es entstehen also 6 Klassen von Willensformen, deren jede
aber in Unterabteilungen zergliedert werden kann. Wir benennen
sie hier mit Buchstaben
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WFs WFsl WFi
WDs WDsi WDI
Inwieweit diese begrifflich konstruierten Formen in der Wirklichkeit
vorkommen oder mit solchen, die in der Wirklichkeit vorkommen,
sich decken, bleibt hier außer Frage; darum auch, ob es möglich
ist, sie mit Worten, die sonst üblich sind, zu bezeichnen.
29. Ein G^enstand (A) wird durch individualen, z. B. meinen
Willen Zeichen eines anderen Gegenstandes (B), — dies ist, um den
Gegensatz g^en natürliche Zeichen darzustellen, das nächste Problem.
Auf den einfachsten und rationalen Ausdruck gebracht, heißt es: ich
will bei Wahrnehmung von A — obwohl sie mit B in keinem
natürlichen Zusammenhange steht — an B denken. Dieses »ich
will« kann aber (im Deutschen auch sprachlich) sowohl auf die
gegenwärtige als auf die zukünftige Zeit sich beziehen, es kann auf
eine einmalige oder gel^entliche, es kann auch auf eine regelmäßig
zu wiederholende Erinnerung gehen. Die Erinnerung selber ist
wesentlich an die Wahrnehmung oder nur an die Vorstellung ge-
bunden, also mehr von sinnlicher oder mehr von intellektueller Art
Der Wille aber, der die Assoziation bildet oder in ihr sich darstellt,
wird hier, nach dem gegebenen Schema, in seine Gestaltungen unter-
schieden. Auf der einen Seite stehen 2 »Erlebnisse«, die durch die
»Gefühlsbetonung« des einen oder beider oder eines dritten mit-
einander verknüpft werden. Der Hoffende, Mutige, der z. B. in den
Kampf zieht, »nimmt« leicht irgend ein zufälliges Ereignis als ein
»gutes Zeichen« für sich (»accipio omen«) — die Idee des Si^es
err^ ihn so, daß sie jede andere Idee sich assimiliert; jene Idee
verbunden mit dem Wunsche ist hier der Wille. Die Verbindung
aber zwischen Zeichen und Bezeichnetem ist hier nur lose und
oberflächlich, sie entsteht und vergeht leicht mit der sinnlichen Wahr-
nehmung des Zeichens. Dauerhafter wird sie, wenn ein dauernder
Wunsch, ein »Interesse« sie knüpft; zu Grunde li^ immer der
»Wunsch« günstiger Erlebnisse, daher günstiger Zeichen; die Freude
an jenen überträgt sich auf diese; daher »verweilt« Erinnerung
eben so gern als Wahrnehmung bei ihnen. So gewöhnt sich der
Schaffende, von Zufällen Abhängige, z. B. ein Landmann oder
Schiffer, vielerlei Beobachtetes so mit den einzelnen Stadien seiner
Tätigkeit zu verbinden, daß ihm regelmäßig die wiederkehrende
Wahrnehmung zum günstigen oder ungünstigen Zeichen wird. Aus
solchen Denkgewohnheiten setzt sich die ganze Masse des tradi-
tionellen Aberglaubens zusammen. Endlich kann man, durch eben
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solche Willenstnotive angestachelt, förmlich lernen, sei es von
anderen oder durch eigene Erfahrung und Überl^^ung, Erlebnisse
»sich zu deuten«, z. B. Träuihe, die mit zukünftigen Erdgnissen in
keiner natürlichen Verbindung stehen, aber in beliebigen Zusammen-
hang mit der Meinung darüber gebracht werden können. Hier
wird denn die Erinnerung selber von ausgeprägt intellektueller Art,
z. B. die durch eigenes Denken gewonnene »Oberzeugung«, daß
ein Traum von fetten Kühen glückliche Jahre bedeute. In allen
diesen Fällen ist immer nur daran gedacht wie etwas für ein Indi-
viduum durch seinen Willen zum Zeichen von etwas anderem wird.
In Wirklichkeit haben oder gewinnen solche Zeichen zumeist auch
eine soziale Bedeutung vor der individualen oder durch diese.
Notwendig ist aber jene erst, wenn Zeichen soziale Gebraudis-
g^enstände werden. — Auf der anderen Seite aber behachten wir,
daß der Wunsch einer bestimmten Erinnerung diese zum Zwecke und
irgend etwas, das mit ihrer Idee vorher in Verbindung gebracht
wird, zum Mittel macht, d. h. zur vorausgesetzten Ursache der Er-
innerung; er kann ihr natürliches Zeichen dazu wählen oder ein
sozial gültiges Zeichen, oder endlich — was uns hier allein an-
geht — ein nur für sich bedeutendes Zeichen mit jener Idee ver-
knüpfen. Die Formen des Willens werden für den gegenwärtigen Zweck
in genügender Weise durch Beispiele erläutert 1. Ich mache mir
ein Zeichen zu einmaligem oder gel^entlichem Gebrauch — z. B.
einen Knoten ins Schnupftuch, um morgen an einen zu schreibenden
Brief zu denken; Striche in ein Buch, um bei wiederholtem Lesen
mich meines Gefallens oder Mißfallens zu erinnern. 2. Ich setze
mir ein Zeichen zum bleibenden Gedächtnis, z. B. einen Stein auf
meinem Acker, um mich immer daran zu erinnern, daß ich an dieser
Stelle eine wichtige Nachricht empfing. 3. Ich erfinde mir ein
Zeichen, um etwas dadurch wieder zu erkennen, d. h. mich zu er-
innern, daß ein G^^nstand in einer gewissen Beziehung zu mir
steht, z. B. mein Eigentum ist So »zeichne« ich mein Vieh für
eine Herde; wesentlich ist dabei die intellektuelle Gewißheit, es
jederzeit aus der Herde als das meine aussondern zu können. Die
individuelle Bedeutung des Zeichens geht hier leicht in eine aus-
schließende, d. h. in die »geheime« über. Das Zeichen soll ent-
weder nur für mich verständlich oder nur für mich wahrnehmbar sein.
30» Um nun darzustellen, wie in analoger Weise sozialer
Wille sich mannigfach darstellt, wollen wir von den ausgeprägtesten
Haupttypen seiner beiden Gattungen ausgehen, deren Bq[riffe fast
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auf vollkommene Art durch sprachlich anerkannte soziale Mächte
gedeckt werden. Sogleich soll aber die Anwendung auf gültige
Bedeutungen von Worten geschehen, die durch solche Mächte ge-
schaffen werden.
31. Typus jener Kategorie ist die Sitte, Typus dieser Kate-
gorie ist das Gesetz, in dem Sinne, in dem es gedacht wird, als
aus Beratungen und Beschlüssen eines Einzelnen oder einer Ver-
sammlung hervorgehend (»Statute law«).
32. Das Wesen der Sitte liegt in der tatsächlichen Übung, sie
entspricht psychologisch dem, was am Individuum als Gewohnheit
verstanden wird, sie heißt auch ausdrücklicher Weise Volksgewohn-
hdt Als Wille ist sie auf einfachste Art erkennbar durch altge-
meinen Unwillen, oft auch Entrüstung, ja Abscheu, den ihre Ver-
letzung err^ aber auch durch die Redeformen, die aus dem all-
gemeinen Denken hervorgehen, als: die Sitte befiehlt, die Sitte
fordert, die Sitte ist streng und unerbittlich usw.
33. In den Sprachen vermischt sich diese Auffassung der Sitte
mit derjenigen einer nur objektiven Tatsache, der Gewohnheit als
bloßer Übung, d.h. regelmäßiger Übung. Wer aber den »Geist«
seiner Sprache kennt, bemerkt wohl, wie an einem inneren Akzente,
ob von Sitte in dem einen oder in dem anderen Sinne ge-
sprochen wird, wie man auch von dem sozialen Sinne noch einen
individualen unterscheiden kann, der aber (im Deutschen) sich da-
durch charakterisiert, daß er pluralisch geformt wird, und daß er
nur der zweiten, objektiven Anwendung des sozialen B^[riffes ent-
spricht (»ein Mensch von lockeren Sitten«).
34. Synonyma des Wortes im sozialen Sinne sind (im Deutschen)
»das Herkommen«, »der Brauch«: jener Ausdruck weist auf die
B^^ndung durch Übung früherer Generationen und auf das Ver-
bindliche dessen, was die Väter getan und für gut gehalten haben,
hin; dieser (»der Brauch«) geht mehr auf die lebendige Praxis.
35. In Anwendung auf Bedeutungen der Wörter bildet die
deutsche Sprache für den B^^riff der Sitte das besondere Wort
»Sprachgebrauch«, wobei weniger an die Überlieferung als an die
tatsächliche Übung gedacht wird; allerdings ist er auch in hohem
Maße durch jenes bedingt, wie denn der »herkömmliche Sprach-
gebrauch« besonders betont zu werden pflegt Daß d&r Sprachge-
brauch gleich anderer Sitte auch eine subjektive Seite hat, liegt bei
einem so psychischen Akte wie dem Sprechen nahe zu gewahren;
indessen ist das Objekt auch zu intellektuell, als daß Abweichungen
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und Verfehlungen eigentlichen Unwillen erregen sollten; wohl aber
gibt sich bei jedem Sprachkundigen andere Unzufriedenheit oder
doch Ablehnung kund, oft nur als Komischfinden oder in minder
ausgeprägten Fällen, einfach als Urteil, das etwas als falsch verneint,
und als Wunsch zu berichtigen. Daß aber dem tatsächlichen Ge-
brauche, nach dem der Einzelne sich richtet, den jeder als »ent-
scheidend« für die Bedeutung von Wörtern anerkennt, so etwas wie
ein gemeinsamer, gleichgerichteter Wille zu gründe li^ ist auch
daraus ersichtlich, daß die Sprache als ein »Gut«, ein »nationales
Erbe«, ein »heiliges Besitztum« aufgehißt zu werden pflegt, dessen
»Antastung« oft zu heftigen Rede- und Waffenkämpfen geführt hat
und noch fährt »Wir wollen unsere Sprache sprechen«, was
heißt das anders als: wir wollen diese Zeichen mit diesen Be-
deutungen gebrauchen; der Wille des Gebrauchs involviert den
Willen der Bedeutungen: daß diese nicht als mitgewollt gedacht
werden, beruht auf schon früher angedeuteten Gründen. Es ist
aber allgemein: in der Gewohnheit wird der Wille nicht er-
kannt obgleich er sich stark genug, zumal als Widerstand, darin
kundgibt Es schwebt immer die an sich richtige Schlußfolgerung
vor: wenn dies durch meinen (unsem) Willen wäre, so könnte
mein (unser) Wille es in jedem Augenblicke aufheben oder ver-
ändern. Falsch ist nur, was dabei stillschweigend vorausgesetzt
wird, daß der (individuelle oder soziale) Wille etwas sei, was ohne
zureichende Ursachen in jedem Augenblick entstehen könne. Tat-
sächlich gilt: je fester gewurzelt eine Gewohnheit, desto unwalur-
scheinlicher und schwieriger ist es, sei es durch fremden oder
durch eigenen Willen, ihr entg^enzuwirken.
36. Durch Volksgewohnheit oder Sitte entstehen und wachsen
als am tiefeten das Leben der Einzelnen berührend die sozialen
Gebilde, die wir »Recht« nennen; Gesetzgebung vereinheitlicht diese
mannigfachen Gebilde und macht Recht auf bewußte und plan-
mäßige Weise. Jenes, das Gewohnheitsrecht, erscheint teils in Tat-
sachen, Meinungen, Sprüchen, mündlich oder schriftlich überiieferten
Regeln, teils in der Praxis der Richter, dem Gerichtsbrauch, d. h. in
regdmäßig oder nur einmal, in gegebenem typischem Falle, ausge-
sprochenen Urteilen. Diese, die Gesetzgebung, d. h. die zur
^) In den Sprachen sind jedoch Spuren dieser, der Psychologie fehlenden,
Erkenntnis zu finden. Man denke an das griechische Wort i9^kti}, wo die Iden-
tität direkt, und an das entsprechende deutsche »pflegen«, wo sie indirekt ange-
deutet wird.
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Dtirdiffihning ihres Willens fähige soziale Macht versucht alle mög-
lichen Fälle im Voraus zu denken, nach Erwägung der Angemessen-
heit fQr bestimmte Zwecke, R^eln aufzustellen, nach denen geur-
teilt, gerichtet werden soll.
37. Während Gewohnheitsrecht in großer Mannigfaltigkeit und
zahlreichen Widersprüchen die Rechissphären der Personen vielfach
in Vermischungen und Kreuzungen und schwer lösbaren Gemein-
schaften läßt, so ist Qesetzesrecht beflissen, die einzelnen Sphären
scharf von einander zu trennen und g^fen einander abzugrenzen,
nichts gemeinsam zu lassen, als was aus dem individuell bestimmten
Eigentum oder Rechte abgeleitet oder doch ableitbar ist Gesetzes-
recht ist, wo es in seinen eigenen Bahnen wandelt, so sehr als mög-
lich rational. Sofern Gewohnheitsrecht in Sätzen oder Urteilen
enthalten ist, folgt seine Sprache dem allgemeinen Sprachgebrauch,
ist daher mit diesem vielfach unbestimmt und schwankend.
38. Im Gewohnheitsrechte liegt immer ein Sprachgebrauch ein-
geschlossen, durch den es sich expliziert Es ist Sache des richter-
lichen Urteils, zu erkennen, ob eine Sache das und das sei, d. h.
ob ein gewisser Name ihr zukomme, z. B. einem Gehinke der
Name Wein, einer Zutat dazu der Name Gift Es wird geprüft, ob
die Sache die Qualitäten habe, die der Sprachgebrauch mit dem
Namen bezeichnen will, für seine Merkmate hält
39. Gesetzgebung muß sich direkt mit der Bestimmung von
Wortbedeutungen befassen. So wird im Strafrechte nicht alles, was
im Volke und in gewöhnlicher Rede Behug oder Diebstahl genannt
wird, als Verbrechen dieser Art verstanden und mit Strafe bedroht;
vielmehr werden Definitionen solcher B^[riffe zu Grunde gelegt
und als Maßstäbe der Bedeutung vorgeschrieben. Die neuere sozial-
politische Gesetzgebung und auf ihr beruhende Verordnungen
können nicht umhin. Ausdrücke des täglichen Lebens, wie Fabrik,
Arbeiter, Handwerker als Begriffe zu stempeln, d. h. ihnen feste,
leicht erkennbare Grenzen zu geben; und zwar bestimmen verschie-
dene Gesetze, verschiedene Verordnungen diese Grenzen auf ver-
schiedene Art; es heißt dann z. B. »Handwerker« im Sinne dieses
Gesetzes ist ... ., Arbeiter im Sinne dieser Verordnung usw.
40. Wie aber in weitem Umfange Gesetze die Normen des
Gewohnheitsrechtes nur fixieren, ausdehnen oder einschränken, ins-
besondere aber sie vereinheitlichen, so auch die gesetzlichen Be-
stimmungen über Bedeutung von Wörtern. Oft aber geschieht
diese auch ohne alle Rücksicht auf den Sprachgebrauch, ja diesem
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entgegen: neue Begriffe werden gebildet und für diese neue Wörter
geschaffen oder alten die neue Bedeutung gegeben; der Gesetzgeber
verfügt frei über den Sprachstoff, hält es aber in der Regel für zweck-
mäßig, den Sprachgebrauch zu schonen, an den er tatsächlich auch
vielfach gebunden bleibt, wo er sich nicht mehr gebunden fühlt.
41. Dem Sprachgebrauch, der so sehr die breite Masse des auf
die Wortbedeutungen bezüglichen sozialen Willens enthält, daß man fast
immer anstatt des Wortes (Sprachgebrauch) das Wort Sprache schlecht-
hin anwenden kann, steht außer den genannten indirekten Fällen keine
eigentliche Sprachgesetzgebung g^enüber. Indessen gibt es
doch ein baleutendes Analogon dazu durch die Tätigkeit der
Grammatiker und Lexikographen, wenn diese mit einer gesellschaft-
lichen Autorität von Staatswegen ausgestattet ist, oder sich solche
durch ihr eigenes Gewicht erwirbt; der Gesetzgebung näher im
ersten Falle. Typisch dafür ist die französische Akademie, deren
Dictionnaire die Sprache zu unifizieren und zu reinigen mit so
grossem Erfolge unternommen hat; ein Satiriker nannte die hyper-
kritischen Urheber
^souverains arbitres des mots^.
Eine viel schwächere Analogie bietet der Einfluß von Schrift-
stellern, die als mustergültig anerkannt werden; wir werden ihm an
einer anderen Stelle aufs neue beg^[nen.
42. In verwandter Art aber mit solchen Autoritäten und auch
in vielfachen direkten Berührungen mit der Gesetzgebung verfährt
und wirkt Wissenschaft auf die Sprache. Sie ist gesetzgebend
für die Bedeutungen von Wörtern, die sie für ihre bestimmten
Zwecke aus dem Sprachgebrauche ablöst und definiert, d. h. die
Bedeutungen als sein- sollende setzt; auch ist ihr die Bildung von
neuen — im Sprachgebrauche gamicht vorkommenden — Wörtern nicht
fremd, die sie zugleich mit Fixierung ihrer Bedeutungen ins Leben
ruft, sei es, daß sie die Wörter erfindet oder, wie in der R^d,
einer fremden Sprache entlehnt. Die Bedeutungen selber kann sie
wiederum entweder durch eben solche Kunstwörter oder durch
natürliche Wörter ausdrücken, denen sie ihren gebräuchlichen Sinn
gelassen oder einen neuen verliehen hat Ihre volle Souveränität
aber macht sie erst geltend, wenn sie ihre eigentümlichen Objekte
schafft, d. h. unabhängig von dem was sonst vorgestellt und ge-
dacht wird, Gegenstände konstruiert und diesen alte oder neue
Namen beil^ Ihre Worte gewinnen dann eine besondere Bedeutung.
Tönnies, Philos. Terminologie. 2
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— 18 —
Z. B. das Wort »Kreis« hat Im Sprachgebrauche sonst mannigfache
Bedeutung, durch Gesetzgebung wird das deutsche Wort Name
eines künstlich abgegrenzten Verwaltungsbezirkes, für die Wissen-
schaft bedeutet es, und in jeder zivilisierten Sprache ein entsprechen-
des Wort, den Begriff eines in keiner Erfahrung vollkommen
möglichen Dinges, nämlich einer geschlossenen Linie, die in jedem
ihrer Punkte die gleiche Entfernung von einem Mittelpunkte hat:
wo schon die Worte Linie und Punkt ebensolche spezifisch wissen-
schaftliche Bedeutung haben. Man nennt solches nun auch einen
wissenschaftlichen Sprachgebrauch — im Sprachgebrauch. Wir aber
unterscheiden und definieren hier, achten daher nicht des Sprach-
gebrauchs; dadurch selber ein Beispiel gebend der wissenschaftlichen
Freiheit, B^ffe zu bilden und zu klassifizieren; einer Freiheit, die
nur limitiert wird durch die Kritik ihrer Zweckmäßigkeit (wir ge-
denken daher, durch den Verlauf der Abhandlung unsere Idee zu
rechtfertigen).
43. Wenn wir aber die soziale Gewohnheit, den Brauch, des
näheren untersuchen, so findet sich, daß so etwas regelmäßig ent-
steht, wo ein Zusammenleben von Menschen auf den ihm am
meisten natürlichen Grundlagen beruht Wie sich individuelle Ge-
wohnheiten am leichtesten und häufigsten aus ursprünglichen und
starken Neigungen (Geschmäcken, Bedürfnissen) entwickeln, so
entwickeh sich soziale Gewohnheit aus wechselseitiger und gemein-
samer Neigung. Alle Neigung offenbart, vielmehr vollendet sich
in Tätigkeit, denn sie ist der Beginn solcher Tätigkeit. Aus der
Stärke und häufigen Erneuerung der Neigung folgt eine häufige
Wiederholung der entsprechenden Tätigkeit; diese wird subjektiv
zur Gewohnheit, wenn durch die Häufigkeit selber die Neigung
verstärkt oder sogar ausschließlich bedingt wird, da das wiederholte
Tun auch aus minder freiwilligen Quellen fliessen kann. Imm^ ist
Gewohnheit eine von der Neigung verschiedene Disposition zu
bestimmten Tätigkeiten, als solche mehr bindend und regulierend,
die Freiheit des Willens wird durch sie in besonderer Weise deter-
miniert, sie wird als nötigend, ja zwingend empfunden, der »Menschte
ist »Sklave« seiner Gewohnheiten, und doch sind diese wesentlich
nur festere Gestaltungen flüssiger, aber darum nicht minder not-
wendiger und nötigender Antriebe. Ganz so wirkt im sozialen
Leben der Brauch und verhält sich ebenso zum sozialen Instinkte,
oder wie immer wir das ursprünglich Verbindende nennen wollen,
das auch für die Bedeutung von Zeichen maßgebend ist
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44. Wenn schon das Verständnis natärlicher Zeichen z. B,
von Geberden, Rufen durch die Ähnlichkeit der Organe bedingt,
durch soziale Gefühle und gewohntes Zusammenleben erleichtert
wird, so differenzieren sich, wo diese Förderungen vorhanden
sind, künstliche Zeichen in kaum merklicher Weise davon. Wenn
der Hilfstrieb — ein- oder g^enseitig — stark ist, so wird
der Versuch eine bestimmte Gefahr durch einen Laut anzuzeigen,
auch wenn dieser Laut nicht mehr oder nicht zuerst expressiv odest
imitatorisch ist, rasch verstanden, kommt leicht in Umlauf, whd auf-
und angenommen. Indem gegenseitige Nachahmung Ausdruck der
Einmütigkeit ist, darf diese, die natürliche Harmonie der Ge-
müter, als erste Ursache einer kurrenten Bedeutung von Wörtern,
wie von anderen Zeichen, begriffen werden. Man kann in jeder
Kinderstube, im Schöße jeder glücklichen Familie beobachten, wie
neue Bezeichnungen für Menschen und Sachen erfunden und ver-
standen, wie sie aus Wohlgefallen an ihnen selber oder an ihrem
Erfinder — z. B. dem Schall nachahmenden Kinde — aufgenommen
und wiederholt werden. Ähnlich ist es, wenn in größeren Sprach-
gemeinden Redner und Schriftsteller neue, besondere Wörter oder
neue Bedeutungen alter Wörter aufbringen; dadurch, daß sie ge-
fallen oder durch den Eindruck und Einfluß des Erfinders, gewinnen
sie, wenigstens für eine Zeit lang, Kurs, d. h. werden nachgeahmt,
wiederholt Und so muß auch der Ursprung der Sprachen
gedacht werden, daß diese Quellen der freien Erfindung, der Ver-
suche zur Einführung, und der zeitweiligen Geltung, reichlich ge-
flossen sind, nachdem einmal die Organe gewöhnt waren, eine
Mannigfaltigkeit von Lauten zu bilden. Was dann in dauerndem
Brauche sich erhält und auf jüngere Generationen übertragen wird,
ist durch Auslesen aus diesem Reichtum ursprünglicher Wortkeime
gewonnen; Auslesen, die selber immer aufs neue sich wiederholen.^
Die psychologische Ursache jener üppig wuchernden Urkeime, in
denen die Wörter zugleich mit ihrer sinnlich empfundenen Bedeutung
erzeugt werden, können wir als Sprachgefühl, Sprachinstinkt oder
besser als »Sprachbildungstrieb« bezeichnen, und diesen also als dem
Sprachgebrauche zu gründe liegend darstellen. Bekannt ist es, daß
gerade rohere Sprachen mit einer Überfülle von Synonymen be^
lastet sind, wie auch, daß in ihnen die Verschiedenheit der Mund-
arten zumeist bis in die engsten lokalen Bezirke sich fortsetzt
45. Sprache wird, wie andere Systeme, von Zeichen, z. B. Schrift-
zeichen, Noten, Signale durch Lehre überliefert. In bezug auf die
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Muttersprache pfl^ freilich die Lehre mit dem Gebrauche vermischt
zu sein und in unmerklichen kleinen Dosen, die durch Kontinuität
um so stärker wirken, eingegeben zu werden. Immer aber ist es
die Autorität des Erziehers, die als Tatsache mitteilt, daß das Ding
so und so heißt, daß das Wort und der Satz (als Einheit mehrerer
Wörter) solche Bedeutung haben. Dieser Aussage muß nicht allein
B^erde und Fähigkeit zu verstehen, dem Gedächtnisse einzuprägen
und nachahmend sich kund zu geben, sondern auch der Glaube
des Lernenden entgegenkommen. Leicht geglaubt wird aber alles,
was nicht in entgegengesetztem Wissen, in persönlichem Mißtrauen
oder in Mißfallen an der Sache seine psychologischen Widerstände
findet. Glaube ist Aufnahme und Bestätigung, gleichsam ein Indos-
sament durch Unterschrift, mithin eine Willenshandlung; und da
auch der Lehrer das, was er überliefert, in gutem Glauben empfangen
hat, so darf man auch den gemeinsamen Glauben als eine der
Formen des sozialen Willens ansprechen, die Wörtern wie anderen
Zeichen ihre Bedeutung geben.
46. Dies aber ist in ausgeprägter Weise erkennbar, wenn es
sich um besondere Zeichen und besondere Wörter handelt, denen
der Glaube oder verwandte Arten eines gefühlhaften Wollens, als
Ehrfurcht, Begeisterung, eine besondere und erhöhte Bedeutung ver-
leihen. So geschieht es in weitem Umfange mit Zeremonien und
damit verbundenen Zauberworten, die für heilig und auf über-
natürliche Weise wirksam gehalten werden. Wörter, deren eigentliche
Bedeutung nicht verstanden wird, z. B. wenn sie einer fremden
Sprache entlehnt sind, empfangen so die Bedeutung, eine Kraft in
sich zu enthalten, die über die Kräfte gewöhnlicher Wörter, mensch-
liche Gefühle und Empfindungen zu erwecken, weit hinaus geht.
Der Glaube sagt, daß sie auf die Natur oder auf Götter und Dä-
monen wirken, die durch und für ihn (den Glauben) in der Natur
vorhanden sind. So hat in charakteristischer Art der gemeine Aber-
glaube die unverstandenen Worte der Eucharistie ^Hoc est corpus
(meum)« als »Hokus pokus« zu Zauberwörtern schlechthin gemacht,
die gleich dem Hexen-Einmaleins zum notwendigen Apparate derer
gehören, die das Unmögliche zu verwirklichen scheinen. So denken
auch die Theologen den Schöpfer, nicht als unmittelbaren Urheber
des Himmels und der Erden, etwa durch sein Wesen oder seinen
Willen allein, sondern er muß das schöpferische Fiat sprechen
[dies keineswegs der jüdisch-christlichen Idee eigentümlich; auch »in
indischen und persischen Religionssystemen wird ... die Schöpferkraft
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des Wortes an die Spitze des Seins gestellt«; der Laut ist »Bmhma«,
heißt es im Mimansa, durch das gesprochene Wort schafft Para-
brahma die Welt »Als Ahriman, der Todesschwangere, die Erde
durchstfirmt, spricht Ormuzd das Honover, das reine, das heilige,
das schnellkräftige Wort, um die Schöpfung zu erhalten und zu
schätzen« (BASTIAN)], und so macht die an solche naive Vorstellungen
sich heftende Spekulation das Wort selber zum Gotte oder zum
offenbarten Sohne Gottes, und wie das Wort alles schaffen, alles
verwandeln kann, so schafft und verwandelt es sich selber in Fleisch
und wandelt als Mensch unter den Menschen. Aber auch außer
der Sphäre des Wunderglaubens wird dem Worte ein geheimnis-
voller sachlicher Wert beigelegt, daher gewissen Worten eine gute
oder üble Vo r - B e d e u t u n g. Auch beruht die Macht des gesprochenen
Wortes, zumal der öffentlichen Rede, großenteils darauf, daß ge-
wissen Wörtern und (Rede-) Wendungen vom Hörenden eine Mit-
Bedeutung gegeben wird, die seine Gefühle erregt: Liebe, Ver-
ehrung, Begeisterung; Haß, Abscheu, Entrüstung. Man denke an
den »Zauber« von Worten, wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit,
und dagegen an die düsteren Assoziationen, die durch Worte, die
mit Blut zusammengesetzt sind, «r^ werden: Blutschuld, Blutrache,
Blutbad und dergl.
47. Es gehört zur Kunst des ^Redners, durch richtige Anwen-
dung, Hervorhebung, Betonung solcher Wörter die »Stimmung« zu
erwecken und zu erhalten, die für Aufnahme seiner Gedanken, Be-
folgung seiner Ratschläge bereit macht.
48. Mit der religiösen und aller feierlichen Rede ist wesentlich
die kunsthafte, die poetische Sprache verwandt; auch sie hat ihre
ursprüngliche Kraft und Geltung durch den Volksglauben, für den
das eigentlich und wirklich ist, was in der poetischen Sprache als
Bild und Gleichnis bleibt; gläubige Phantasie erfüllt die Welt mit
lebendig tätigen Geistern; die Naturmenschen und ihnen voran-
schreitend ihre Lehrer — Priester, Seher — glauben, daß es
überall menschlich zugehe, sie sehen den menschlichen Willen,
menschliche Leidenschaften in die Dinge hinein und machen diese
sich dadurch vertraut und verständlich, Dichtung ist zugleich Erklä-
rung. Alle merkwürdigen Naturerscheinungen, ebenso auch Ereig-
nisse des menschlichen Lebens sind für solche Denkungsart über-
sinnliche Dämonen, Riesen, Götter u. dgl. oder werden durch diese
verursacht Die Neigung und Gewohnheit, lebende Wesen gleich-
sam in jeden Winkel zu setzen, wird durch besondere Erzählungen,
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Fabeln, Mythen, erhöht und verstärkt, wie sie darin sich offenbart;
und diese stehen in fortwährender Wechselwirkung mit der Sprache
— teils wird der sprachliche Ausdruck durch den Mythus, teils wird
dieser durch jenen hervorgerufen. Bei weitem überwiegt aber der
erste Zusammenhang: die Personifikation der Dinge oder der Ursachen
von Vorgängen ist die natürliche Assimilation des Fremdartigen an
das Bekannte, und diese geschieht, wenn einmal Sprache vorhanden
ist, notwendigerweise mit deren dargebotenen Mitteln, die aber jene
für sich und nach sich gestaltet. Die Erzählungen sowohl als die
generellen Aüsdrucksweisen werden in und mit der Sprache gelehrt,
-überliefert, empfunden, sie verwachsen mit dem Volksgeiste, mit der
Sitte, der Religion; aber sie scheiden sich auch wieder davon, wenn
die gemeine Denkungsart nüchterner, besonnener, verständiger wird,
wenn die. Poesie als Kunst sich über das Leben erhebt Die Be-
deutung vieler Wörter, die bisher eben so eigentlich war, wie die
der Aussagen über wirkliche Erlebnisse, wird vermindert, sie werden
nicht mehr als Zeichen von Wirklichkeiten, sondern nur noch als
Zeichen von Bildern gedacht, und so »erblassen Gedanken, die einst
einen realen Sinn hatten, zu bloßen poetischen Redeformen« (TYLOR).
Auf der anderen Seite aber macht auch die Sprache, zuerst Mythen,
sodann wenigstens sinnliche Vorstellungen von den Dingen, die viel
zäher als jene sich erhalten. Auch außerhalb der Personifikationen
des Unlebendigen behandelt die sprachliche Ökonomie alle Vor-
gänge nach Analogie von animalischen Tätigkeiten, alles Gedachte
nach Analogie des Wahrgenommenen, alles Wahrgenommene nach
Analogie der organischen Wesen, zu denen das eigene »Ich« des
Redenden gehört. Wo aber Tätigkeiten von Dingen vorzuliegen
scheinen — ein Schein, den oft die Redeweise erst hervorbringt —
da ist der Schluß gegeben ab esse ad posse^ vom Tun auf die
Kraft des Tuns, und so werden die »Eigenschaften« des »Dinges«,
wahrnehmbare und verborgene (okkulte Qualitäten) zu »Kräften«,
aus denen die wirklichen Ereignisse notwendiger oder doch begreif-
licher Weise hervorgehen. Für bekannt darf erachtet werden, daß
diese Deutungen, durch das Vehikel der sogenannten Metaphysik,
tief in die Wissenschaften eindringen; und nur mit großer Mühe
wieder ausgeschieden werden. Das natürliche Denken genügt durch
Beilegung von Namen unmittelbar dem jeweilig entstehenden Be-
dürfnisse nach Wissen, nach Erklärung; und dies hängt auf das
engste mit jener phantastisch-poetischen Belebung der Natur zu-
sammen, die daraus immer neue Nahrung zieht, wenngleich sie
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allmählich trockener und prosaischer wird. Auch nachdem das
wissenschaftliche Denken soweit fortgeschritten ist, wie in unseren
Tagen bei den am besten Gebildeten, gibt jenes Bedürfnis noch
r^elmäßig sich zufrieden, wenn die Tätigkeit eines Menschen als
Ursache einer Erscheinung hingestellt oder aufgezeigt wird; zuhöchst
geht etwa die Forschung noch nach seinen Beweggründen und
zieht auch diese gleichsam auf Namen ab, die etwas allen bekanntes
bezeichnen, z. B. Zorn, Rachsucht, Liebe, Haß usw. Das natürliche
Denken erklärt nach dieser Analogie alles; und in der Gestalt, in
der es auch uns, außerhalb der menschlichen Wirkungen, geläufig
bleibt, begnügt es sich mit einer Reduktion der Analogie, nachdem
die menschenartigen Eingriffe übersinnlicher Wesen nicht mehr
geglaubt werden. Man findet einen Eichenstamm zersplittert ^»Das
hat der Blitz getan,« »er muß mit furchtbarer Gewalt hier einge-
schlagen haben« — so etwa sagen wir, wenn wir unserem natür-
lichen Denken folgen; der phantastische und abergläubige Mensch
früherer Zeiten oder einfacher Kulturzustände sagt und meint:
»Zeus oder Gott zürnte dem Besitzer dieses Grundstückes, darum
hat er durch einen Blitzstrahl diese Eiche gefällt«. So oder auf
ähnliche Art kann aber auch einer reden, der es nicht glaubt: dann
ist es eine poetische oder rhetorische Figur; aus einer derartigen
Anschauung und Fiktion kann endlich ein bloßer metaphorischer
Ausdruck entstehen, z. B. der Blitz hat hier gewütet Alle Rede-
figuren, von denen die Metapher bei weitem die wichtigste und
am meisten charakteristische ist, haben dies gemein, daß in ihnen
die Wörter eine uneigentliche neben ihrer eigentlichen Bedeu-
tung haben — jene soll durch diese gleichsam hindurchscheinen,
sofern die Figur verstanden sein will; es kann aber auch geschehen,
daß der Redner nicht oder wenigstens nicht von allen, die ihn
hören, verstanden sein will; er ist zufrieden, ja es ist ihm lieber,
wenn nur einige ihn verstehen, vielleicht wünscht er sogar, gar-
nicht verstanden zu werden, nämlich nicht auf die vollkommene
Art verstanden zu werden, worin die uneigentliche Bedeutung mitver-
standen wird. Er will dann nur sich selber verstehen, und das,
was er wirklich meint, nur stückweise oder nur den Schein oder
endlich sogar das Gegenteil davon mitteilen. Die rednerische Phrase,
z. B. die Ironie, besonders aber die Hyperbel, grenzt so an die
Lüge und geht darin über. Lüge ist ein Gebrauch der Worte zu
einem ihnen (d. h. dem in ihnen enthaltenen sozialen Willen)
fremden individuellen Zwecke — zu dem Zwecke, durch scheinbare
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Mittdiung der eigenen Meinung eine Vorstellung zu erregen, die
von dieser verschieden, im extremen Falle ihr widersprechend ist —
Der herrschende Glaube — wofür man auch mit einem nahdi^en-
den Oleichnisse sagen kann: der Kredit, dessen der Redende ge-
nießt — ist auch in diesem besonderen Sinne das, was den Wörtern
ihre wahre Bedeutung gibt Es unterscheidet diese Bedeutung auch
die Persönlichkdt und ihre Worte: diesdben Worte haben das volle
Gewicht ihrer eigentlichen Bedeutung, wenn ein redlicher Mann
sie gebraucht hat, und sind leere Worte im Munde eines Wichtes
oder gar Schwindlers.
49. Wir hatten als Hauptformen des Bedeutung gebenden
sozialen Willens den Sprach-Oeb rauch und die Sprach-Oesetz-
gebung dnander gegenüber gestdlt. Ersichtlich ist nun, daß
»Volksglaube« und »Wissenschaft« in analoger Weise einander g^en-
sätzlich entsprechen. Beide Formen des sozialen Willens können
gleichsam als Abgeordnete (Dd^'erte), Volksglaube des Sprach-
gd>rauches, Wissenschaft der Gesetzgebung angesdien werden, d. h.
als Willensträger, die innerhalb der Gesamtsphäre, die der Gestal-
tung des Sprachgd>rauches, bezw. der Gesetzgd>ung untersteht, mit
einem speziellen Mandate ausgerüstet sind, das sie dadurch erfüllen,
daß sie Gruppen von Wörtern ausgezeichnete Bedeutungen anhängen.
In Anwendung auf Sprachen wollen wir den Volksglauben Sprach-
gen ius nennen.
50. Es bleibt nun noch eine wichtige Form des sozialen Willens
zur Erörterung übrig, die der Gesetzgebung und Wissenschaft ebenso
zu gründe liegt, wie die natürliche, wir dürften sagen, animalische
Übereinstimmung, das »Einverständnis«, dem Sprachgebrauche und
dem Volksglauben. Jene Form nennen wir ihrem allgemeinen
Wesen nach »Vertrag« und in besonderer Anwendung auf die Be-
deutung von Zeichen »Verabredung«. Unter der Voraussetzung
von lauter getrennten individuellen Willen ist Vertrag die natürliche
und notwendige Form für ihr »Zusammenkommen«, ihre Verbindung
oder Vereinigung in einen sozialen Willen. Diese Form hat das
Dasein zweier oder mehrerer freier Personen, d. h. solcher, die durch
ihren eigenen Wunsch sich bestimmen lassen, einander fremd zu
bleiben oder zusammen zu kommen, zur Voraussetzung. Die ge-
gebene Materie, d. h. der b^fflich einfachste Inhalt des Vertrages
ist der Austausch von Sachen: hier werden zwei Willen, die vorher
entgegengesetzt waren, indem jeder seine Sache so stark als mög-
lich zur Geltung bringen will, »sich einig«, daß zwei Sachen einander
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gleich gelten sollen oder, wo der Ausdruck der Geltung in einer
bestimmten Sache fiblich geworden ist, daß eine vorli^ende Sache
so und so viel, d. h. so und so viel Einheiten des »Wertmaßes«
gleich gelten solle, möge nun diese Geltung den Akt des Aus-
tausches überdauern oder nicht Ebenso können aber beliebig viele
Willen sich darüber vereinigen, daß ein Maßstab oder eine Norm
»gelten« solle, auch wenn das: »wie viel« die einzelne Sache gelte,
entweder dem Vergleichen, genauer dem Messen einer oder mehrerer
Personen, oder aber vielfachen Übereinkünften fiberlassen werden
muß. Am besten bezeichnet die griechische Sprache solche Ver-
einbarung als »Zusammensetzung« (5uv9-iQxir)) — hier entsteht gleich-
sam auf sichtbare Weise der gemeinsame Wille dadurch, daß mehrere
einen Beitrag ihres eigenen Willens dazu leisten; und dies kann
nicht anders geschehen, als, indem sie ihren Willen »erklären«, d. i.
durch Zeichen kundgeben. Solches Zeichen kann die Obergabe
einer Sache sein, es kann aber — als Abkürzung — ein gesprochener
Satz, endlich ein Wort genügen. Und nur in Worten kann der
g^enwärtige Wille eines zukünftigen Willens — ein Versprechen —
ausgedrückt werden. Ebenso kann nur in Worten ein Befehl, über-
haupt ein Satz, der etwas für eine über den Augenblick hinausge-
hende Zeitdauer Gewolltes enthält, ausgedrückt werden. Solcher
Satz ist aber der Satz über Geltung von Zeichen, daher möglicher-
weise auch über die Bedeutung von Wörtern. Der darauf ausge-
hende Imperativ bleibt entweder ohne Ausdruck oder er drückt
sich in Worten aus. Auch Maßstäbe, Gewichte, Münzen sind
Zeichen, nämlich Zeichen einer verabredeten oder sonst festgesetzten,
jedenfalls aber zunächst nur in Gedanken existierenden Maß- Einheit
oder eines Vielfachen davon.
51. Verabredete Zeichen zwischen Zweien und Mehreren sind
eine Sache, die jedermann kennt Sie sind dadurch charakterisiert,
daß sie von dem Wesen natürlicher Zeichen sich beliebig weit ent-
fernen können und regelmäßig sich weiter davon entfernen, als
Zeichen, deren Bedeutung in naturwüchsigem sozialem Willen be-
gründet ist So hat z. B. die schräge Stellung einer Briefmarke
oder hat eine gelbe Rose im Knopfloche, nicht die geringste Ähn-
lichkeit oder andere Verwandtschaft mit einer Ankündigung »heute
Nachmittag 5 Uhr Rendezvous in der Konditorei« und können doch
beide, wenn nur die vorherige Abrede getroffen ist, vor-
trefflich zum Zwecke solcher Ankündigung dienen. Die Macht des
menschlichen Willens, etwas zum Zeichen zu machen, tritt hier
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in ihrer elementaren (sozial wirksamen) Gestalt entgegen. Auch
die Verabredung über eine besondere Bedeutung von Worten,
sogar von sonst sinnlosen Worten, spielt im sozialen Leben eine
bedeutende Rolle. Besonders gibt dazu die rasche, aber kostspielige
Mitteilung in weite Ortsfeme Veranlassung, es entsteht z. B. im Ver-
kehr zwischen England und Indien eine verabredete »Kabelsprache«,
zunächst etwa innerhalb einer Familie oder eines Geschäftes, so daß
etwa der Silbe »Tar« die Bedeutung vorausg^eben wird: »ich bin
gesund angekommen« oder der Silbe »Ver« die Bedeutung: »der
Silberpreis zieht an«. Sehr nahe liegt es dann, solche Zeichen zu
Mitteln geheimer, d. h. auschließlicher Verständigung, im Gegensatze
zum öffentlichen Gemeingut der Volkssprache, zu machen. Viel
älter und größer ist in diesem Sinne die Anwendung verabredeter
Schriftzeichen, die ebenso ihren besonderen Wert als Mittel
geheimer Anzeigen und Mitteilungen erhalten. Alle solche Privat-
zdchensysteme haben aber regelmäßig, wie die Schrift selber, eine
vorhandene Sprache zur Voraussetzung und beziehen sich darauf,
so daß sie Zeichen von Zeichen darstellen: als verkürzte Schrift,
gleich der Stenographie, gleichsam Zeichen in dritter Potenz. Die
Zeichenqualität der Originalzeichen kann dabei völlig vergessen sein,
und pflegt vergessen zu sein; ja, es kann als Regel ausgesprochen
werden, daß diese, sofern sie durch einen natürlichen sozialen
Willen ihre Beglaubigung haben, niemals als gewollte Zeichen
deutlich bewußt gewesen sind; ganz klar ist dies, wenn sie als
natürliche Zeichen empfunden, ja dafür gehalten werden, wozu in-
dividuelles wie soziales Gewohntsein drängt. Hingegen gehört es
zum Wesen der hier erörterten Derivativzeichen, daß sie als
Zeichen, mithin als Mittel für gemeinsame Zwecke, von denen,
die ihnen Bedeutung geben, gedacht und gewollt werden. Andere
freilich, die nicht auf diese Weise tätig gewesen sind, können dem
Inhalte einer solchen Verabredung beitreten: sie nehmen es dann
in ihren Willen auf, ohne daß sie über Wesen und Ursprung der
Zeichen nachzudenken brauchen, diese können ihnen daher eben so
natürlich werden, wie die »Muttersprache« und die gewohnten Um-
gangsformen. Andererseits ist aber auch der Ursprung für den
konventionellen Charakter von Zeichen und Zeichensystemen
nicht allein entscheidend. Zeichen jedes Ursprunges können kon-
ventionelle werden, dadurch, daß sie als solche, d. h. wesentlich
als äußerliche Mittel, empfunden, gedacht, angewandt werden. Deut-
lich ist dies eben an den Umgangsformen; man kann sich naiv und
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gläubig zu ihnen verhalten, dann nimmt man Versicherungen der
Hochachtung, Verehrung, der Teilnahme usw. für »baare Münze«,
und gibt sie auch nur dann, wenn man sie mit »gutem Gewissen«,
d. h. mit Zustimmung seines Denkens, aussprechen kann — mit
Recht wird man dann bald über die gesellschaftlichen Lügen sich
entrüsten — ; oder man nimmt und gibt sie als bloße »Scheine«,
man weiß, daß sie nichts als Mittel sind, eine verkehrswillige Ge-
sinnung auszudrücken und seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten
Gesellschaft, insbesondere zu derjenigen, die sich die gute nennt, zu
dokumentieren. Es gibt dafür, dem B^ffe nach, nur das eine
Mittel, daß man ihre Regeln beobachtet, und zu diesen R^eln ge-
hört der Gebrauch solcher Redewendungen. Sie sind nicht ernst
gemeint, es sind bloße Formen — ohne allen oder doch ohne
entsprechenden Inhalt — »hohle Phrasen«, oder wie immer dies
ausgedrückt wird. Wer aber mitspielen will, muß sich den Spiel-
r^eln unterwerfen. — Es ist klar, wie dieser Gebrauch der Worte
mit dem von Redefiguren verwandt ist. Hier wie dort neigen die
Übergänge leicht in das Gebiet der Lüge. Die Lüge hebt die eigent-
liche Bedeutung, den buchstäblichen Sinn der Wörter hervor und
verlangt, daß diese hingenommen, geglaubt werden; sie (d. h. der
Lügende) meint nicht die uneigentliche Bedeutung, sondern gar
keine. Das Lügen wird aber durch die figürliche Bedeutung sehr
erleichtert — man denke an die Rhetorik von Liebesschwüren
und Freundschaftsbeteuerungen — ; ebenso wird es erleichtert durch
die gesellschaftliche Bedeutung oder vielmehr Entwertung der Worte.
Wer sich durch Schmeichelworte Vorteile zu verschaffen sucht, kann
sich darauf beschränken, Redewendungen zu gebrauchen, die in
seiner Gesellschaft gang und gäbe sind, über deren wahren Sinn
in der Regel sich niemand täuscht Er kann sie doch mit der
Absicht und dem Erfolge der Täuschung gebrauchen: er hat nur
nötig, einen besonderen Akzent, eine Wärme des Tones hineinzu-
legen, die sonst »vom Herzen kommt«; sollte man aber Verdacht
gegen ihn merken lassen, so kann er immer sich darauf zurück-
ziehen, daß er ja nur die üblichen konventionellen Reden geführt
habe. Die Variationen, die sich hier beobachten lassen, sind
mannigfach.
52. Wenn nun in dieser Sphäre Teile der sonst gesprochenen
Sprache gleichsam aufgeweicht und in einen Kuchenteig geknetet
werden, so ist auch eine ganze Sprache möglich, in der alle Wort-
bedeutungen einen konventionellen Charakter hätten, sei es, indem
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sie unmittelbar auf Gegenstände oder (was wahrscheinlicher), indem
sie auf viele empirische (natürliche) Sprachen bezogen würden. Alte
und neue Versuche, eine Weltsprache zu konstruieren, entsprechen
einer durchaus vernünftigen und notwendigen Idee, die bei der
gegenwärtigen Ausbreitung des Verkehres früher oder später tiefere
Wurzeln fassen und rasch emporwachsen wird. Es läßt sich freilich
nicht leugnen, daß in vielen Rücksichten besser wäre, eine gegebene,
natürliche Sprache zum Range eines internationalen Verständigungs-
mittels zu erheben; und dahin arbeiten ökonomische und politische
Entwicklungen mächtig vor, am meisten zu gunsten der englischen
Sprache, die zufälligerweise auch gewisse konstitutionelle Vorzüge,
gerade für solchen allgemeinen gesellschaftlichen Gebrauch, besitzt,
Vorzüge, durch die sie auch leichter erlernbar ist als die übrigen
modernen Sprachen. Wir sind heute geneigt, zu vergessen, daß
noch alle Wurzeln unseres Kulturlebens in einem Zustande liegen,
der durch allgemeine Herrschaft einer solchen Weltsprache, des
Lateinischen, charakterisiert war; daß von dieser Geltung noch viele
höchst bedeutende Reste erhalten sind; daß sie in einigen Gebieten,
nämlich als Sprache der Höfe und der Diplomatie, unmittelbar ab-
gelöst wurde — im 1 7. Jahrhundert — durch das Französische
und daß auch diese Sprache noch ein hohes Maß von internationaler
Anwendung behalten hat. In allen diesen Fällen kann man von
einer »konventionellen« Geltung mit gutem Grunde reden. Das
Verhältnis, das jeder zu einer fremden Sprache empfindet, ist, zu-
mal so lange ihm diese noch nicht »in Fleisch und Blut« überge-
gangen ist, sehr verschieden von dem Verhältnisse zur Muttersprache:
jenes ist dem Gebrauche eines Werkzeuges, dieses dem Gebrauch
eines angeborenen Organes ähnlicher. Daher auch, wenn mehrere
zusammen eines solchen Werkzeuges zu gegenseitiger Verständigung
sich bedienen, sie sich ähnlich dazu verhalten, als wenn sie durch
Verabredung die Bedeutungen dieser Zeichen festgesetzt hätten. Zu-
nächst sind sie freilich an den Geist, d. h. den Willen oder die
Assoziationen dieser fremden Sprache gebunden, aber je mehr sie
ihre besonderen, gemeinsamen Angelegenheiten in diesem Stoffe
ausdrücken, um so leichter verfügen sie mit einer gewissen Freiheit
darüber, ohne den Hemmungen zu begegnen, die das »Sprachge-
fühl«, d. i. die Gewohnheit und das Gedächtnis für die Regeln der
eigenen Sprache sonst entg^enstellt. Aber auch in der Mutter-
sprache entwickelt das »Geschäft«, d. i. aller menschliche Verkehr,
bei dem jeder seinen eigenen Vorteil in bewußter Weise verfolgt,
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Erfindung und Gebrauch von Worten und Redewendungen spezi-
fischer Geltung, die einer verabredeten gleichartig ist Der soziale
Wille, der darin enthalten ist, unterscheidet sich vom naiven Sprach-
bildungstrieb durch seine »reflektierte« Beschaffenheit, er ist in reifer
Gestalt nur auf Grund einer alten Kultur denkbar, seine Sprache
ist wesentlich Schriftsprache, sein Stil ein papiemer Stil.
53. Die freiere Verfügung über gegebenen Stoff ist für alle
Formen charakteristisch, in denen ein freierer sozialer Wille sich
ausprägt; das aber ist ein solcher, der auf die eigenen Akte der
verbundenen Individuen zurückgeführt werden muß. Wir rechnen
hier dazu sowohl den Willen, der in einer normalen Gesetzgebung,
als den Willen, der in einer normalen Wissenschaft zum Ausdrucke
gelangt. Es ist klar, wie aus Konvention Gesetzgebung hervorgehen
kann. Wenn irgend eine Gesellschaft eine Kommission wählt und
ihr den Auftrag gibt, die in ihr gültigen konventionellen Regeln auf-
zuzeichnen, auch je nach Bedünken zu verändern, minder zweck-
mäßige durch zweckmäßigere zu ersetzen und in Übereinstimmung
beschließt, nach diesen neuen Regeln sich richten zu wollen, — so
wird diese Kommission ein gesetzgebender Körper. Solcher Ur-
sprung, solche Autorisierung der Gesetzgebung wird hier als nor-
maler Fall gedacht Es ist wahr, daß sich in der Erfahrung Einzel-
personen und Körperschaften zeigen, die ihr Recht, Gesetze zu
geben, auf ganz andere Weise beglaubigen, und zwar vorzugsweise
durch übersinnliche Ordnungen der Dinge. (Itis divinum) Aber
die Erfahrung lehrt auch, daß Gesetzgebungen dieser Art weit mehr
auf Fixierung gegebener Zustände und Gewohnheiten, als auf freie,
planmäßige, zielbewußte Neuerungen ihr Absehen haben. Sie ge-
hören regelmäßig unter jene Form des sozialen Willens, die wir
als Volksglauben bestimmt haben. Dieser ist zwar — auch in seinem
Verhältnisse zum Sprachgebrauch — förmlich frei, zu bilden und zu
gestalten; er hat aber eine ausgesprochene, ihm wesentliche Vor-
liebe für das Alte, als das Bewährte und Geheiligte, ohne über
seinen Nutzen in bezug auf bestimmte einzelne Zwecke zu reflek-
tieren. Altertümlich ist auch die Rede der Religion, ja nicht selten
in einer Sprache gehalten, die nur für die Geweihten und Gelehrten
verständlich ist; so die Sprache der heiligen Kunst frommen Ge-
sanges; während sonst die Entwickelung der Sprache, wie aller
Zeichensysteme, auf Abkürzungen hingeht, so wird hier absichtlich
den langgedehnten Formen als den herkömmlich-feierlichen der Vor-
zug gegeben. Überhaupt erstreckt sich die so beglaubigte »Gesetz-
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^ebung« mehr auf die Formen als auf den Inhalt des Lebens. Sie
berührt sich dadurch — und dies gilt vom Volksglauben schlecht-
hin — mit der Konvention, so daß das Konventionelle oft »nur«
ein anderer Name für das Heiliggehaltene ist Auch die Konvention
ist zunächst und bleibt in gewissem Umfange immer »konservativ«,
daher das »Steife« der »Etikette«, die gewundene, umständlich-
feierliche Sprachform alter Kourtoisie, des Briefstils usw. Es liegt
aber in ihrem Wesen, sich davon abzulösen und zur launenhalt
wechselnden, neuerungssüchtigen »Mode« zu werden. Mit viel
stärkerem Überwiegen jener Vorliebe für das Alte bewegt sich auch
zwischen Volksglauben und Konvention das Recht, wie es auf
Grundlage des Gewohnheitsrechtes geübt und gesprochen, gelehrt
und erörtert wird; ebenso die besondere Sprache des Rechts, die
als technische an die gelehrte und heilige Sprache sich anlehnt, dann
aber als Sprache einer Kaste (eines Standes — ordo — , einer Fakul-
tät) auf freiere, d. h. auf mehr konventionelle Art angeeignet und
umgebildet wird. In rücksichtsloser Weise wirkt dann aber auf
sie — dies wurde schon vorausgeschickt — die bewußte Gesetz-
gebung, wie auf das Recht selber, und im engsten Zusammenhange
damit — Durch freiere Verfügung über gegebenen Denk- und
Sprachstoff, sagten wir, sei mit Konvention und Gesetzgebung
Wissenschaft gleichartig. Auch hier ist — wie bei Gesetzgebung
und genau besehen auch bei Konvention — unser Begriff von
Wissenschaft das Thema. Was im Sprachgebrauch so genannt wird
{wenigstens im Deutschen), z. B. Theologie, Jurisprudenz, politische
und moralische Disziplinen, das ist nicht (in unserem Sinne) freie
Wissenschaft, es blieb an Herkommen und Volksglauben, oft auch an
Konvention und Gesetzgebung, bisher r^elmäßig gebunden. Unserem
Begriffe von Wissenschaft entsprechen am vollkommensten die Mathe-
matik und die mathematische Physik. Alles was Wissenschaft heißt,
wie auch alles, was Kunst heißt, hat seine Terminologie, seine
technischen Begriffe. Diese aber sind zumeist nicht Begriffe in dem
Sinne, wie wir sie jetzt im Auge haben, sondern nur besondere
Namen für besondere Gegenstände, — Dinge und Tätigkeiten, die
in der Erfahrung derer, die solchen Künsten und Wissenschaften sich
hingeben, hervorragende Bedeutung haben. Dies involviert keines-
wegs, daß jene Dinge und Tätigkeiten nicht objektiv, also für jeder-
mann, vorhanden wären. Anders ist es mit der eigentlichen Wissen-
schaft Sie (d. i. die sich ihr widmende Denktätigkeit) bildet ihre
Begriffe, ausschließlich für ihre eigenen Zwecke, als bloße Gedanken-
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dinge, gleichgültig gegen ihr Vorkommen in irgendwelcher Erfah-
rung, ja mit dem Wissen der Unmöglichkeit eines solchen Vor-
kommens. Die natürliche Entstehung allgemeiner B^[riffe, die besser
Allgemeinvorstellungen heißen, wird in der Regel nicht oder
doch nicht mit genügender Schärfe von dieser künstlichen, bewußten
Bildung »abgezogener« (wie man im XVIII. Jahrhundert »abstrakt«
ins Deutsche übersetzte) Begriffe unterschieden. Die natürliche
Entstehung allgemeiner Vorstellungen geht der Entstehung beson-
derer Vorstellungen voraus; jene ist eine unvollkommene, mangel-
hafte Vorstellung, mit der regelmäßig ein zugehöriger Name an
wenige oder gar an ein einziges hervorstechendes Merkmal wahr-
genommener Gegenstände sich heftet Merkmale sind, wie das Wort
andeutet, Kennzeichen für die Erinnerung, und zwar werden sie für
den sprechenden Menschen unmittelbare Ursache für das »Einfallen«*
des Namens. Alle Namen sind ursprünglich Eigennamen und
Gattungsnamen zugleich. Das oft angewandte Beispiel des kleinen
Kindes, das jeden nicht durch ein neues Merkmal neue Gefühle er-
regenden Mann »Papa« nennt, ist typisch für die Verbindung von
Allgemeinvorstellungen mit Namen. Allgemeinvorstellung ist jede
Apperzeptionsmasse (im Sinne Herbarts und Steinthals), die einmal
mit einem Wortzeichen verbunden die Idee dieses Wortzeichens aus-
löst, sobald sie durch aktuelle Perzeptionen angeregt wird. Der
Fortschritt des Erkennens knüpft sich an den Besitz und die Kenntnis
mehrerer Namen für denselben Gegenstand, an deren Unterscheidung,
d. i. Beziehung auf verschiedene Gründe, oder schlechthin auf die
Tatsache des So-Heißens; mithin ebenso an die Kenntnis verschie-
dener Namen für getrennte Gegenstände, insofern sie verschieden
von einander sind, wie an diejenige gleicher Namen für eben die-
selben Gegenstände, insofern sie einander irgendwie ähnlich sind.
Denken wir einen Zustand, der von allem, was wir als Wissenschaft
verstehen mögen, unberührt sei, so wird doch das Kind ebenso
darüber belehrt, daß dieser Hund »Phylax« heißt (ohne daß es den
Grund dieses Namens zu lernen braucht), wie darüber, daß dies
Tier, ebenso wie die Jagdgefährten des Nachbars, »ein Hund ist«,
d. h. diesen gemeinsamen Namen hat; der Unterschied ist eben, daß
es, um diesen Namen richtig anzuwenden, den Grund kennen
lernen muß: nicht alle vierbeinigen Lebewesen nennen wir »Hund«,
sondern diese emst-blickenden, die durch ihr »Bellen« sich bemerk-
lich machen; andere, größere, gemahnte Vierbeiner heißen »Pferd«;
sowohl Hunde als Pferde heißen »Tier«. Auf Grund dieser leichten
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Unterscheidung durch rohe Allgemeinvorstellungen b^nnt erst mit
einem Kennenlernen von Merkmalen , die nicht der unmittelbaren
Wahrnehmung sich aufdrängen, speziellere Benennung einzelner
Gruppen innerhalb eines schon feststehenden Ganzen, viie die Zu-
sammenfassung mehrerer Ganzen in abg^:renzte größere Ganze;
denn zunächst gilt: je allgemeiner, desto unbestimmter die Vorstel-
lung. Während aber alles praktische Wissen in der Kenntnis
jener spezielleren Allgemeinvorstellungen und Namen besteht und
daran sich entwickelt, so hängt sich das theoretische Interesse
viel mehr an die Verallgemeinerungen und deren bessere, genauere
B^[ründung und Bestimmung durch wirklich charakteristische Merk-
male. So entstehen neben den Allgemeinvorstellungen, wie Pferd,
Hund, Tier, die in B^:riffe umgearbeitet werden, neue B^ffe, die
erst zu Allgemeinvorstellungen werden, wie Säugetier, Wirbeltier,
Molluske, endlich Begriffe von Lebewesen, an denen nicht nur die
gemeinsamen Merkmale ohne Studium unerkannt bleiben, sondern
die selber für die natürlichen Sinne unwahrnehmbar sind, z. B. der
B^jiff »Bazillus«. In allen diesen wirklichen B^ffsbildungen ge-
schieht aber doch nichts als die Verbindung vieler vorgestellter
Gegenstände in eine einzige neue Apperzeptionsmasse, die um so
weniger Merkmale besitzt, je allgemeiner sie ist Nicht wesentlich
anders verhält es sich, wenn die Gegenstände oder B^iffe nicht
Dinge, sondern Qualitäten oder Vorgänge sind. Es sind immer nur
einzelne — sinnliche oder unsinnliche — Eindrücke, an die ein
Name sich heftet, der nun als auf viele solche Eindrücke anwendbar
sich erweist Alle diese B^iffe sind so wenig, als die natürlichen
Allgemeinvorstellungen, »abstrakte« Begriffe in unserem Sinne, son-
dern die ihnen beigelegten Namen bezeichnen viele konkrete Gegen-
stände in bezug auf bestimmte, ihnen gemeinsame Merkmale.
Immerhin ist ein großer Unterschied, ob man Gegenstände oder
Ideen zu benennen meint: das Allgemeine ist nicht in den Gegen-
ständen, wohl aber in den Ideen. —
54. Ein abstrakter Begriff wird erst gebildet, wenn mit dem
Namen der zu benennende Gegenstand »erfunden«, d. h. fingiert
und konstruiert wird, so daß hier Idee und Gegenstand sich
decken — der Gegenstand möge als Ding oder als Vorgang ge-
dacht werden. Was wir vom B^ffe aussagen wollen, das müssen
wir bei der Bildung unseres B^iffs vom abstrakten B^jiffe un-
mittelbar anwenden. Wir definieren also den abstrakten Begriff als ein
Kunstgebilde des wissenschaftliehen Denkens, das wissenschafüiche
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Denken aber als ein Operieren mit solchen Gebilden, indem sie
teils miteinander, teils mit konkreten B^jiffen oder Einzdvorstd-
lungen verglichen werden. Der abstrakte BegrUf ist ein G^en--
stand, dem beliebige »Merkmale« gegeben werden, sinnlich vorstell*
bare oder nicht, in Wirklichkeit (»in der Erfahrung«) miteinander
verbunden angetroffene oder nicht; entscheidend ist nur der End-
zweck, dem das Gebilde dienen soll, und dieser Endzweck ist die
Erkenntnis der Verhältnisse zwischen erfahrenen und erfahrtiaren
Gegenständen. An der Spitze der abstrakten B^jiffe steht daher
der B^ff des Denkbaren schlechthin, dem ein beliebiger, ihn re-
präsentierender Name, z. B. A beigelegt wird, und die Operationen
des wissenschaftlichen Denkens beginnen damit, daß dieser Begriff
sich selber gleichgesetzt wird, was durch »Worte« in der Gestalt
des Urteiles A = A geschieht, des so oft mißverstandenen Satzes
der Identität. Der Satz bedeutet den Willen des wissenschafUich
Denkenden, seinen B^jiff als sich selber gleich, d« i. als der Ver-
änderung nicht unterworfen zu behandeln, und dieser Wille macht
darauf Anspruch, ein gältiger Wille zu sein, weil er jenem End-
zwecke innerhalb weiter Grenzen angemessen ist Denn in einem
gewissen Maße sind auch alle erfahrbaren G^enstände der Verän-
derung nicht unterworfen, d. h. sie können so gedacht werden, und
dieses Denken ist wiederum zweckmäßig, ja notwendig, weil nur
unter dieser Voraussetzung eine Vergleichung solcher
G^enstände mit Bqjiffen, und folglich miteinander, geschehen
kann. Denn die Vergleichung der erfahrbaren G^enstände ge-
schieht dadurch auf vollkommene Weise, daß sie auf den gedachten
G^enstand bezogen und darin ausgedrückt werden. Der gedachte
G^enstand ist ein Maßstab. Er kann als ein individueller be-
schrieben werden. Während die Allgemeinvorstellung, je weiter
und allgemeiner, desto ärmer an Merkmalen, kann der abstrakte Be-
griff, wenn er auf noch so viele Erscheinungen bezogen werden
soll, mit Merkmalen so reich ausgestattet werden, wie der Zweck
es erfordert Er repräsentiert seine eigene Idee, die Idee eines All-
gemeinen, das zugleich singuIär (individuell); er ist selber ein
Zeichen, ein Symbol und nichts anderes. Er ist um so zweck-
mäßiger, je mehr seine Merkmale scharf und bestimmt, je mehr sie
durch einander bedingt, also aufeinander in Gleichungen beziehbar
sind; er wird dagegen unbrauchbar, wenn seine Merkmale schon
als gedachte einander ausschließen oder — was dasselbe heißt —
einander widersprechen.
Tönnies, Philos. Terminologie. 3
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— 34 —
55. Definitionen sind nachdem gewöhnlichen Sinne des Wortes
nichts als Erklärungen von Wörtern, die Allgemdn-Vorstellungen
bezeichnen. Sie sollen also den Umfang dieser Allgemein -Vor-
stellungen angeben; die alten Rq;eln sind bekannt, daß dies geschehen
mfisse durch Verbindung der Gattung mit der spezifischen Differenz,
und was daraus abgeleitet wird: daß die Definition nicht zu weit,
auch nicht zu eng sein dürfe, daß sie also genau das decken solle,
was das Wort wirklich bedeute. Die Untersuchung der wirklich,
d. h. fast immer im Sprachgebrauche oder in einem speziellen
Bezirke dessen, geltenden Bedeutungen ist an und ffir sich dne
wichtige wissenschaftliche Aufgabe; aber mit den besonderen Zwecken
des wissenschaftlichen Denkens schlechthin, hat sie nichts zu tun.
In solcher Anwendung vermischt sich daher die Aufgabe in der
Regel mit der ganz anders gearteten, daß der Ddinierende angeben
solle, in welchem Sinne er den allgemdnen Namen gebrauchen
wolle. Wir sagen: die Aufgaben werden vermischt; denn tdls ist
man sich des Unterschiedes bei wdtem nicht immer bewußt, teils
wird erwartet, daß das wissenschaftliche Subjekt sich nicht als Sou-
verän geberde, d. h. daß es sich möglichst nahe an den Sprachge-
brauch halten werde, ja es wird vorausgesetzt, daß der Definierende
sdner Aufgabe am besten gerecht werde, wenn er in der Tat nur
den Sprachgd>rauch expliziere, mit anderen Worten^ wenn er das
denke, was Alle denken. Geschieht es nun, daß der flüssige und
mannigfache Sprachgebrauch in eine feste und einheitliche Form ge-
bracht wird, so kann allerdings eine solche Abgrenzung der Bedeutung
für viele Zwecke genügen. Sie ist auch der Sinn, in dem Gesetze
die Bedeutung von Wörtern bestimmen: hier fällt aber jeder Ge-
danke in sich zusammen, daß es sich um die Explikation des
Sprachgebrauchs handle; der offenbare Zweck ist vidmehr, die un-
bestreitbaren Grenzen der Gdtung des Gesetzes festzusetzen. Ganz
analog ist aber auch der Zweck, auf den die wissenschaftliche Defi-
nition immer bezogen werden muß: Gdtung innerhalb einer Ge-
dankenfolge, also eines Buches» eines Systems usw. Wer daher einen
wissenschafüichen Begriff ausprägt, der tut es auf seine Verantwortung
und mit völliger Freiheit gegenüber dem Sprachgebrauch. In diesem
Sinne sagte PASCAL: ^Rien n' est plus libre que les ddfiniH<ms<s^.
Und so haben die schärferen Logiker immer eingesehen, daß wissen-
schaftliche Ddinitionen Sätze sind, deren Wahrheit auf dem Willen
dessen beruht, der sie aufstdlt Auch wenn ein Name schon in
irgend wdchem z. B. wissenschaftlichem Sprachgebrauch einen B^friff
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bezeichnet, d. h. eine bestimmt abgrenzte Allgemein-Vorstdlung,
so muß doch der Definierende diesen B^ff und zugleich diesen
Namen sich zu eigen machen, wenn die Definition auch in seinem
Oedankenzusammenhange gelten, d. h. für ihn wahr sein soll.
Vollends ist aber die freie Definition notwendig, wenn mit jenen
ganz individuellen Denkgebilden operiert wird, die wir hier als ab-
strakte B^[riffe verstehen. Solche Definition ist mehr als eine
Erklärung, was ein Name bedeuten solle (und noch weiter entfernt
von dem, was er »in Wirklichkeit« bedeuten mag); sie will haupt-
sächlich die Sache, d. i. den gedachten Gegenstand beschreiben
und legt ihm dann, als abgekürztes Kennzeichen dieser Beschreibung,
einen Namen bei, der am besten willkürlich gewählt wird, als ein
jeder anderen Bedeutung barer. Die Beschreibung ist hier nicht
bloß eine Angabe von Grenzen, die sich wesentlich auf den Umfang
des Baffes beziehen muß; sondern eine möglichst vollkommene
Determination seines Inhaltes, ohne Rücksicht auf den etwanigen Um-
fing. Es ist nur ein Notbehelf, wenn sie in (nicht definierten)
Worten des Sprachgebrauchs geschieht; Wissenschaft bedient sich
dieser nur, wenn und so weit sie keine anderen, von ihr selbst
definierten Ausdrücke hat Treffend bezeichnet dies SIOWART mit
den Worten: »jede Definition setzt eine wissenschaftliche Termino-
logie voraus«.
Anmerkung i . Gleich anderen neueren Logikern unterscheidet Sigwart von blofi
analytischen Definitionen, »in denen der Wert eines Wortes durch eine gleichgeltende
Formel ausgedrückt wird«, synthetische Definitionen als solche, »die den Terminus
für einen neuen Begriff einführen«; er bemerkt aber nicht, dafi alle Definitionen
von wissenschaftlichem Sinne, wenigstens ihrer Intention nach, sjrnthetische Defi-
nitionen sind und an dieser Idee gemessen werden müssen; ebenso nicht, dafi es
bei dem Postulate von Real-Definitionen um nichts anderes als um diese sich
handelt; obgleich er im angeführten Zusammenhange von Formeln spricht, die »äufier-
lich einer Nominal-Definition gleich, der Sache nach von ihr verschieden« seien, so
meint er doch (wenige Seiten vorher), dafi der Begriff der sogen. Real-Definition
»für ims in der Logik keinen Sinn mehr habe«.
Anmerkung 2. Wenn Bischof Berkeley lehrte, und damit immer von neuem
Beachtung findet, dafi etwas Allgemeines überhaupt nicht gedacht werden könne, so läfit
ach darüber streiten, wenn man überein gekommen ist, was als Allgemeines und was
als denken zu verstehen sei. Wenn er aber darauf exemplifiziert und Neuere ihm
darin folgen, daß ein Dreieck, das weder gleichseitig noch ungleichseitig usw. sei,
nicht vorgestellt werden könne, so ist dies zwar richtig, beweist aber nichts.
Denn niemand wird behaupten, dafi es eine natürliche Allgemein- Vorstellung des
Dreiecks gebe; was aber den abstrakten Begriff Dreieck anbetrifit, so ist dessen
Gegenstand in der Tat hinlänglich beschrieben als ein von drei geraden Linien
eingeschlossener Raum der Ebene, wenn zuvor die Begriffe der Geraden und der
3'
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Xinie definiert worden, die verschiedenen Sorten von Dreiecken, die in der Vor-
stellung oder in der Zeichnung wirklich sind, verhalten sich zu dem Begriffe nicht
wie Arten zur Gattung, sondern sind seine Abbilder oder Verwirklichungen (ersten
und zweiten Grades) und als solche fflr und in bezug auf den Begriff völlig
gleichwertig. Im flbrigen verhalten sie sich zu ihm, wie isolierende Experimente
zu einem in abstraeto gedachten idealen Fall.
56. Inwiefern aber, was in der Wissenschaft gilt, als durch
sozialen Willen gültig gedacht wird, darüber wird noch eine kurze
Erörterung sich notwendig machen, nachdem zuvor von den Be-
deutungen eines höchst wichtigen anderen Zeichens gehandelt
sein wird.
57. Es ist beinahe ein philosophisches Herkommen, Worte
(oder »Bqjiffe«, an denen nur ihre Bezeichnung dann gemeint ist)
mit dem Oelde zu vergleichen, wie es auch in dieser Abhandlung
schon geschehen ist, u. a. als erwähnt wurde, daß konventionelle
Redensarten zuweilen für »bare Münze« genommen werden. In
der Tat ist die Analogie durchgehend. Dem Worte wie dem Oelde
ist es wesentlich, daß sie Zeichen sind, und daß sie — wonach
im Deutschen das Geld genannt ist — »gelten«, d. h. daß sie durch
sozialen Willen die Gegenstände, deren Zeichen sie sind, vertreten.
Das Wort ist Zeichen von Gegenständen als Vorstellungen oder
Ideen; das Geld ist Zeichen von G^enständen als Werten, d. h. in-
sofern sie als nützlich -angenehm empfunden und gedacht werden^
also auf das, was wir Wollen oder Streben im Menschen nennen
mögen, einen Eindruck machen, kurz: bejaht werden. Wir können
aber ohne Mühe die Analogie auch auf den verschiedenen Sinn aus-
dehnen, in dem Geld wie Wort »Bedeutung« hat Nämlich A^
durch naturwüchsigen sozialen Willen: das ist alles gemünzte Oeld„
B, durch künstlichen sozialen Willen: d. i. alles Papiergeld. Ebenso^
wie die Namen von B^iffen empirisch fast nur vorkommen, indem
sie auf die natürliche Sprache zurückführbar sind, so hat auch Papier--
geld empirisch nur Bedeutung dadurch, daß es auf das »natüriiche«
Geld bezogen wird; wie aber, der Idee nach, die Namen von Be--
griffen sich direkt auf fingierte, konsh-uierbare und daher gleiche
Gegenstände beziehen, so führt auch das Papiergeld den notwen-
digen Gedanken mit sich, direkt auf fingierte Werte, z. B. auf gleiche
menschliche Arbeitsstunden bezogen zu werden. Der Gegensatz
fordert etwas nähere Betrachtung. Wie das Wort aus dem, was
noch nicht Wort, so entwickelt sich Geld aus dem, was noch nicht
Geld ist Das ursprüngliche Geld ist von anderen Werten nicht
verschieden, dann nur wenig verschieden. Bekannt ist, daß auf
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niedrigen wirtschaftlichen Stufen viele Werte die Funktionen des
Geldes haben. »Wie rasch die allgemeine Absatzfähigkeit die Einbürge-
rung eines G^enstandes als Geld ermöglicht, daffir bieten die Berichte
neuerer Reisender unzählige Beispiele« (VON PHILIPPOVICH).
Der soziale Wille ist hier noch von der sozialen Praxis wenig oder
gamicht verschieden, wie der individuelle Wille auf seiner untersten
Stufe nur das Gefühl der Tätigkeit und die daraus sich notwendig
entwickelnden Gefühle gehemmter Tätigkeit (Unlust) und beschleunigter
Tätigkeit (Lust) ist. Aber zweitens^ »Übung und Gewohnheit haben
allmählich das absatzfähigste Gut (sollte heißen: die absatzfähigsten
Güter) zum allgemein üblichen Tauschmittel (immo = zu allgemein
d. h. in bestimmten Verkehrskreisen gültigen Tauschmitteln) er-
hoben« (VON PHILIPPOVICH). Das sind Metalle, mitzunehmendem
Besitze die edlen Metalle. Dazu kommt drittens die Garantie des
Gemeinwesens für ein bestimmtes Gewicht und bestimmten Gehalt
In Kleinasien haben sich »die Anfänge des Münzwesens entwickelt,
indem man Stücke edlen Metalles von bestimmtem Gewicht mit dem
Wappen der prägenden Stadtgemeinde als einer Art von Garantie-
stempel bezeichnete« (NASSE). Diese Garantie ist wesentlich eine
moralische, daher empirisch r^elmäßig eine religiöse. Das Wort
Moneta, das durch seinen Übergang ins Englische Weltbedeutung
gewonnen hat (money)y rührt vom Tempel der Juno Moneta her,
der ursprünglichen römischen Münzstätte.' — Mit der Garantie durch
den öffentlichen Glauben ist aber auch der Täuschung, der Lüge
das Tor geöffnet: hier liegt die historische Rolle der Münzver-
schlechterungen, die hauptsächlich in der Zeit des Übergangs zum
modernen Staate eine so übelberufene Rolle spielen. Der Staat, in
seiner ersten Phase zumeist repräsentiert durch Fürsten und ihre
Kriegskassen, verleiht den Münzen nicht so sehr durch moralische
Garantie ihre Geltung, als durch den Zwang, der das allgemeine
Tauschmittel zum gesetzlichen Zahlungsmittel macht Die Natur
dieses Zwanges zeigt sich erst in reiner Gestalt durch die Papier-
währung, die bedruckte Zettel zu gesetzlichen Zahlungsmitteln und
dadurch auch zu gangbaren Umlaufsmitteln erhebt, wobei ihr wirk-
licher Wert nicht sowohl durch den moralischen, als durch den
kaufmännischen Kredit der Staatsr^erung bedingt ist Dieser, der
kaufmännische Kredit, li^ überhaupt aller Geltung von Geldsurro-
gaten, seien es beschriebene, gedruckte oder lithographierte Papiere,
zu gründe. Er macht auch — und dies ist die Form, die wir
gegenüber dem staatlichen Papiergelde als die frühere Stufe ver-
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stehen — konventionelles Papiergeld (möge es so genannt
werden oder nicht) in Gestalt von numnigfachen Kredit-Umlaufsmittdn.
Dahin gehören »Wechsel, Anweisungen, Checks, Coupons, Brief-
marken« und charakteristischer Weise auch »einlösbares staatliches
Papieiigeld« (A. WAONER). Diesem ganz ähnlich ist die Banknote,
die von einer Monopol-Zettelbank ausg^fd^en wird, nachdem
soldier Bank die Ausübung des staatlichen Notenr^[als fibertragen
wurde. Die Verwaltung jeder großen Bank geschieht aber — in
weit höherem Maße als die Verwaltung irgend eines Staates — nach
wissenschaftlichen Prinzipien, insbesondere nach den R^eln
der Wahrscheinlichkeits- Rechnung (des T^calcul des probabiliUso).
Wir dürfen die Banknote (ihrer Idee gemäß) das wissenschaftliche
Geld nennen. Darum haben sich auch die philosophischen Pläne
einer Rekonstruktion der ökonomischen Gesellschaft so oft und
leicht mit dem Gedanken einer reinen Kreditwirtschaft verbunden,
die dann wohl als Synthese der Natural- und der Geldwirtschaft
baffen wurde. Das soziale Wertzeichen wurde — wie das Papier-
geld — nur von sozialem Willen sdne Gdtung ableiten; aber es
wurde, anstatt auf Gdd — das halb-natfirliche Zeichen aller Werte — ,
sich, gleich dem Gelde, direkt auf alle Werte beziehen. Werte
werden sonst gleich gemacht durch den Austausch, generell also
durch den Handel — ihre Gleichheit hat den konventionellen Cha-
rakter. Hier dag^en wfirde eine Gleichwertung nach wissenschaft-
lichen Prinzipien geschehen: Werte würden insgesamt auf die in ihnen
verkörperte notwendige Arbeit, diese am einfachsten auf die durch-
schnittliche Arbeitszeit bezogen werden. Ein Mittleres zwischen jener
realen und dieser idealen Gleichung kommt vidfach vor, z. B. in
gesetzlicher Bestimmung von Honoraren, von Beamtengdialten, und
liegt auch den gesetzlichen Beschränkungen der Arbeitszeit und
anderen Einmischungen in den freien Vertrag als Preisregulator
menschlicher Arbeitskraft, zu gründe. Femer kann aber die Idee
einer Anweisung auf »geronnene Arbeitszeit« füglich mit den zu-
gleich im Handd umgehenden und gesetzlich gültigen Besitz-
und Forderungstiteln verglichen werden; diese lauten zwar auf
dnen Geldbetrag, bei rdnen Besitztiteln (Aktien) ist aber dieser ohne
Bedeutung gegenüber der Bedeutung als Anteil an einem Kapital,
das mit seinem Geldwerte nur in der Rechnung figuriert
58. Die Mannigfaltigkeit des Sinnes, worin man von dnem
Worte oder anderen Zeichen sagen kann, daß es Bedeutung habe,
läßt sich also auf folgende Art klassifizieren: 1. Bedeutung nach
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der Absicht des Individuums, das sich des Wortes Oder anderen
Zeichens bedient (subjektive Bedeutung, die also hineingelegt
wird). 2. Diese aber ist wesentlich bedingt hinsichtlich des Wortes»
wie aller sozial gältigen Zeichen, durch die Bedeutung, welche sie
im r^;elmaßigen Gebrauche haben (objektive Bedeutung). Die ob*
jektive Bedeutung aber ist wesentlich verschieden, je nachdem der
soziale Wille, den wir als ihren Urheber denken, diese Bedeutung
mit dem Zeichen selber schaffend entwickelt, oder sie für bestimmte
Zwecke dem Zeichen beigd^ hat Wir nennen jene die natür-
liche, diese die kfinstiiche Bedeutung. Jede modifiziert sich nach
drei Gestaltungen des ihr zu Grunde li^^enden sozialen Willens,
die wir unterscheiden nach einem Prinzip, das in der ersten Gat-
tung (A) der Einteilung von Willenshandlungen in triebhafte, ge-
wohnheitsmäßige und gedankenhafte entspricht; sie wurden genannt:
natürliche Harmonie, Sitte, Glaube, oder in bezug auf die Sprache:
Sprachbildungstrieb, Sprachgebrauch, Sprachgenius.
59. Die Gestaltungen des sozialen Willens der anderen Gat-
tung (B) aber werden in analoger Weise unterschieden, je nachdem
er 1. auf seiner ersten Stufe aus den individuellen Willen hervor-
geht (sensuelle Stufe), 2. durch einen standigen, anerkannten Trager
repräsentiert wird (sensuell -intellektuelle Stufe), 3. als denkender,
durch mehrere, wenn auch nicht anerkannte Subjekte repräsentiert
wird (rdn intellektuelle Stufe). So unterscheiden sich Konvention,
Gesetzgebung, Wissenschaft, die wir in Anwendung auf die Bedeu-
tung von Wörtern
Abmachung Bestimmung Definition
nennen mögen. Nun soll in Kürze gezeigt werden, wie den Arten
des Sinnes, die so klassifiziert wurden, verschiedene Methoden für
Mitteilung und Ausl^^ung von Bedeutungen — der Wörter und
anderer Zeichen — entsprechen. Zuerst der Mitteilung, und zunächst
in bezug auf Wörter: hier ist der Redende oder Schreibende zu
beobachten. Auf der ersten Stufe ist die Mitteilung, und ent-
sprechender Weise das Verständnis, leicht unter gewissen primi-
tiven Bedingungen. 1. Je intimer die gegenseitige Zuneigung, Sym-
pathie oder auch ntu: die gegenseitige Kenntnis und Vertrautheit;,
wie leicht hier jedes Zeichen verstanden wird, jede »Andeutung«
genügt, läßt sich auch bei entwickelter Sprache im täglichen Lebens
bemerken, z. B. bei einem Liebes- oder Ehepaar, unter intimen?
Freunden u. dgl. Der Sinn der Worte ist hier am meisten mit
dem Sinne der Töne, also mit der Musik, der »Sprache des Gefühls«
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verwandt und verwoben. 2. Auch in weiterem Kreise, je näher
noch die Lautzeichen den natfiriichen Zeichen stehen (expressive und
imitative Laute). 3. Je mehr sie durch andere Zeichen, insbeson-
dere durch die Oeberdensprache untcrst&tzt werden (demon-
strative Laute) oder auch die bloß assoziativen Laute durch diese
und durch die vorher genannten beiden Arten unterstutzt werd^.
In umgdcdirtem Verhältnisse ist die Mitteilung schwierig, erfordert
daher die entsprechenden Hilfsmittel, wo sie ihrer entbehrt Die
Qeberdensprache tritt am häufigsten als »gemeinverständlich« vika-
rierend ein, wo die Wortsprache fehlt oder Ifickenhaft ist oder
wq[en organischer Defekte versagt — Bei schriftlicher Mitteilung
fallen aber die sub 2 und 3 genannten Hilfsmittel weg, nur
daß die gewollte Betonung wenigstens angedeutet werden kann,
teils durch besondere Zeichen, teils durch den »Bau« der Sätze,
femer kann das Verständnis des Geschriebenen durch bildliche Dar-
stellungen — von denen die Schrift abstammt, wie die artikulierte
Sprache von der unartikulierten — erleichtert, imter Umständen er-
setzt werden. — Auf dieser Stufe ist also die Mitteilung an indi-
viduelle und natüriiche Bedingungen gdcnüpft. Sie hat die (in
einem größeren Kreise) verstandene Sprache noch nicht als fertiges
soziales Organ, dessen jeder in dieses soziale Leben Hineingeborene
und Hineinerzogene mit relativer Leichtigkeit und Sicherheit sich
bedient Dies ist der Fall, in dem Maße als der Sprachgebrauch
eine Macht geworden ist Hier hat sich eine Masse von festeren
Bedeutungen herausgebildet, so daß sogar regelmäßig Wortvorstel-
lung und Gegenstandsvorstellung verschmolzen sind. In vielen Aus-
drücken, zumal solchen, die dem Alltäglichen ferne liegen (den Aus-
drücken »komplexer Ideen«), ist jedoch der Sprachgebrauch vieldeutig
und schwankend, läßt daher ihrer individuellen Anwendung große Frei-
heit Je mehr diese Freiheit gebraucht wird, desto mehr fällt der
Redende auf die Bedingungen der ersten Stufe zurück oder muß
seine Meinung, d. h. die Bedeutung, die er seinen Worten beigelegt
wissen will, in gewöhnlicheren, daher im Sprachgebrauch fester an-
gesiedelten Worten auseinanderlegen, sie also gleichsam »übersetzen«
(die komplexen Ideen explizieren). Die Sprache des Sprachgebrauchs
als ein Allgemeines gegenüber den vielen Mundarten unterscheidet
sich in fortgeschrittenen Bildungszuständen als Schriftsprache von
der Umgangssprache. Hier ist die Mitteilung individuellen Sinnes
in einem sozialen Stoffe zwar noch mit allen Mängeln behaftet, die
beim Gebrauche der Zeichen von Zeichen unvermeidlich sind; aber
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die Kenntnis der schriftlich fixierten Sprache nötigt auch zu einer
bewußteren Unterordnung unter gegebene, durch Lehre mitgeteilte
Normen und Regeln, deren Beobachtung wiederum das Verständnis,
also die soziale Anwendung, erleichtert. Ähnliches gilt auch für die
mündliche Mitteilung auf der dritten Stufe. Die Mitteilung bew^
sich hier zum großen Teile in festen Formen, die durch Alter und
Autoritäten geheiligt, daher als wertvolles Erbe überliefert und jedem
Teilhaber bekannt werden. Auch verbindet sich hier die auf der
zweiten Stufe vorherrschende Mitteilung von Vorstellungen mit der die
erste Stufe charakterisierenden leichteren, der Erregung von Gefühlen:
von sozialen Gefühlen differenzierterer Art, wir dürfen sagen, von
Feiertagsgefühlen. Sofern dies die Erfüllung ist, stört auch die
minder verständliche oder gar unverständliche Sprache nicht, die
also dann ihre eigentliche Bestimmung verfehlt, indem die Wörter
wieder auf die Assoziationen ihrer Klangbedeutung reduziert werden.
Mit dieser vermählt sich auch die poetische Rede: obgleich sie, wie
alle Kunst, ursprünglich durch Volksanschauung, Tradition, Kultus
:streng gebunden ist, neigt sie doch, phantastischer Eingebung fol-
gend, zu freierem Gebrauche der Sprache, und wird dadurch
schwerer verständlich, wenn nicht diese Tendenz wieder aufgehoben
wird dadurch, daß ihr die Phantasie der Hörer entgegenkommt,
an die sie durch bildliche Ausdrücke, durch Gleichnisse, durch Rhyth-
mus und Metrtim sich wendet. Echte Poesie ist die reinste Ge-
stalt des Sprach-Genius selber.
60. In schriftlicher Mitteilung fehlen der künstlerischen, feierlich
erhabenen oder schönen Rede wiederum die besten ihrer Ausdrucks-
mittel. Wo dennoch solche Rede gerade für dauernde Beurkun-
dung, daher für das Verständnis späterer Geschlechter dienen soll,
ist sie teils auf kurze zusammenfassende Formeln und auf »sym-
bolische Handlungen <*;, deren Bedeutungen leichter verständlich sind,
sich besser in gleichem Sinne erhalten, teils auf weitläufige »Um-
schreibungen« angewiesen. Daher die Bündigkeit des Lapidarstiles
neben der Breite des Kanzleistiles — beide wollen die Bedeutungen
ihrer Worte tief einprägen. Die »Schriftsprache« empfängt von
diesen Stilen, weit mehr aber von allen künstlerischen Stilen des
Wortgebrauches bedeutende Einflüsse, und wirkt um so mehr auch
auf den mündlichen Sprachgebrauch zurück.
61. Die folgenden drei Stufen stehen, wie schon angemerkt
wurde, in einer gewissen Korrespondenz zu den drei ersten; sie
stehen aber auch in einem sozialen Zusammenhange, so daß die
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vierte in der ganzen Reihe sich an die dritte, die fünfte an die
vierte anschließt usw. Alle drei spateren Stufen haben im allge-
meinen eine hohe Kultur, eine zu mannigfachstem Gebrauche aus-
gd>ildete Sprache, folglich auch die Schriftsprache, zur Voraussetzung»
Es wurde schon gesagt, daß sie sich der Sprache als eines Werk-
zeuges frei bedienen: das Wort wird in bewußter Weise zum Mittel
ffir den Zweck der Mitteilung gestaltet: daher fällt alles unwesent-
liche »Beiwerk«, das Gefühle ausdrückt und Gefühle err^ weg;,
die Sprache wird prosaisch, darum genügt der »trockene«, schrift-
liche Ausdruck; das Individuelle taucht unter, es herrschen bestimmte,,
soziale Stile, Formen, Methoden wie Schablonen, — alles dies um
so mehr, je reiner sich in der Wirklichkeit darstellt, was diesen Be-
griffen entspricht Auf der anderen Seite li^ aber gerade hier ein
entwickelter Individualismus oder Egoismus zu gründe — Bestre-
bungen, die sich um jeden Preis, also auch auf Kosten der anderen,
durchsetzen wollen, und auch die sozialen Ordnungen und R^da
nur als Mittel für ihre Zwecke betrachten, daher sich solchen nur
widerwillig und bedingter Weise unterordnen. Das soziale und
individuelle Prinzip balancieren also und streiten gegen einander^,
beide zur Schärfe und eben dadurch zu Gegensätzen entwickelt.
Für die Mitteilung in Worten ergibt sich daraus folgendes: das Ver-
ständnis ist auch hier nur leicht für den, der die »Sprache«, aber
auch die Ideen kennt; es ist sogar oft nur möglich dadurch, daß>
man »eingeweiht« ist; übrigens ist es im weiten Umfange femer-
bedingt durch Kenntnis der Person dessen, der seinen Willen oder
seine Meinung kundgibt, denn je nach ihrer Vertrauenswürdigkeit
muß erkannt werden, ob es ihr darum zu tun ist, etwas Wirkliches
mitzuteilen oder ob sie etwa gehaltlose konventionelle Phrasen,
»dreschen«, wenn nicht geradezu täuschen oder doch sich zwei-
deutig ausdrücken will; ebenso ob der Gesetzgeber etwa durch,
mehrdeutige Worte Schlingen 1^ oder Fallen stellt (man denke aui
sogenannte »Kautschuk-Paragraphen«!); ob der Gelehrte sich absicht-
lich in Dunkel hüllt und, weil seine B^;riffe schwach sind, der Worte-
Schwall vermehrt Immer bleibt hier, zumal wenn nur die Schrift-
zeichen von Worten vorliegen, der Auslegung (Interpretation) das
weiteste Feld. Diese ist ihrem Wesen nach immer Übersetzung in
eine leichter verständliche Sprache oder Ausdrucksweise. Sie ist
im allgemeinen innerhalb der gleichen »Sprache«, d. h. eines formal
zusammenhängenden Systemes, um so schwieriger, je weiter die Worte
von ihren ursprünglichen sinnlichen Bedeutungen oder von dem.
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ursprfinglich in ihnen enthaltenen sozialen Willen sich entfernt haben.
Die Methoden der Deutung sind daher 1. auf der ersten Stufe die
Etymologie, 2. auf der [zweiten die Erforschung des besten, d. h,
festesten, regelmäßigsten Gebrauches, 3. auf der dritten die der zu
Grunde liegenden Anschauungen, Meinungen, Vergleiche, Bilder
usw., um besondere Bedeutungen auf allgemeine, höhere auf ein«
fache, uneigentliche auf eigentliche zurückzuführen. Um solche
Zurückführung handelt es sich auch bei allen folgenden Stufen.
Hier ist nicht sowohl der ursprüngliche, als der gerade jüngste,
moderne Sinn zu erforschen, den die Wörter nach Absicht der
konventionell verbundenen Individuen, nach Absicht des Gesetz-
geberSy nach Absicht der wissenschaftlichen Autoren haben sollen.
In überwiegendem Maße sind es Begriffe, die hier bezdchnet
werden, d. h. Gedankengebilde bestimmter Intention, die nur in
Worten der gewöhnlichen Sprache (1—3) erklärt werden kann. Je
mehr diese Worte vieldeutig, ungewissen Ursprungs, schwankend
im Sprachgebrauch, figürlich sind, desto schwieriger ist die klare
und sichere Interpretation. Daher die Massenhaftigkeit von Kom-
mentaren und von Kontroversen zu rituellen Vorschriften aller
Art, nachdem sie zu konventionellen erstarrt sind; zu Gesetzbüchern,
die Rechtskraft erlangen oder erlangen sollen; zu philosophischen
Systemen, je zweifelloser solche als gültig anerkannt werden, wie
so viele Jahrhunderte hindurch Physik und Metaphysik des Aristoteles,
wie neuerdings zu KANT, geraume Zeit zu HEGEL usw. Ebenso
machen aber auch Dichter und andere Autoren, die als »klassisch«
gelten, Erläuterungen ihres Sprachgebrauches notwendig. Vollends
heilige Bücher und gar »Orakel«, die geflissentlich mehrdeutiger
Worte sich bedienen.
62. Es bedarf nur einer kurzen Hinweisung auf die Tatsache,
daß die Analogie des Zeichens »Geld« mit dem Zeichen »Wort«
auch auf die Arten der Mitteilung und Erklärung sich ersh-eckt,
wenn gleich diese Analogie nicht ins Detail sich verfolgen läßt In
engen Lebenszuständen, wo die Bedürfnisse gleichartig, werden
dauerhafte Werte leicht als Geld angenommen, bei höherer Ent-
wicklung r^fdmäßig nur Metallstücke; diese aber muß der Einzelne
noch prüfen auf Gehalt und Gewicht, bis der Garantiestempel den
Umlauf erleichtert und das Geld zum Gleichnis aller Werte macht
In der Regel ohne Zweifel zu erregen, wenn auch Falschmünzerei
jedem, der am Verkehr teilnimmt, Gefehr bringt. Papiergeld ist
seinem eigentlichen Sinne nach immer nur eine Anweisung auf Geld,
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also ein Zeichen des Zeichens, es kann aber völlig dessen Stelle
vertreten, also auch für alle möglichen Werte gelten. Es ist der
Fälschung noch mehr ausgesetzt, als die Mänze; besonders aber
steigert sich die Gefahr einer schädlich vermehrten Emission, die
das einzelne Stück entwertet, d. h. seine wirkliche und als vernünftig
anerkannte Geltung unter den »Nominalwert« herabdrfickt Ver-
gleichbar ist auch hier der Überfluß an Worten, den Redner und
Schriftsteller doloser oder fahrlässiger Weise emittieren; und gut-
gläubige Kommentare dazu können wohl an der Einfalt dessen ge-
messen werden, der sich Assignaten hat aufschwatzen lassen und nun
meint, daß man sie zu ihrem vollen Werte ihm wieder abnehmen
müsse, weil dieser Wert doch gedruckt, durch Stempel und Unter-
schriften beglaubigt, dastehe.
63. In diesem Zusammenhange bleibt noch die Erläuterung des
Sinnes übrig, worin wir »Wissenschaft« als eine Form des sozialen
Willens bestimmt haben, des Sinnes also, wodurch B^ffsnamen
ihre Bedeutung oder, sagen wir, ihren Kurs erhalten. Denn dieser
Sinn ist, seiner normalen Gestalt nach, durchaus bedingt durch die
Methode der Übertragung und Interpretation solcher Bedeutungen.
Dies ist auf den früheren Stufen nicht der Fall. Zwar veit)indet
sich auf allen die Lehre mit den übrigen Weisen der Bekannt-
machung oder des Bekanntwerdens öffentlicher oder geheimer Be-
deutungen von Wörtern; aber auf keiner bildet sie ausschließlich
das Wesen des sozialen Willens, so daß dieser durch Lehre entsteht,
erhalten und for^epflanzt wird. Von dieser Art ist aber die Wissen-
schaft: durch Lehre bildet sich eine Gemeinde, die an dem Besitze
ihrer B^jiffe, d. h. Kenntnis ihrer Bedeutungen und der Kunst, mit
ihnen zu operieren, Anteil nimmt Auch für die (korrespondierende)
dritte Stufe fanden wir Lehre charakteristisch; aber dort ist sie
nur die angemessene Form der Überlieferung, wie sie in minder
entwickelter Gestalt schon die spontane Nachahmung als Anleitung
dazu befördert. Der soziale Wille, den wir dort als Glauben be-
stimmten, ist ihr präexistent und bedingt sie selber. Hier aber wird
gedacht — auch dies ist ein idealer Grenzfall — , daß der soziale
Wille zunächst nur durch die individuelle Gestalt des Lehrers reprä-
sentiert wird; es sammeln sich um ihn die Schüler, die aus eigener,
freier Einsicht in die Anerkennung der von ihm gebildeten B^jiffe
und somit deren Zeichen gelten zu lassen, einwilligen. Hier ist die
Lehre weit davon entfernt, einen Glauben an die Zeichen, Teilnahme
an deren abgesonderter und heiliger oder auch nur ästhetischer Be-
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deutung beizubringen; vielmehr sind ihr die Zeichen an und für
sich völlig gleichgültig, sind nichts als Zeichen, d. h. als Mittel
für die Bezeichnung, ohne allen »inneren Wert«. Wir unterscheiden
so die Begriffe und untersuchen hier nicht, wie in Wirklichkeit die
Arten der Lehre sich zu einander verhalten; man sieht aber leicht,
daß sie zahlreiche Obergange aus der einen in die andere Gattung
darstellt Dagegen ist offenbar, wie der T^free assenU^ mit dem
Locke so eindringlich dem, der die Wahrheit suche, höchst vor-
sichtig umzugehen empfiehlt, mehr den Zweifel als den Glauben
zur Basis hat, daß er aber zu allererst den Begriffen gegeben werden
muß, die in Urteilen enthalten sind; und daß diese freie Überein-
stimmung B^jiffe zu konventionell gültigen Mitteln der Erkenntnis
stempelt In der Tat können freie Personen, auch ohne als Lehrer
und Schüler sich zu einander zu verhalten, über die Gültigkeit von
Baffen einen Vertrag schließen und die Bedeutung auch solcher
Wörter vereinbaren. Wir bringen aber durch Absonderung der
Wissenschaft den Gedanken zum Ausdruck — dem eine breite Wirk-
lichkeit entspricht — daß regelmäßig die Bildung und Ausprägung
von B^;riffen geniale Individuen zu Urhebern hat, die sich also
gewissermaßen, zunächst aber zu ihrer Schule, als Gesetzgeber ver-
halten. So sehr auch anderseits die Überlieferung und der blinde
Glaube in diesem Gebiete, wie in jedem anderen, eine große Rolle
spielt, so ist doch in einem Zeitalter wissenschaftlichen Lebens die
Entwickdung, Umbildung, Neuerung von Baffen, gleich den Um-
wälzungen der Technik, in weitestem Umfange der Beobachtung
offen. »Je mehr geistiges Leben eine Zeit enthält, desto
mehr wird sie die überkommene Lage der Terminologie
verändern.« (EUCKEN.) —
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II.
64. Es ist gefragt worden nach den Ursachen der Unklarheit
und Verwirrung in psychologischer und philosophischer Termino-
logie. Die Tatsache, daß solche Unklarheit und Verwirrung vor-
handen sei, wird als gegeben vorausgesetzt Es gehört daher nicht
zu unserer Aufgabe; diese Tatsache zu erhärten; den Zweifelnden
aber mössen wir auf Vergleichung der am meisten anerkannten und
je in ihrer Besonderheit hervorragenden Werke, europäischer und
amerikanischer Provenienz, hinweisen, von denen fast jedes in diesen
Oebieten mit anderen oder doch anders bestimmten Begriffen operiert.
Aber auch innerhalb eines jeden einzelnen Werkes wird man bei
scharfer Prüfung nicht immer eine durchgeführte Terminologie
antreffen, sondern oft den S3nn, in dem ein Kunstausdruck eingeführt
wurde, ja die Definition, die ihm mi^egeben wurde, im Verlaufe
der Erörterung verlassen und scheinbar vergessen finden, so daß der
Leser, der daran wie an einem Stab sich halten wollte, diesen unter
seiner Hand zerbrechen fühlt. »Wer die Philosophie ins Auge faßt,
«owdt sie sich mit dem Gesamtleben berührt, der wird die der
Unsicherheit und Verworrenheit der Sprache entstammenden Miß-
stände schmerzlich empfinden« (EUCKEN).
65. Wir richten also unsere Forschung ausschließlich auf die
Ursachen jener Unklarheit und Verwirrung, um dann auf die
Mittel zur Verbesserung so unerwünschten Zustandes bedacht zu sein.
66. Die wesentlichen Ursachen werden teils in allgemeinen
Hemmnissen, teils in den historischen Bedingungen enthalten sein,
die dem Stande und der Bew^^ng dieser Wissenschaften zu gründe
liefen. Diese aber sind von mannigfacher Art Wir müssen sie
hier darstellen, wie sie uns, für die Beurteilung dieser Kausalität, in
schärfster Ausprägung erscheinen.
67. Wir müssen aber zuvörderst feststellen, daß die Bemerkung
selber und die Klage über diesen Zustand nicht der gegenwärtigen
Zeit allein angehört, sondern von altem Datum ist Um von Stimmen
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aus der Antike abzusehen, so hat seit der Erneuerung der Wissen-
schaften eine Reihe hervorragender Denker auf das Übel einer un-
klaren Terminologie hingewiesen und den Ursachen nachgeforscht
Im 16. und 17. Jahrhundert verbreitete sich unter den freier Denken-
den die Überzeugung, daß der ganze herkömmliche Betrieb der
Philosophie auf den Universitäten — die Scholastik — wertlos sei.
Leere Wortwissenschaft werde gelehrt; unter einer ausgebildeten
Terminologie halte sich Unwissenheit und Abeiglauben verborgen.
Verhöhnt wurden die Kunstworte, verachtet die subtilen Distinktionen.
Man bekundete den Entschluß, diese ganze Oberlieferung von sich
abzutun, um unmittelbar zu den Dingen vorzudringen. Das Buch der
Natur hielt man allein für lesenswert; sei es, daß man, wie BACO,
von einzelnen Erfeihrungen zu Verallgemeinerungen sich erheben
wollte oder, daß man, wie GALILEI, erklärte, das Buch der Natur
:sei in geometrischen Figuren geschrieben, wer es verstehen wolle,
mfisse die Sprache der Triangd und Quadrate erlernen.
68. Die mathematische Richtung übertraf aber jene induktive
bei weitem an Gehalt und Wirkung; sie b^^ündete die moderne
Philosophie. Soweit nun diese die wissenschaftliche Aufgabe der
Naturerklärung sich setzte, ja in erster Linie Physik war, kam ihr
in der Tat die ausgebildete Zeichensprache der geometrischen
Figuren, der Arithmetik, und bald audi der Algebra in hohem
Maße zu Hülfe. Auf dem Werkzeuge der mathematischen Formel
beruht noch heute das internationale Verständnis der großen Theo-
reme, die in jenem Gebiete si^^reich geworden sind. Daneben hat
in jüngerer Zeit auch die wesentlich auf Induktion und Experiment
b^;rfindete Chemie ihre eigentümliche Formelsprache ausgebildet
Aber auch, was in Physik und Chemie über die Formeln hinaus-
geht, hat terminologisch geringe Schwierigkeiten gemacht Zum
guten Teile rührt dies günstige Resultat daher, daß man in der
Terminologie nicht neuerungsüchtig war; und dies wiederum ist
dem Umstände zuzuschreiben, daß trotz freien Schaltens der Ab-
straktion, die zu gründe liegenden Dinge und Vorgänge der Be-
obachtungund dem Experiment offen liegen, oder doch, als erschlossene,
in hohem Grade wahrscheinlich gemacht werden. Einmütig über
den Gegenstand der Vorstellung oder des B^rnff es, wird man gegen
die Bezeichnung gleichgültig, und läßt gern einen überlieferten
Terminus, wenn dieser auch ehemals eine andere Bedeutung hatte,
gelten, da niemand diese Bedeutung wiederherzustellen sich versucht
fühlt; oder man nimmt den von einem Meister geprägten Ausdruck
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— 48 —
dankbar entgegen, auch wenn er etwa »nicht glficklich gewählt«
scheint; um dem Streite über Oeschmacksachen vorzubeugen. So
ist denn im wesentlichen das erreicht worden, was die kühnen
Propheten des neuen Zeitalters verlangten. Um theoretische Logik,
daher auch um die Prinzipien der Terminologie, hat man sich wenig
gdcümmert; die ganze Scholastik ist über Bord geworfen, mit der
Theologie ist ihre Schwester, die Metaphysik, in einen Winkel ge-
schoben, von dem aus sie den Naturforscher nicht stören können:
Metaphysik hieß ja jene in »abstrusen Distinktionen« und unver-
ständlidien Ausdrücken sich ergehende Scheinweisheit, die zusammen
mit der Logik das »pedantische Studium des barbarischen Mittel-
alters« erfüllt hatte — auch durch die Logik wähnte man über die
Dinge selber, denen doch nur durch Erfahrung und durch Rechnung
beizukommen ist, etwas ausmachen zu können. Wenn diese Stellung
der modernen Naturwissenschaften zu den alten Säulen der Philo-
sophie bezeichnend dafür ist, daß jene sich völlig selbständig ge-
macht haben und beinahe völlig streich geworden sind, so hat
doch eine eigene Entwicklung der Logik und der Metaphysik nicht
gefehlt, so wenig, wie eine Ausdehnung des wissenschaftlichen
Denkens auf Gebiete, die der Physik und Chemie wenig oder gar-
nicht zugänglich sind, dem philosophischen Interesse aber mindestens
ebenso nahe liegen. Da ist denn nicht zu verwundem, daß von
jener Zeit an, da die Mechanik mitten in die Werkstätte der Natur
hineinzuführen schien, resolute Forscher unternommen haben, das
Werkzeug, dem dieser Erfolg am meisten verdankt wurde, teils zu
vorausnehmenden Verallgemeinerungen, teils zur Erweiterung der
Sphäre des Wissens überhaupt anzuwenden: das Werkzeug der
mathematischen Methode. Daher im stolzen und starken 17. Jahr-
hundert die energische Bemühung, neben der Physik auch die
Psychologie, die Moral und Politik ^more geometrico^ zu traktieren,
d. h. zu demonstrieren. Worin lag aber die Stärke dieser Methode?
Man war darüber einmütig: im lückenlosen Fortgange von ge-
sicherten Ausgangspunkten aus, mit anderen Worten in der Verknüpfung
unbezweifdter und unbezweifelbarer Sätze zum Beweise von Sätzen,
die sonst bestritten werden können. Einige erklärten: die Grund-
lagen sind lauter Definitionen, andere hielten sich an die gegebene
Form der Mathematik und meinten, weil jene absolute und höchste
Methode unmöglich sei — denn es gebe Urwörter, die man nicht
definieren könne — so müsse man darauf verzichten und sich be-
gnügen, alle Termini zu definieren, deren Sinn nicht durch sich selbe*
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klar und bekannt sei (vgl. PASCAL). Alle mußten die schärfste Auf-
merksamkeit auf die Terminologie gerichtet halten, und versuchen,
die Fundamente zu legen, die man für unentbehrlich hielt Man
war geneigt zu glauben, daß der größte Teil der Streitigkeiten
zwischen philosophischen Sekten verschwinden würde, wenn man
nin- über die Bedeutung der Wörter sich geeinigt hätte, man nahm
also an — und die Erfahrung des Tages lehrte es damals wie
heute — , daß viele Disputanten einander gamicht verstehen, daß
mancher mit seinem Gegner einverstanden sein würde, wenn er ihn
verstünde, d. h. wenn er wüßte, welche Meinung jener mit seinen
Ausdrücken verbinde: für den von Vorurteilen gereinigten Verstand,
der sich auf das Zeugnis der Sinne und, fügen einige hinzu, der inneren
Wahrnehmung (reflection) verlasse, könne es über die allgemeinen
Tatsachen und ihre nächsten Zusammenhange kaum eine Verschieden-
heit der Meinung geben. Das Unheil sei nur darin gelegen, daß
jeder diese Tatsachen anders benenne — also in der Sprachver-
wirrung. Mehr oder minder ausgesprochen, mehr oder minder
schrankenlos, war dies die Ansicht der Philosophen der »Aufklärung« :
DESCARTES, HOBBES. SPINOZA, PASCAL und der Logiker von
PORT- ROYAL, LOCKE, LEIBNITZ, BERKELEY, CONDILLAC,
WOLFF mögen hier im großen Zusammenklange genannt werden. Viel
seltener ist die Klage, daß unter gleichenAusdrücken sich Verschieden-
heit der Gedanken versteckt halte. Mehrere dieser großen Autoren glaub-
ten aber nicht, daß durch Definitionen aliein die Schwierigkeit gelöst
werden könne; sie bezweifelten die Tauglichkeit jeder Natursprache für
wissenschaftlicheZwecke. Die Anklagen, denen minder berühmteNamen
sekundierten, lassen sich leicht auf die drei Begriffe beziehen, unter
denen die gegenwärtige Abhandlung den natüriichen sozialen Willen
betrachtet hat Sie gingen nämlich dahin: 1. daß den Dingen ihre
Namen gegeben seien, auf Grund mangelhafter Erkenntnis, nach
den Eindrücken der Fantasie, nach dem Scheine. 2. daß der
Sprachgebrauch unsicher und unkonsequent sei, daß er in weitem
Umfange mehr den widersprechenden Gefühlen und Interessen als
den übereinstimmenden Einsichten und Gedanken der Menschen
Ausdruck gebe. 3. daß die gewöhnliche Rede, aber auch insbesondere
die philosophische Terminologie, angefüllt sei mit uneigentlichen
bildlichen Ausdrücken, wodurch Unklarheit und Verwirrung ge-
häuft werde. Die erste Ankl^^e richtete sich besonders gegen die
Klassifikation der Organismen. Sie war um so schärfer, da nach
der hergebrachten, bestautorisierten Lehre, die Gattungen und
Tönnies, Philos. Terminologie. 4
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Arten für Realitäten gehalten wurden, so daß also eine reale Essenz,
die durch den Namen bezeichnet werde, allen Individuen dieser
Gattung oder Art gemeinsam innewohnen sollte. In der Tat hängt
der »Realismus« der Schulen, in der Form, wie er gemeinhin ver-
standen wurde, innig zusammen mit der Meinung, daß zwischen
Dingen und Namen ein natürliches und notwendiges Band existiere,
während die nominalistische, freiere Denkungsart die Erschdnungen
in ihrer namenlosen Vereinzelung auffoßt, und das Recht in An-
spruch nimmt, sie neu zu benennen, wie sie es als zweckmäßig er-
kennt; praktisdi bedeutet das: sie nach ihren eigenen Gesichtspunkten,
d h. nach Beobachtung der konstantesten und am meisten charakte-
ristischen Merkmale zu unterscheiden, zu ordnen, zu klassifizieren.
Wenn hierdurch zunächst eine kfinstliche Systematik b^nstigt,
weil allein für möglich gehalten, schien, so mußte doch die Unter-
suchung selber den Gedanken der natfirlichen Ordnung hervor-
rufen, einer Klassifikation also, die den wirklich gemeinsamen Merk-
malen jeder Tier- und Pflanzenart, Gattung, Familie gerecht werde;
in diesem Sinne haben die großen französischen Naturalisten ge-
arbeitet, die Subordination und die Korrelation der Organe festzu-
stellen. Die Anerkennung und Aufdeckung eines »Bauplanes der
Natur«, den man in seiner durchgehenden Einheit, wie in seinen
mannigfachen Verzweigungen erforschte, hätte nun freilich, wenn
der alte Streit noch gelebt hätte, als ein Sieg des Realismus erscheinen
können, und hat durch die Lehre von der »Konstanz« der Arten
allerdings in dieser Richtung gewirkt Zugleich aber führte die
Morphologie unmittelbar in die Entwicklungslehre hinüber, die in
en^^;engesetzter Richtung, also wiederum im Sinne des alten Nomi-
nalismus, endliche Entscheidung zu bringen schien. Wie dem auch
sei, mit Gewißheit darf gesagt werden, daß der Fortschritt der be-
schreibenden Naturwissenschaften, und in Anlehnung an sie,
der Biologie, jene Klagen in diesem Gebiete zu schänden gemacht
hat; vom Standpunkte jeder Sprache — mögen nun ihre Be-
nennungen von antiker Wissenschaft abstammen oder diese von der
Volksanschauung noch ungetrennt gewesen sein — sind alle neueren
Klassifikationen der Organismen unnatürlich, d. h. sie beruhen auf
methodischem Studium innerer Verwandtschaft anstatt auf naiven
Wahrnehmungen äußerer Ähnlichkeit — sind daher aus dem Groben
in unendliche Feinheit entwickelt und angefüllt mit künstlichen
Namen, die freilich auch neue Verwirrung durch die Verschiedenheit
und den Streit der Systeme hervorbringen. Diese Terminologie
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aber — so wichtig auch die Biologie in philosophischer Hinsicht ist —
betrachten wir hier nicht als spezifisch philosophische mehr.
69. Hingegen besteht die zweite Anklage in voller Kraft noch
heute. Sie betrifft, ihrem Wesen nach, hauptsächlich die moralischen
Meinungen und Begriffe. Der Sprachgebrauch hat in bezug auf
diese eine charakteristische Funktion. Seine Zusammenhänge mit
den natürlichen Gefühlen und Gewohnheiten, aber auch mit dem
Volksglauben und mit gültigen Normen des Urteiles, treten hier auf
das deutlichste hervor. Die umlaufenden Prädikate, mit denen
Neigungen, Handlungen, Charaktere und Menschen bel^ werden,
gehören zu den Wörtern, die als ausschließliche Bedeutung oder als
Mitbedeutung eine Bejahung oder Verneinung — Billigung oder
Mißbilligung — des Redenden ausdrücken; sie geben aber diesem sub-
jektiven Verhalten die Form einer objektiven Qualität — (wie es, den
Lehren der reformierten Physik gemäß, in etwas anderem Sinne ebenso
mit den sinnlichen Empfindungen der Fall ist). Wenn nun zwar in
vielen Einzelheiten der individuellen Freiheit, mithin dem Zweifel und
dem Streite, weiter Spielraum bleibt, so sind doch die Prinzipien des
moralischen Denkens in der Sprache so festgelegt, daß ein Verstoß
dagegen nicht allein als Übertretung des Sprachgebrauchs, sondern
hauptsächlich als ein moralischer Frevel empfunden und verneint
wird. Die offene — d. h. durch Worte oder andere Zeichen kundge-
gebene — Billigung und Mißbilligung, generelle oder singulare, von
Handlungen, Grundsätzen usw. untersteht selber, als eine Handlung,
der öffentlichen Billigung und Mißbilligung und dem, was daraus
folgen mag. Der soziale Wille dieser ÖffenÜichkeit deckt sich nun aber
keineswegs mit demjenigen, der in der Sprache und ihrem Brauch sich
verkörpert. Von jenem gibt es viele Arten, deren Kreise mit den
Kreisen eines Sprachgebrauches zwar vielfach sich schneiden, hie und
da sich decken, teils aber ihn umschließen, teils in ihm enthalten sind.
Soziale Stände, Klassen, Schichten, Berufe, politische Körper, Korpo-
rationen, Parteien, religiöse Gemeinden, Sekten, Kirchen, künstierische
und wissenschaftliche Schulen und Richtungen — jede solche Gruppe
hat, wenigstens in einigen Stücken, ihre eigenen Urteile über das, was
gut oder böse, löblich oder verwerflich — freilich auch in weitem
Umfange über das, was wahr oder falsch, zu nennen sei; denn auch
dies involviert Bejahung und Verneinung und auch dies nicht allein,
weil das Wahre gesucht, das Falsche gemieden wird, sondern auch,
weil das, was gewollt wird, als wahr, was nicht gewollt wird, als
falsch behauptet zu werden pfl^, nach den Gesetzen der
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menschlichen Natur. Jede solche Gruppe ist eben, wenn überhaupt
einmütig, so über das, was sie will — möge es nun in Gewohn-
heiten oder Gesetzen, in Glaubens- oder wissenschaftlichen Bekennt-
nissen sich ausdrücken — und dies gibt jeder einen besonderen
Sprachgebrauch in Anwendung jener bejahenden und verneinenden
Namen. Teilweise sollen diese Namen, auch wenn sie sprachlich
als Qualitäten auftreten, nur den Willen bezeichnen und kundgeben,
teilweise aber nehmen sie allerdings in Anspruch, als den Dingen
wirklich zukommend, also zugleich als Wahrheiten zu gelten.
Philosophen nun haben sich oft bemüht, diesen Tatbestand aufzu-
hellen und dag^en rein sachliche Gründe für solche Benennungen
zu entdecken und festzustellen. Tatsächlich fließen aber in die
philosophischen Systeme ganze Ströme von jenen Partei-Ansichten
und Grundsätzen, so daß daraus notwendigerweise ein großer Teil
der beklagten Unklarheit und Verworrenheit der Terminologie sich
ergeben muß. Zum großen Teil hat dies seine direkte Ursache in den
noch bestehenden Abhängigkeiten dieser philosophischen Disziplinen
von der Theologie; diese Abhängigkeit selber ist aber nur eine besonders
starke Ausprägung der Bedeutung, die solchen Lehren im öffentlichen
Leben überhaupt, d. h. von jedem sozialen Willen beigemessen wird.
Die Lehren sdber sind nur sozialer Wille in einer sublimierten
Gestalt. Die moderne Gesellschaft und der moderne Staat haben
freilich in einem gewissen Maße ein Interesse an der wissen-
schaftlichen Bearbeitung auch dieses Gebietes. In dem Maße, als
sie von den traditionellen moralischen Mächten sich losreißen, um
so mehr, wenn sie sich ihnen en^egenstellen. Und femer in dem
Maße, als eine wissenschafUich basierte Überzeugung gebildeter
Menschen dem Frieden und der Ordnung innerhalb der Gesellschaft
und des Staates — natürlichem Inhalte ihres Willens — nützen
kann. Wo immer jene wissenschafUiche Bearbeitung enetigisch unter-
nommen wurde, da hat sie naturgemäß fast alle jene unter sich
streitenden Parteien zu übereinstimmenden G^;nem. Auch die
Gesellschaft ist — wenigstens in Europa — selten ihrer so bewußt
geworden, um eine reine und strenge Moralwissenschaft zu fördern»
Der Staat aber laviert zwischen alten und neuen sozialen Mächten;
je mehr er als materielle Stütze die neuen gebraucht, desto mehr
glaubt er, seine moralische Stütze nur den alten anvertrauen zu dürfen.
70. In Kraft ist auch noch das dritte Argument gegen die ge-
wöhnliche Sprache. Die Sprache ist erfüllt von metaphorischen
Ausdrücken. Und zwar besteht eine merkwürdige Wechselwirkung
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zwischen den Bezeichnungen für physische (objektive) und psychische
(subjektive) Vorgänge. Während eine poetische oder mythologische
Denkungsart — worauf schon hingewiesen wurde — in der Sprache
dahin niederschlägt, daß die Dinge personifiziert und durch ihre
freien Tätigkeiten das Geschehen zugleich ausgedrückt und erldärt
wird, so wird andererseits durch Metaphern die überwiegende Masse
der psychischen Tatsachen materialisiert und also objektiviert, ja
schon durch die Gewohnheit, ein grammatisches Subjekt als »Ding«
zu bezeichnen, Dinge aber als räumlich ausgedehnt oder körperlich
vorzustellen. Mit beiden Arten natürlicher Ausdrucksweise hat auf
Schritt und Tritt die psychologische Terminologie zu kämpfen. Die
Überwindung des Anthropomorphismus ist ihr bereits in hohem
Maße gelungen, aber Unsicherheiten und Rückfälle lassen sich doch
überall beobachten. In der modernen glänzenden Entwicklung, die
der Psychologie der Empfindungen und Vorstellungen zu teil ge-
worden ist, hat doch vielfach eine neue Anwendung der Bilder-
sprache stattgefunden: man denke an die Verschmelzung, die Schwelle
des Bewußtseins, u. a. Termini, deren Bedenklichkeit hiermit aber
nicht behauptet werden soll. Viel größeren Schwierigkeiten begegnet
auch terminologisch die Analyse der Gefühle und des Willens, in
deren Schilderung die poetische und rhetorische Sprache ihre Triumphe
feiert Alle diese Schwierigkeiten hängen aber mit den Schwierig-
keiten der Sache, auf die uns eine folgende Erörterung hinführt,
aufs innigste zusammen.
71. (2.) Unter den historischen Ursachen des betrachteten Phä-
nomenes, wie es in g^enwärtiger Zeit sich darstellt, tritt zunächst
am stärksten hervor: der Untergang der europäischen Gelehrten-
sprache, des Neu-Lateinischen. So lange, als man diese besass, gab
es, wenn auch nur der Wortform nach, eine wissenschaftliche Ter-
minologie, die allen gemeinsam war; zugleich unterschieden sich
äußerlich die gelehrten Kunstausdrücke von der flatterhaften Sprache
des täglichen Lebens, der Dichtung usw. International war die
lateinische Sprache als Kirchensprache; von der Kirche aus hatte sie
über alte und neue Künste und Wissenschaften sich ausgebreitet.
Je mehr sich diese von der Kirche entfernten und frei machten,
desto mehr wurden sie »national«, das hieß zunächst nichts anderes,
als einer größeren Schriftsprache-Gemeinschaft zugehörig, deren Ge-
staltung sie selber beförderten. Wie das Latein die Sprache des
geistlichen Standes, so gehörte die nationale Schriftsprache dem welt-
lichen Adel und den bürgerlichen Schichten, die sich ihm an die
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Seite stellten. An diesen sozialen Mächten aber rankten die Natur-
wissenschaften, und folglich die neue Philosophie sich empor. In-
zwischen verharrte die offizielle Wissenschaft mit geringen Abwei-
chungen, unter geistlichem Einflüsse; die Universitäten und Schulen
blieben im wesentlichen, bis gegen das Ende des ISten Jahrhunderts,
der lateinischen Sprache treu. Die neue Philosophie war ein Frei-
meistertum g^enüber den Zfinften: von den Seite 49 genannten
glänzenden Namen gehörte ein' einziger einem philosophischen Wür-
denträger, und dieser einzige (CHRISTIAN WOLF) wurde im Jahre
1723 unter Androhung des Stranges von seinem Hallischen Lehrstuhl
vertrid)en; zu jenen Freimeistem gesellen sich noch u.a. HARTLEY,
PRIESTLEY, HUME, VOLTAIRE, DIDEROT, HELVETIUS, ROUS-
SEAU; unter den Deutschen möge noch aus dem 17ten Jahr-
hundert TSCHIRNHAUS, aus dem ISten sollen LESSING und HER-
DER genannt werden. Übrigens aber hebt der gelehrte Zustand der
Deutschen von dem der beiden anderen leitenden Nationen — Italien
versinkt nach GALILEIs Prozess in den Klerikalismus zurück — in
höchst merkwürdiger Weise sich ab. Während die deutschen Univer-
sitäten bis gegen Ende des 1 7 ten Jahrhunderts fast unberührt blieben
von den neuen Paradoxen, so fand im ISten eine rasche und entschie-
dene Aneignung und Verarbeihing der rationalistischen Prinzipien statt.
Das war ein Erfolg des Systems der Konkurrenz und der kleinen
Höfe. Charakteristisch dafür ist die Aufnahme WOLFs in Marburg;
auch sind Gestalten, wie die von CHR. THOMASIUS und N.
H. GUNDLING nur in der deutschen Kleinstaaterei jener Zeit vor-
stellbar. Erst die Revolution brachte auch in Frankreich eine freie
Universitätsphilosophie, die Schule CONDILLACs, zur Geltung.
72. Von Deutschland aus war aber jenes vielbändige, in der
gelehrten Sprache würdevoll wandelnde System der neuen Welt-
weisheit ausgegangen, das den G^ensatz von scholastischer Formen-
strenge und freiem Vemunftinhalt bis zu einer gewissen Höhe in sich
vereinigte, das Werk CHR. WOLFs, des späteren K. Preußischen
Geheimen R^ierungsrates. Zum ersten Male wurde dieser gesamte
Inhalt planmäßig einer ausgestalteten, aus altem und neuem Material
zusammengesetzten Terminologie unterworfen, die mächtig dazu
helfen mußte, den Widerstand des Katheders, soweit er darin beruhte,
daß in der hergebrachten Schale auch der alte Inhalt tradiert wurde,
zu brechen. Ohne die Herrschaft der Wolfischen Philosophie auf
den Universitäten läßt weder das tiefe Eindringen der Aufklärung
in das deutsche bürgerliche Bewußtsein sich begreifen, noch der
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dadurch mitbedingte Aufschwung der poetischen Literatur, noch end-
lich die umgestaltende Wirkung, die der größte, aus diesem Zustande
hervorgegangene I>enker, IMMANUEL KANT, als Professor der
Philosophie erzielen konnte. KANT, der mit großer Freiheit die Ter-
minologie für seine Zwecke umprägte, blieb doch in breitem Um-
fange von dem abhängig, was er aus den Büchern der Wolfianer
empfangen hatte; bezeichnend dafür ist seine Gewohnheit, dem deut-
schen Terminus die lateinische Fassung in Parenthese hinzuzufügen.
Aber die gemeinsame Sprache der Gelehrtenrepublik ist im 19ten
Jahrhundert, das er einleitete, tiefer als zuvor in den Hintergrund
gesunken. Die Nachteile, die daraus sich ergeben, sind besonders
für die kleineren Nationen bedeutend, und dadurch indirekt für die
Gesamtheit, dass sie die Entwickdung tüchtiger Ingenien in diesen
kleineren Nationen hemmen, das Bekanntwerden ihrer Werke noch
schwerer machen, als dies für die Werke der großen Sprachgebiete
zutrifft, wo wenigstens allgemeinere Fähigkeit gegenseitiger Kenntnis
sich mehr und mehr ausbreitet, auch durch Übersetzungen leichter
geholfen wird. Hingegen haben freilich die kleinen Nationen den
Vorteil, daß sie dem Schrifttum dieser großen Sprachgebiete mehr
oder minder indifferent gegenüberstehen, sich den Honig aus
den Blüten saugen können, anstatt genötigt zu sein, durch die
massenhaften Unkraut-Produkte jeder einzelnen Großsprache — wie
die Gelehrten, die deren Gebiet angehören — sich ihren W^ zu
bahnen. Dies ist auch für die Terminologie von Bedeutung; denn
je weniger das wert ist, was einer gedacht hat, desto weniger lohnt
es sich, mit dessen Kunstausdrücken sich zu plagen.
73. (3.) Wenn einst den Universitäten — und zwar zum teil
mit Recht — ein unnützes Raffinement der Terminologie, das über
Worten oder doch über Begriffen die Sachen vergesse, schuld ge-
geben wurde, so ist doch als Ursache des gegenwärtigen dissoluten
Zustandes auch der Verfall der Schultradition und die verminderte
Stellung der Philosophie im gelehrten Unterricht — wenigstens für
Deutschland — anzusehen. Ober den letzten Punkt lese man
PAULSEN. Die allgemeine Tatsache hängt in der stärksten Weise
mit dem zuletzt verhandelten Gegenstande zusammen. Denn durch
die feindliche Stellung g^en die Universitäten und durch den Aus-
schluß von ihnen gewann die neue Philosophie ebenso wie durch
ihre inneren Tendenzen eine Annäherung an die gemeinvemünftige
Denkungsart oder, wie man sagte, den gesunden Menschenverstand
— common sense — und damit zugleich an die freie, kritisch-
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räsonnierende Literatur der heimischen Sprache, die, zumal seit sie
periodisch wird, zur Signatur des Zeitalters gehört Die große Arena
der öffentlichen Meinung tritt an die Stelle der Disputatorien in
Klöstern und Hörsälen. Das g^;enseitige Verständnis dort wird
schon durch die grenzenlosen Entfernungen, den Mangel person-
licher Bekanntschaft, die Massenhaftigkeit der durcheinander lautbaren
Stimmen erschwert Und wenn auch das geschriebene Wort besser
erwogen werden kann als das gesprochene, so entwöhnen doch schon
die Hast der Produktion, dazu der Mangel an jeder Autorität, an
jedem sichtbaren Richter, und die Erfolge der Kedcheit, der Schlag-
wörter, den »Literaten« gar sehr von der Präzision des Denkens,
von der sorgfaltigen Wahl der Wörter, von der Gewissenhaftigkeit
des Eingehens auf eine etablierte Terminologie, zumal wenn sie im
Gebrauche des Gegners ist Gerade die Häupter der anti-schola-
stischen Philosophie sprachen wohl über exakte Terminologie, aber
waren, nur zum teil, auch praktisch bemüht um Definitionen, wo-
bei denn gerade in den heftigsten G^;nem der Einfluß der Tradition
sich am stärksten erwies. Man wollte aber vor allem Verein-
fachung — wenige, leicht erlernbare Kunstausdrücke, meinte man,
müßten genügen. Mehr und mehr bildete sich eine philosophische
Popularliteratur aus, die die Sprache der Höfe, der Salons oder der Märkte
und Wirtshäuser redet — eine Gefahr für das genaue und strenge
Denken, die mit großer Kraft ein Haupt dieser Popularphilosophie,
JOHN LOCKE, signalisiert hat, „I con/ess'', erklärt er am Schlüsse
des langen Kapitels über den Mißbrauch der Worte, „in discourses^
where we seek rather pleasure and delight, than information and
improvement, such Ornaments, as are borrowed from them, can
scarce pass for faults, But yet, tf we would speak ofthings as
they are, we must allow that all the art ofrhetorick, besides order
and cleamess, all the artifical and figurative application o/words,
eloquence hath invented, arefor nothing eise, butto insintcatewrong
ideas, move the passions, and thereby mislead the judgmenty and
so, indeed, are perfect cheat .... where truth and knowledge are
concerned, cannotbutbethought agreat fault, eitherofthelanguage,
or person that makes use ofthem". In dem vorausgehenden Satze
bemerkt er aber, daß „wit andfancyfinds easier entertainment in
the World, than dry truth and real knowledge'', und dies gilt,
trotz des enormen Fortschrittes der Wissenschaften, auch heute, zumal
auf den Gebieten, die man nicht kennen zu lernen sucht um eines
praktischen Nutzens willen, deren Nutzen man nicht einsieht, oder
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die auch eines unmittelbaren Nutzens, wenigstens für äußere Zwecke,
sich nicht rühmen können. Gerade die Psychologie ist der natür-
liche Tummelplatz des Witzes und der Phantasie, und Belehrung
wird hier ungern aufgenommen, wenn sie mit der Unterhaltung in
Wettstreit gerät. Und doch ist die unterhaltende Belehrung keines-
wegs verwerflich; sie sollte nur möglichst scharf von der termino-
logisch »trockenen« esoterischen Wissenschaft getrennt gehalten wer-
den. Aber das Übel ist in einigem Maße der Entwickelung
inhärent: die sich emanzipierenden, kühneren Gedanken durchbrechen
die alten Formen, starren Regeln, steifen Kunstausdrücke, wie eine
Flamme, verzehrend und erleuchtend, »einhergeht auf der eigenen
Spur, die freie Tochter der Natur«. In Deutschland zumal wieder-
holt sich, in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts, in verkürztem
Maßstabe das Schauspiel, das die neue Philosophie als Ganzes gegen-
über der Scholastik darbot. Eine neue Universitäts-Philosophie war
etabliert worden. An ihrer Geschichte gehen wir hier vorbei. Sie
gipfelte in HEGEL, der seine eigene Sprache redete, den »Jargon«,
wie die Gegner spotteten. Als Universitäts-Philosophen, die seiner
Alleinherrschaft entgegenwirkten, machten nur BENEKE, der nie ein
Ordinariat erlangte, und besonders HERBART Schule. Dann aber tritt
wieder, mit breiterem Einflüsse, eine Schar von Freimeistem auf, die
ganz auf ähnliche Art, wie die Neuerer überhaupt gegen die Scho-
lastik, besonders auch mit den charakteristischen Beschwerden über
»Unverständlichkeit der Sprache«, wider die gesamte »spekulative«
Philosophie beredt und rücksichtslos sich kehren und das Publi-
kum um so mehr für sich gewinnen, da sie der gleichzeitig aufs
neue von aller Philosophie sich losreißenden Naturwissenschaft,
mehr oder minder mit Reserven, huldigen, und wiederum der Popu-
lar-Literatur sich deutlich nähern. Die Namen SCHOPENHAUER,
FEUERBACH, DÜHRING, VON HARTMANN — vielleicht muß man
jetzt sogar NIETZSCHE hinzufügen — bezeichnen das Gemeinsame
dieser Richtungen. Neue Schultradition, die, wenn auch in stark diver-
genten Richtungen, sich ausgebildet hatte, ist rasch von neuem zersetzt
worden. Über das Ergebnis dieser Gesamt-Entwickelung — von der
die letzte Phase naturgemäß am lebhaftesten nachwirkt — für das
g^enwärtige Thema, mögen wir das klare Zeugnis eines besonnenen
Sachverständigen hören, das unsere eigene Kenntnis nur bestätigen
kann. »So traten — heißt es bei EUCKEN — mannigfache Systeme
und Richtungen auf und behaupteten neben- oder nacheinander
Macht und Herrschaft Aber keinem gelang es, die Überlegenheit
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dauernd zu wahren. Das erweist sich auch in der Terminologie.
An dem im allgemeinen wissenschaftlichen Sprachgebrauch Umlaufen-
den lassen sich alle jene Systeme erkennen, wenn auch in sehr ver-
schiedenem Grade (unbedingt überwi^ noch immer HEGEL). Ein
gewisser Synkretismus ist unleugbar vorhanden, mit allen Mangeln
und Gefahren (Zwar) erhält sich bei einzelnen Genossen-
schaften und Sekten durch Ablehnung alles Fremden eine strenge
Observanz. Indessen gleichen die Termini solcher Sekten den
Scheidemünzen, deren Geltung nicht über das enge Gebiet hinaus-
reicht Namentlich bei uns Deutschen hat sich mannigfaches
und entg^engesetztes so sehr gehäuft und in einander geschoben,
daß die technisch philosophische Sprache kaum noch ein Mittel der
Verständigung bildet« Seitdem dies geschrieben wurde (vor etwa
29 Jahren) hat sich der äußere Zustand etwas verändert Das philo-
sophische Studium auf den Universitäten, das Jahrzehnte lang schatten-
haft war, hat b^onnen, wieder aufzuleben; nun aber unter einem neuen
Zeichen, dem die ganze Entwicklung vorgearbeitet hat: ȟberall beginnt
man von den Wissenschaf ten aus zu philosophieren» (PAULSEN);
die Wissenschaften aber, von denen aus es am meisten auf energische
und hoffnungsvolle Art geschieht, sind nicht, wie im löten und 17ten
Jahrhundert, die Naturwissenschaften, sondern die Geisteswissen-
schaften, die sich nunmehr solider zusammenfügen: Psychologie und
Soziologie (die auf Sozialpsychologie beruhen muß) sind ihre Zen-
tren, Biologie bildet die Brücke zwischen den beiden großen Ge-
bieten. Ausbildung und Einfluß dieser Wissenschaften beruhen
aber auch auf Wechselwirkungen des deutschen Denkens mit dem
Denken anderer Sprachgebiete. Soweit allgemeine (logisch-spekula-
tive) Philosophie überhaupt noch geachtet wird, so hat unstreitig
nur die deutsche in diesem Jahrhundert einen Rang gewonnen und
macht ihre Einflüsse in allen Ländern geltend. Anders mit den
Einzelwissenschaften und mit der Philosophie, die über ihnen sich
aufbauen will. Hier findet ein vielfeiches, wenn auch nur in den
Gipfeln und Ausläufern sich begegnendes Zusammenwirken statt, so
daß der relative Anteil eines einzelnen Sprachgebietes, an dessen
Ausdehnung gemessen, schwer sich herausrechnen läßt Dieses
Zusammenwirken ist besonders da fruchtbar geworden, wo es, wie
in Biologie und Individual-Psychologie, auf sachlich und termino-
logisch festangesiedelten Nahirwissenschaften beruhte. Das inter-
nationale Verständnis findet an diesen seine Grenzen. Indessen wird
mehr und mehr die Psychologie der isolierten Empfindungen, durch
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experimentelle Methode gefördert, nach Art einer Naturwissenschaft
abgehandelt (wozu die Anbahnung langst in der Physik der wahr-
nehmbaren Qualitäten geschehen war) und prägt sich wenigstens
eine beschränkte Zahl von Begriffen so aus, daß sie in alle Sprachen
leicht übertragen werden und ffir die Herstellung einer identischen
Terminologie dieses Zweiges das Fundament abgeben können. Die
Einteilung aller psychischen Tatsachen in Empfindungen und Ge-
fühle, obgleich dem englischen Sprachgeiste etwas widerstrebend,
scheint sich durchzusetzen; sie ist nur eine, den heutigen Kennt-
nissen angemessene Erneuerung der alten Dichotomie intellectus-
voluntas: an die Stelle der einfachen Potenzen sind Komplexe von
Akten getreten.
74. (4.) Übrigens aber begegnet uns als ein mächtiges und zwar
inneres Hemmnis der Verständigung in Worten (also als eine Haupt-
ursache des vorhandenen Zustandes) die Verschiedenheit des Denkens
selber. Prinzipiell muß die Frage, ob eine gemeinsame Terminolo-
gie trotz differierender Grundsätze, Meinungen, Theorien, möglich
sei, unbedingt bejaht werden. Das ist ja gerade der Zweck, dem
zu Liebe eine wissenschaftliche »Sprache« immer geschätzt und ge-
sucht wurde, dem sinnlosen und unfruchtbaren Streiten um
Worte, nicht aber dem sinnvollen und fruchtbaren Streiten um Sachen,
ein Ende zu machen. Aber mit Recht hat sich KANT g^en jene
oft vertretene Maxime gewandt, »alle Streitigkeiten der philosophischen
Schulen für bloße Wortstreitigkeiten zu erklären«. Nicht allein, daß
auch das G^enteil vorkommt: scheinbare Übereinstimmung, die
aber nur in Worten besteht, bei denen jeder sich etwas anderes
denkt; nicht allein, daß verschiedenes Urteilen über Dinge und
Vorgänge schon in den Kunstausdrücken sich ausprägt; sondern
manche Disputationen sind desw^en leer, weil der Gegenstand,
den A durch seinen Terminus bezeichnet, und von dem er etwas
aussagt, dem B durchaus unbekannt ist, und weil B auch weder
willig noch fähig ist, diesen G^enstand zu erkennen.
75. Mit Recht weist EUCKEN überall auf die Zusammenhänge
der philosophischen Sprache mit dem philosophischen Denken selber
hin. Die Geschichte der Terminologie reflektiert die Geschichte der
Philosophie. Wenn wir die Entwicklung aus der Scholastik, und
wider sie, unter diesem Gesichtswinkel betrachten, so sehen wir zu-
nächst ein großes Zerstörungswerk. Die Vereinfachung der Termino-
logie, worauf wir schon hingewiesen, entspricht einer Vereinfachung
des Denkens selber. Das Streben darnach durchzieht die ganze
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Epoche bis in unsere Tage hinein. Es befriedigt sich hauptsächlich
in der mechanischen Deutung der körperlichen Dinge. Hinter dieser
li^ das Trachten nach technischer Beherrschung der Materie
und der »Slaturkräfte«. Wo die mechanische Erklärung der Vorgänge
nicht hinanreicht — in der Chemie — , da diktiert sich um so mehr
die Auflösung des Stoffes in letzte Elemente und elementare Ein-
heiten: die Analyse zum Behufe der Synthese. Die gesamte Tendenz
stellt den Menschen der ganzen übrigen Natur gegenüber. Der
Mensch denkt — zunächst und hauptsächlich über Materie und
Bewegung, deren Zusammenhang und Zusammenhänge er also er-
kennt, um dann an sich zu denken, d. h. zu wollen, Materie und
Bewegung seinen Zwecken dienstbar zu machen. Zur Materie und
Bewegung gehört auch der menschliche Körper und sein Leben;
der Mensch erkennt beides, um der Medizin willen. Maschinerie
ist alles, nur allein in der menschlichen Maschine wohnt auf un-
begreifliche Art, aber mit einem Vermögen, diese ihm zufällig ver-
bundene Maschine teilweise zu dirigieren, dadurch aber auch in das
ganze übrige Triebwerk hineinzugreifen, das denkende Ich, jenes
völlig Andersgeartete, das die ihm fremde, gleichgültige, tote Materie
— auch der Tiere und Pflanzen — seinem Erkennen und Wollen
unterwirft. Diese Idee, deren Notwendigkeit wir hinlänglich begreifen,
wenn wir sie in ihrer Abhängigkeit von der tatsächlichen historischen
Entwicklung verstehen lernen, hat ihren klassischen Ausdruck ge-
funden im Systeme DESCARTES', das diese Prinzipien auf eine beinahe
vollkommene Art formuliert hat: die beiden entgegengesetzten Ex-
treme, die daraus immer von neuem hervorgehen, der Phänomenalismus
(oder Idealismus oder wie immer man — neuerdings auch Realis-
mus — diese »Erkenntnislehre« benennen mag) und der Materialis-
mus (in seiner vulgären Fassung) sind nur Modifikationen, in denen
der Grundcharakter minder deutlich sich abbildet. DESCARTES ist es
nun auch, der auf die Terminologie radikal zerstörend und
nivellierend gewirkt hat — wenn andere mit ihm wetteifern, so ist
jedenfalls sein Erfolg in dieser Hinsicht am stärksten gewesen.
Er eroberte die Schulen — dies die innere Bedeutung des Wolfianis-
mus — und wenn auch damit Gedanken und Termini vom Ein-
fachen wieder zu komplizierten Gestalten fortschreiten (wie
vollends in den einzelnen Naturwissenschaften), so erhält sich doch
der strenge rationalistische Typus. DESCARTES hatte ihm die Signatur
gegeben: klare und deutliche Begriffe, alles andere bannend.
In der wichtigsten Anwendung, derjenigen auf die materielle Natur,
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bedeutet dies: ausschlieBliche Geltung der mechanischen Prinzipien.
Wenn aber dieser revolutionäre Anspruch schon in der Physik, viel
mehr aber in der Chemie, auf heftige Widerstände stößt, die nur
Idee und Hoffnung fiberwinden, so scheint er zunächst ganz und
gar zu scheitern in der Biologie. Was jener Anspruch eigentlich
ausscheiden wollte, das ist das Nur-Denkbare; klares und deutliches
Denken hält sich an die sinnliche Wahrnehmung, indem es sich
von ihr trennt Es scheidet ihre subjektiven Bestandteile aus, um
desto reiner ihren objektiven Gehalt — die Ausgedehntheit der
Materie — darzustellen. Hier bleibt kein Raum fibrig für etwas
Nur-Denkbares; die Teile der Materie sind wirklich und veriLndem
nur ihren Ort, d. h. ihre g^enseitige Lage in der Bewq^ung. Nur-
denkbar ist das Mögliche — daher die so von selbst verständ-
lich scheinende Ausstoßung des Möglichen aus der Wirklichkeit
Von selbst verständlich, ganz und gar naturlich, scheint in der Tat
dem Rationalismus alles, was er will, und er sich selber; daher
verwirft und verspottet er die scholastischen Begriffe als unsinnig.
Die Cartesianer schalten schon die Gravitation der Newtonschen
Physik als okkulte Qualität, der Begriff der chemischen Affinität
war bei seinem Urheber, BOERH AAVE, nichts als ein neuer Ausdruck
für die bei allen Neueren übelberufene »Sympathie« zwischen Kör-
pern oder Elementen; der Rationalismus gibt diesen Begriffen all-
mählich eine, wenigstens provisorische, mechanische Interpretation.
Dag^fen verwirft er den B^ff der Lebenskraft ganz und gar, nd^st
allen daraus abgeleiteten, spezifischen Kräften des Organismus. Lange
Zeit schien er — während des letzten Menschenalters — hier zu
triumphieren; es galt wie ein Axiom, daß das Leben allein aus den
sonst bekannten physikalischen und chemischen »Kräften« erklärt
werden könne und müsse. Nun ist zwar der B^jiff Kraft selber
ein Nur-Denkbares; vollends gilt dies von dem ihn neuerdings ver-
drängenden, anders formulierten Bq[riffe Energie. Aber der reali-
stischen Forderung wird man leicht gerecht, indem man alle Kräfte
auf Bew^^ngen von Massentdichen (invtstble parts, wie HERBERT
SPENCER sagt) zurückführt oder die kinetische Energie als Grundform
allen anderen Formen g^enüber behauptet, die als »potentidle«
Enei^en voriäufig zusammengefasst werden. Aber in jüngster Zeit
tritt eine Reaktion g^en die rationalistisch-mechanischen Tendenzen
sdir merklich hervor. Eine vitalistische Strömung greift unter den
Biologen aufs neue um sich; das anerkannte Gesetz der Erhaltung
der Eneiigie, im Wandel ihrer Formen, wird sdber gegen die
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mechanische Deuhing geltend gemacht, diese als »willkfirliche Hypo-
these«, als »schon aufgegeben« bezeichnet, das Aufsuchen media-
nischer Äquivalente, trotz des berühmten Erfolges in bezug auf die
Wärme, bei anderen Energieformen, wie der Elektrizität, für aus-
sichtslos erklärt (OSTWALD). Diese erneute Opposition gtg^ die
bisher und fortwährend treibende Kraft der naturwissenschaftlichen
Vernunft beruht teils auf einer richtigen Einsicht, teils aber auf einer
falschen Voraussetzung hinsichtlich des Zweckes und Wertes dieser
ganzen Denkungsart, einer Voraussetzung, die freilich gerade von
deren entschiedensten Vertretern am schärfsten verfochten wird.
Auf einer richtigen Einsicht: denn die Meinung, daß die mechanische
Kausalität vollkommen »b^jeiflich« sei, daß mit a.W. die Not-
wendigkeit des ihr zu gründe liegenden Beharrungsgesetzes a priori
erkennbar sei, ist die letzte Zuflucht jenes Wahnes, daß die »Welt«
irgendwie »erklärbar« sei und sein müsse, in dem Sinne, den die
Behauptung hat, daß sie von einem Gotte, d. i. einem Geiste »ge-
schaffen« worden sei: der Glaube an zauberhafte Wirkungen ist
dahinter verborgen. Am schärfsten und gründlichsten ist diese
Meinung durch DAVID HUME aufgelöst worden; aber längst vorher
war die Widerl^^ng und Überwindung in dem tiefsten und radi-
kalsten Gedankensysteme, das dem christlichen Aristotelismus ent-
gegengewälzt wurde, enthalten gewesen: im Systeme SPINOZAS;
-denn SPINOZAS Satz: ratio = causa, der als Ausdruck des äußersten
Gegensatzes gegen HUME, nämlich des Rationalismus in strengster
Form, gedeutet zu werden pflegt, ist in Wahrheit etwas ganz anderes ;
■er will sagen: es gibt keine ^^^^^J«, keine »realen« und also »wirken-
den« Ursachen, es gibt nichts als »Erkenntnisgrund«, dieser aber
ist die notwendige Form unseres Denkens, insofern, als es allge-
meine Begriffe bildet, in denen besondere Begriffe enthalten sind
und daraus folgen. In diesem Sinne ist der allgemeinste Bq[riff
daher der gemeinsame Erkenntnisgrund oder die »Ursache« aller
Erscheinungen: jenes Unendliche, d. h. in keiner Maßeinheit oder
Zahl ausdrückbare, das SPINOZA als die Substanz oder als die Natur,
und das die heutige Naturwissenschaft, nur in der Benennung ab-
weichend, als die sich erhaltende Energie definiert — Jene Einrede
beruht aber andererseits in einer falschen Voraussetzung: als ob
nämlich die Reduktion der Energieformen auf mechanische Bewe-
gung den Sinn haben müsse oder überhaupt haben könne, daß
dadurch die mechanische Bewq^ng als das Realere oder als das
allein Reale hingestellt würde. Dies ist allerdings wohl die unkritische
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— 63 —
Meinung der meisten Naturalisten. In Wahrheit kann es sich nur
darum handeln, daß eine äußere Welt aus gleichen Einheiten (Kraft-
zentren) bestehend, die an einander mechanische Arbeit leisten und
damit ihre g^enseitige Lage verändern, für unser Denken der letzte
Nenner ist, auf den eine mathematische Interpretation der Er-
scheinungen alle Größen und ihre Veränderungen beziehen muß,
wenn sie konsequent verfahren will. Diese Welt ist nicht in dem
Sinne begreiflich, daß wir die Wirkung eines geraden Stoßes als
notwendig einzusehen vermöchten, wohl aber in diesem Sinne, daß,
wenn Bewegung als Quantum gedacht werden kann — was GALILEI
zu denken gelehrt hat — dann ist sie der Vermehrung und Ver-
minderung fähig, ihre Veränderungen also können der Rechnung
unterworfen werden. Daß diese für unser Denken allein vorhandene,
durch unser Denken vereinheitlichte Welt, überhaupt allein vor-
handen oder irgendwie wirklicher wäre, als die von unseren Sinnen
empfundene, wahrgenommene Welt, dies anzunehmen ist eine unnütze,
unb^ründete Zutat zu jener »regulativen Idee«, um den erhellenden
B^riff KANTS hier einzusetzen, in dessen Geiste dies gedacht ist
Daß aber diese höchst kraftvolle Idee aufhören sollte zu regulieren
und als leitende Maxime zu dienen, ist, nach dem bisherigen Gange
der Entwicklung zu urteilen, ebenso unwahrscheinlich, wie es uner-
wünscht sein würde für den Fortschritt der Erkenntnis.
76. Je mehr man aber diese überwältigende Bedeutung der me-
chanischen Prinzipien festhält und behauptet, desto mehr ist es geboten,
um ihren absoluten Wert richtig zu schätzen, sich auf ihren Ur-
sprung kritisch zu besinnen und ihrem Gebrauche danach seine
Grenzen anzuweisen. Der Kritik muß dieses ganze höchst erfolg-
reiche Denken als künstlich erscheinen, jede Auflösung der gesamten
und irgend welcher für sich betrachteten Wirklichkeit in für sich
subsistierende »Dinge« (Substanzen) als durch menschlichen Willen
oder was hier dasselbe bedeutet, menschliches Denken, gesetzt;
die Wirklichkeit selber ist es, zumal die materielle »Außenwelt«,
und dem naiven Denken (der Fantasie) begegnen die Dinge als
lebendigtätige Individuen innerhalb jener; der reflektierende Ver-
stand baut dieses naive Denken gleichsam künstlerisch aus: er bevölkert
die Welt mit wirksamen Qualitäten, Kräften und Seelen: dann aber
folgt der wissenschaftliche Verstand, der über die Welt herrschen
und darum sie berechenbar machen will; er negiert das naive Denken
und die darauf beruhende Reflexion; er entkleidet die »Welt« alles
dessen, was die Dinge als wesentlich (= qualitativ) verschieden er-
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— 64 —
scheinen ließ. In dem, was er übrig läßt, findet er, was er darin übrig
gelassen hat — Materie und Bewq^ung, sie lassen sich der Rechnung
unterwerfen, je mehr sie, nach Aufhd)ung ihrer sonst scheinbar
vorhandenen Zusammenhänge, in nicht weiter reduzierbare gleiche
Einheiten aufgelöst worden sind, die sich durch Denken, oder sogar
durch wirkliche Tätigkeiten, nach Willkür in neue Verbindungen
zusammensetzen lassen. Die kritische Besinnung konstatiert nun
(wie gesagt), daß alle Scheidungen gesetzt sind, vor oder hinter allen
jene von Subjekt und Objekt; »gegeben« ist nur deren Einheit und
in Wirklichkeit (realiter oder, wie die Schule sagte, formaliter)
unlösbarer Zusammenhang. Und auch, nachdem die Setzung einer
objektiven »Außenwelt« kritisch reproduziert worden, muß sie von
neuem, als Ganzes, in ihrer wesentiichen Einheit erkannt und aner-
kannt werden, auch wenn sie von allen Subjekten (nicht allein von
dem Denkenden selber) losgerissen, also die Entziehung aller sinn-
lichen Qualitäten gleichsam genehmigt wird. Auch so muß das an
die Anschauung — oder, was dasselbe besagen will, die reine Er-
fahrung — sich anknüpfende Denken den mathematischen Verstand
energisch korrigieren. Es spricht gleichsam zu diesem: »du siehst
in der Welt nichts als gleiche Vorgänge, die sich von Ewigkeit her
nach den Regeln, die du Naturgesetze nennst, wiederholen; du siehst
in ihr nichts als diskrete Atome, die sich zusammensetzen und
auseinandergehen, sich anziehen und sich abstoßen; diese deine
Ansichten sind überaus nützlich und insoweit auch richtig; aber,
wenn du einmal alle deine Zwecke und Pläne vergessen willst, so
wirst du mir zugeben, daß du deine Materie nur als Kontinuum
kennst, und daß du ebenso wie ich genötigt bist, ihre Größe oder
Ausdehnung als unendlich, also als jedes Maßes spottend, zu setzen;
femer mußt du zugeben, daß es in der Erfahrung keine vollkommen
gleichen Vorgänge gibt; und daß uns das Dasein der Welt nur als
ein einziger Prozeß gegeben ist, den wir als ganzen mit keinem
anderen vergleichen können. Du glaubtest, daß die immer wieder-
holten Umdrehungen der Planeten um ihre Axen und um die Sonne
von Ewigkeit her angeordnet seien und in Ewigkeit dauern würden ;
aber mit deinen eigenen Mitteln haben wir erkannt, daß die Ent-
stehung dieser Planeten und der Sonne aus der ungeschiedenen
Einheit glühender Gasmasse, ein einmaliger Vorgang ist, den wir
uns wohl durch die bekannten Naturgesetze im einzelnen erklären
mögen, aber nicht als gesamte Wirkung aus einer gesamten anteze-
denten Ursache abzuleiten vermögen, weil er auf unermittdbare
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frfihere Weltvorgänge ins Unendliche zurückweist. Ebenso siod
auch die Abkühlung der Erdrinde und die Entwicklung oi^ianischen
Lebens auf ihr, Vorgänge, die ihresgleichen nicht haben, also nicht
in dem Sinne begriffen werden können^ wie Vorgänge, die unter
hinlänglich gleichen Bedingungen sich gleichartig wiederholen, oder
gar künstlich, nach Belieben, reproduziert werden können. Wenn
die Transformationen der Energie im Weltall überwiegend in der
Richtung auf Wärme-Erzeugung geschehen, indem die Wärme immer
von wärmeren auf kältere Körper übergeht und so sich gleichmäßig
zu verteilen tendiert, wenn also die »Entropie« einem Maximum
zustrebt, und der Gesamtzustand dem Aufhören der kmetischen
Energie, wie aller Formen der Energie außer der Wärme — , so
haben wir diese voraussehbare Geschichte des Weltalls, wie die ver-
gangene, als einfache Tatsache hinzunehmen, deren Erklärung nichts
weiter ist als ihre anders ausgedrückte Beschreibung«.
77. Wir sehen in der Tat durch das ganze neunzdinte Jahr-
hundert, wie Forschung und Erwägung zusammenlaufen zu einer
Kritik des mechanistischen Rationalismus, in diesem Sinne, der ihn
unversehrt aufgehen läßt in einem höheren Gedanken; wenn auch
jene Kritik öfter als eine verständnislose, pure N^;ation in die Er-
scheinung tritt In ihrem richtigen Verstände ist sie eine notwendige
Evolution des sich selbst erkennenden und die Grenzen seiner Macht
erkennenden Rationalismus selber. Dessen Fortschritt innerhalb der
objektiven Naturwissenschaft wird bezeichnet durch das tiefere Studium
der Vorgänge des Lebens. Als philosopische Folgerungen aber,
in denen er seine Kurve beschreibt, sind es die folgenden, die An-
erkennung heischen: 1. Das für ein deduktives Denken, Frühersein
des Unendlichen vor dem Endlichen, daher wird auch denkbar die
Einheit vor dem Mannigfachen, das Allgemeine vor dem Besonderen,
das Ganze vor seinen Teilen. 2. Das Übergewicht und der Sieg
Bew^^ng
der Ideen Veränderung
Werden
Ruhe
über die Ideen l Identität
I Sein.
Für das rationalistische Denken sind die siegreichen Ideen zwar
unentbehrlich; aber sie werden als von außen hinzukommende be-
griffen. Der Ruhestand usw. ist das natürliche, wie an einer kon-
struierten Maschine, etwa (welches Gleichnis fast jeder von diesen
Denkern wiederholt) einer nicht aufgezogenen Uhr. Der Anstoß
muß der Materie von außen g^eben sein, da jeder Teil ihn von
dem anderen empfängt; hier fordert das System seinen Detis als
Tönnies, Philos. Terminologie. 5
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- 66 —
den Urheber der Bewegung, der Veränderung, des Werdens. Die
andere Denkweise, die wir hier zunächst als die empiristische ver-
stehen mögen, nimmt die bew^e Materie als Tatsache der Tatsachen
hin, und bekümmert sich nicht um den alten Begriff, wonach Be-
wegung nicht zum »Wesen« der Materie gehöre. Sie erkennt in
den undurchdringlichen Atomen und den dazu gehörigen leeren
Räumen nur Hfilfsbegriffe, wenn auch noch so sehr für das rationale
Denken notwendige. Hier li^ auch der Punkt, wo die Lehre von
Erhaltung und Verwandlung der Energie die alte Gestalt des mecha-
nischen Systems bricht. 3. Wie im konservativem Systeme des Alls
die Gesamtmenge der Energie sich erhält, unter steter Verwandlung
ihrer Formen, so erhält sich das Ganze eines lebenden Organismus
als Dauer der Relationen seiner Teile in deren fortwährendem Wechsel.
Leben ist Reproduktion und Zerstörung zu gleicher Zeit; es ist also
zugleich mit der Tendenz seines G^enteils, weshalb BICHAT es als
Kampf g^en den Tod definierte, und ein anderer französischer
Physiologe, CL. BERNARD, den dialektischen Satz wagte: ^La vie
c'estla mort^. 4. So trägt die Wirklichkeit jedes Augenblickes, oder
wie immer begrenzten Zeitabschnittes, die reale Möglichkeit, Anlage,
Tendenz, Disposition, Kraft oder Fähigkeit, oder wie immer wir es
nennen mögen, zu allen folgenden als ihre Verneinung in sich;
Möglichkeit ist also keineswegs ein Nur-Denkbares, sondern ist die
Wirklichkeit selber in ihrer notwendigen Beziehung auf die Zeit,
d. h. auf Tätigkeit, Leistung, Vollendung. Es muß auf das schärfste
bemerkt werden, wie hier die regenerierten aristotelischen B^;riffe
mit den Begriffen der modernen Physik sich begegnen. Denn was
ist Energie, die nunmehr als die eigentliche Realität angesprochen
wird, anderes als Fähigkeit, Anlage, Tendenz (oder wie immer
benannt) Arbeit zu leisten? —
78. Von der allertiefsten Bedeutung ist aber diese gesamte
Neuerung des Denkens für die Psychologie. Die kritische (oder
empiristische oder positivistische) Besinnung hat zum Hauptergebnis:
daß die Scheidung von Subjekt und Objekt in den gegdbenen Tat-
sachen nicht begründet ist. Die kartesianische Fassung, die ein
Subjekt nur mit dem menschlichen Leibe, und zwar als ein Wunder,
verbunden sein ließ, wird durch die Entwicklungstheorie definitiv
aufgehoben. So radikal sie gegenüber der Tradition und der naiven
Meinung auftritt, so ist doch jene Auffassung zugleich ein Rest des
uralten Glaubens, daß die Seele als ein anderes Wesen im Leibe
ihren Sitz habe, eines Glaubens, der im Aristotelismus sehr verfeinert,
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— 67 —
aber in der christlichen Scholastik wenigstens ffir die anima rationalis
wieder auf seine vulgäre Form zunickgeffihrt war. Bei DESCARTES
wie bei seinen Vorgängern nimmt die Seele Bew^[ungen des Leibes
wahr und wirkt auf sie zurück. Die wirklichen Tatsachen werden
auf genügende Weise dahin beschrieben, daß der Leib sich selber
wahrnimmt und auf sich selber wirkt, d. h. als Ganzes auf seine
Teile. Wir können den Leib, insofern als er Subjekt, d. h. psy-
chische Tatsache ist, in hergebrachter Weise »Seele« nennen. Leib
und Seele sind dann verschiedene Namen eines und desselben
G^^nstandes, der als Leib in seinen Teilen wahrnehmbar, als Ganzes
aber, d. h. als beharrende Relationen der Teile (was die Aristoteliker
Form nannten), ebenso wie die Seele, etwas Nur- Denkbares ist
79. Zwischen DESCARTES als Intellektualisten (der die Seele un-
abhängig von aller Erfahrung denken ließ) und seinen sensualistischen
Bestreitem (GASSENDI, LOCKE, CONDILLAQ ist aus dem g^en-
wärtigen Gesichtspunkte kein wesentlicher Unterschied. Auch diese be-
halten die Seele als ein anderes Wesen, machen sie aber noch mehr
zu etwas Passivem, weil sie aus den Wirkungen oder »Eindrücken«
äußerer Objekte die sinnlichen Empfindungen hinlänglich zu erklären
meinten und mit Recht das Denken — als Vorgang des Gedächt-
nisses — aus Komplikationen beharrender Empfindungen ableiteten.
Diese Auffassung hat sich in die ganze moderne Assoziations-
Psychologie verpflanzt, die in Verbindung mit der Physiologie des
Nervensystems einen so großen Teil der menschlichen Erkenntnis-
Tatsachen in seine Atome (mit denen CARUS die isolierten Emp-
findungen vergleicht) aufgelöst und synthetisch nachkonstruiert hat
Oanz konsequent kommen aber die Philosophen dieser Richtung,
insbesondere die Herbartianer, auf die Seele als ein einfaches Wesen,
als etwas, das dem grammatischen und logischen (d. h. durch einen
Namen bezeichneten) Subjekte entsprechen müsse, zurück. Aber die
Klippe dieses Denkens sind die Gefühle, zumal j^er mit Gefühlen
verbundene Komplex von Empfindungen, dem der Name Wille
gegeben wird.
80. Die unbefangene Selbsterkenntnis verbindet sich nun mit
der Abstammungslehre, um Gefühl als mit der Tatsache des Lebens
identisch und folglich als das allen lebenden Wesen gemeinsame,
konstante und ursprüngliche Element zu setzen. Lebensgefühle sind
Tätigkeitsgefühle, und die scheinbar einfache Tatsache des »Reflexes«
menschlicher Sinnesorgane auf äußere Reize ist in Wahrheit das
Gefühl einer höchst komplizierten, spät entwickelten Tätigkeit
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81. Es ist nicht unsere Aufgabe hier, diese Psychologie in ihre
Konsequenzen zu führen. Uns kann nur daran gelegen sein, zu
betonen, daß eine Terminologie, die an ihr Prinzip sich anlehnt,
sich vermischt und streitet mit einer Terminologie, die im wesent-
lichen auf die Einfachheit der Seelensubstanz und teils auf ihre
passive, teils auf ihre menschlich-rationale Beschaffenheit zurückgeht.
Bezeichnend für die Schwierigkeit, die jene biologische Betrachtung^
hat, sich durchzusetzen, ist es, daß selbst die in dieser Hinsicht am
meisten fortgeschrittenen Psychologen fortfahren: 1. mit der Psycho-
logie der Empfindungen zu beginnen. 2. die menschliche Psycho-
logie als allgemeine Psychologie hinzustellen oder doch zu betsindeln.
Damit hängt femer das hartnäckige Beharren bei der Meinung zu-
sammen, daß Intelligenz zum Wesen der Seele gehört, was einer
der geistreichsten Forscher für so gewiß hält, daß er die gewollte
Anpassung von Mitteln an Zwecke als das Kriterium für die An-
nahme psychischer Tatsachen überhaupt darstellt (JAMES). Endlich
ist die Konfusion, die in den Terminis Bewußtsein, Unbewußtes»
Unterbewußtes oft sich versteckt, zum guten Teil dem Umstände
zuzuschreiben, daß vom menschlichen I>enken der Begriff des Be-
wußtseins hergeleitet wird, weil aber Denken als Wesen der mensch-
lichen Seele, so gilt »Bewußtsein« bald für einen Zustand, der nur
durch Denken, d. h. regelmäßig durch Erinnerung von Worten ver-
mittelt wird, bald für psychische Tatsachen, insofern sie vorhanden
sind, schlechthin. Weil aber ihr Vorhandensein wiederum nach
Analogie von Gedanken oder doch deren Elementen (Empfindungen
und Vorstellungen) gedacht wird, so kommen die notwendigen
Begriffe der Involvierung und Evolution, des Wachstums und der
Dffferenzierung, aller jener Vorgänge, die das psychische genau so
wie das physische Leben bezeichnen, nicht zu gehöriger Geltung^
und Benennung.
82. Am meisten ist die Lehre vom Willen, die darunter, wie
unter der Abhängigkeit der Terminologie vom Sprachgebrauch,
leidet Wenn wir den Begriff des Lebensgefühls und der mannig-
fachen organischen Tätigkeitsgefühle, in die es sich beim Tiere mit
dem Organismus selber entwickelt, zu ^nindt legen, so ist jedes,
wie das Leben in allen seinen Erscheinungen, zwiefach: assimilierend
und ausscheidend, empfangend und abstoßend, bqahend und ver-
neinend. Unter den Lebenstätigkeiten animalischer Wesen sind nun
diejenigen des Nervengewebes, in ihrer urspründlichen Einheit mit
denen des Muskelgewebes, durchaus charakteristisch, als Träger der
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durch äußere Reize bewirkten motorischen Veränderungen. Die
Einhdt des Lebensgefühls scheidet sich in entsprechender Weise in die
ihr gleichartig bleibenden Gefühle motorischer Tätigkeit und die
sich starker modifizierenden, unendlich vermannigfachten Geffihle
der Reaktion gegen äuBere Reize — die Empfindungen. Diese ani*
malische Differenzierung deckt sich nicht mit der ursprünglichen»
v^etativen, wenn sie ihr auch verwandt ist. Diese aber wiederholt
sich in der ausgeprägtesten Weise mit der höheren Entwicklung der
Empfindungen; ein psychischer Organismus innerhalb der Sede»
wie die Großhirnrinde innerhalb des Leibes, bildet sich aus als
komplexes Gewebe möglicher und wirklicher Verbände von Empfin-
dungen, ein Gewebe, dessen wesentliche Funktionen die Setzung
von Gleichheit und von Unterschied sind, d. h. eben Assimilation
und Ausscheidung, Empfang und Abstoßung, Bejahung und Ver-
neinung: im Menschen durch den Besitz des Zeichensystems der
Worte sich vollendend zur Urteilsfunktion, eben dadurch zum Ge-
danken. Nun haben wir das Wort »Wille«. Es bedeutet die Idee
A, von etwas Tätigem (grammatisches Subjekt) B, von etwas »Leiden-
dem« (grammatisches Objekt). Als A. ist die Idee: 1. gleich der
Idee von Seele überhaupt; 2. gleich dieser, insofern sie gedacht
wird als nach außen hin wirkend, im Gegensatz zum Intellekt, als
der von außen aufnehmenden Seele; 3. speziell als herrschend, be-
fehlend, lenkend, Bewegungen des Leibes verursachend. Als Bw ist
sie etwas Gedachtes, ein Gedanke oder ein Komplex von Gedanken.
Während daher die Idee A. überall anwendbar ist, wo ein Leib eine
Seele in sich zu haben gedacht wird, daher wenigstens auf alle
tierischen Organismen, so ist die Idee B. nur auf Menschen anwend«
bar. Diese Ideen vermischen sich aber. Wie die Seele überhaupt,
so wird alsbald der Wille mit der Intelligenz gleichgesetzt oder
doch als etwas Intelligentes bestimmt; hier entspringt dann als
Gegensatz zum intelligenten Denken der Begriff des intelligenten
»Instinktes«; der Instinkt »leitet« das Tier, der Instinkt »sagt« ihm,
»lehrt« es usw. Andererseits: als Produkt des denkenden Ich wird
der Wille gleichsam dessen Werkzeug, vermittelst dessen es seine
Befehle entsendet und vollzieht; sehr leicht wird er dann mit dem
denkenden Ich einfach identifiziert, ist also sein eigenes Objekt, und
dies entspricht am besten dem Gefühl und der Idee des »freien«
Willens» Als Subjekt aber oder als Objekt, immer hat die Idee, die
das Wort ausdrücken soll, eine Beziehung auf die Zukunft, auf ein
Werden, daher schlechthin auf ein Gescbdien; sie läßt sich aber ohne
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Widerstand verallgemeinem und auch auf das Seiende beziehen;
das Gemeinsame ist dann die Bejahung und — im Gegensinne —
die Verneinung eines Zustandes oder einer Veränderung. Hierdurch
wird sie identisch mit dem Gefühle der Lust und Unlust; diese
aber sind unlösbar verbunden mit Beehren und Verabscheuen,
Hoffnung und Furcht, kurz mit allen positiven und negativen
»Wünschen«, die nun wieder durch Empfindung, Vorstellung, Denken
eines zukünftigen Zustandes bedingt sind. So läßt sich, wenn man
der Sprache folgt, Wille mit allen einzelnen und verbundenen Emp-
findungen und Gedanken identifizieren oder davon unterscheiden;
er kann als etwas ganz Unlogisches, Unvermitteltes (als eigentliche
»Willkür« oder Bdieben), kann aber auch im Gegenteil als streng
logisches, systematisches Gebilde begriffen werden.
83. Physiologen und Psychologen plagen sich mit immer neuen
Untersuchungen, was er denn eigentlich sei, finden aber ^ auch
wiederum »Begehren, Wunsch, Wille seien Zustande des Geistes,
die jeder kennt und die keine Definition deutlicher machen kann<3:
(JAMES); sie werden aber dann unterschieden: 1. »wir begehren, alles
zu empfinden, zu haben, zu tun, was im Augenblicke wir nicht
empfinden, haben oder tun; 2. wenn damit ein Gefühl verbunden
ist, daß die Erreichung nicht möglich ist, so »wünschen« wir ein-
fach; aber 3. wenn wir glauben, daß das Ende (die Erreichung) in
unserer Macht ist, so wollen wir, daß das begehrte Empfinden,
Haben oder Tun wirklich sein soll.« In der Tat liegt hier eine
willkürliche B^^enzung des Sprachgebrauches vor, die vielleicht
nicht zu tadeln wäre, wenn der Autor ihr treu bliebe; aber nach
einer sehr eingehenden Erforschung findet er, die Anstrengung der
Aufmerksamkeit sei das wesentliche Phänomen des Willens und meint,
jeder Leser müsse aus eigener Erfahrung wissen, daß dem so sei.
Die erste Begrenzung schließt noch jeden »freiwilligen« Beginn einer
Bewegung des Körpers ein, also auch solche »unwillkürliche«, die
auf Empfindung oder Vorstellung unmittelbar folgen; die andere
macht ausdrücklich »einen stabilen«, mit Anstrengung festgehaltenen
Gedanken zur Bedingung des Willens: hier ist nur an »willkür-
liche« Tätigkeiten der Menschen gedacht Auch WUNDT erklärte
früher: »definieren läßt sich der Wille ebenso wenig wie das Be-
wußtsein«; er ließ aber dann die »Apperzeption« oder die »von An-
fang an mit dem Bewußtsein gegebene innere Willenstätigkeit« das
entscheidende und allein genügende Merkmal des B^^iffes sein, und
leitete die »äußere« Willenshandlung als »Apperzeption einer
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Bew^ungsvorstellung« daraus ab. Ganz anders betrachtet er in seiner
jüngeren (kleinen) »Psychologie« den Willensvorgang, indem er ihn
deHniert als einen Affekt (einen in sich zusammenhängenden Ge-
fühlsverlauf von einheitlichem Charakter) zusammen mit der aus ihm
hervorgehenden Endwirkung einer plötzlichen Veränderung des Vor-
stellungs- und Gefühlsinhaltes. In den tiefen Erörterungen seines
»Systems« endlich faßt er den Willen in einem Sinne auf, dem aus-
drücklich der Parallelismus, ja die Identität von Leib und Seele zu
gründe gelegt ist; er wird zum psychischen Inhalte des Lebens, zu-
weilen unterschieden als der »reine Wille«, ein »transszendenter
Seelenbegriff, den die empirische Psychologie als letzten Grund der
Einheit der geistigen Vorgänge fordern, von dem sie aber schlechter-
dings für ihre Zwecke keinen Gebrauch machen kann.« »Will sie
aus ihm einen Seelenbegriff gewinnen, der zur empirischen Ableitung
der Tatsachen der inneren Erfahrung brauchbar ist, so muß sie ihn
sofort zu einer zusammengesetzten Einheit erweitem, welche die
Möglichkeit einer Vielheit vorstellender Tätigkeiten in sich schließt.«
Die Physiologen bleiben zumeist bei einem B^^iffe des Willens
stehen, der ihn, nach Art der Descartes'schen Seele, zu einer ver-
nünftigen Person innerhalb des Leibes macht, mit Vorliebe lassen
sie ihn »telegraphieren« und Befehle erteilen; einige aber sind, wie
HUXLEY, konsequent und materialistisch genug, alle animalischen
und folglich auch die menschlichen Tätigkeiten, als »automatische«
zu denken und alle »Bewußtseins- Erscheinungen« als bloße Neben-
produkte des Lebensprozesses, ohne jede Rückwirkung auf ihn. Sie
unterscheiden sich von der Identitäts-Psychologie nur noch durch
das hartnäckig festgehaltene Vorurteil, daß nur das Objektive oder
Physische »wirklich« sei, d. h. im Grunde nur durch die Ter-
minologie; denn in welchem besonderen Sinne jenes wirklich zu
heißen verdiene, das Psychische »Begleitende« aber nicht, hat
nie jemand anzugeben vermocht Wir halten die Wundt'sche neueste
Darstellung und auch ihre Terminologie für sehr fruchtbar, aber eine
Psychologie, die aus dem allgemeinen und reinen Willen, nach dem
g^ebenen Programm, die besonderen und die besondersten mensch-
lichen Willen entwickelnd ableitet, hat auch WUNDT bisher nicht
dargestellt. Auch für WUNDT bleibt noch der Name vor dem Bct
griffe oder doch mit ihm simultan. Es ist aber ewig vergebens,
dem nachzujagen, was eigentlich der Wille sei. Die fundamentale
Ansicht der Tatsachen zu gewinnen, das ist die einzige wichtige
Aufgabe, die allerdings dadurch so sehr erschwert wird, daß wir sie
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nur in Worten auszudrücken vermögen, die schon etwas anderes be-
deuten. Versuchen ließe sich aber, solche Worte zu umgehen, den
Begriff in lauter schon definierten Wörtern abzubilden und ihm
dann den abkürzenden Namen, z. B. »Wille« beizulegen. In diesem
Sinne haben wh*, wenn auch Begriffe antezipierend, versucht — im
ersten Abschnitte dieses Traktats — als menschlichen individuellen
Willen jede Ideenverbindung zu bestimmen, die für folgende Ideen
und Ideenverbindungen irgendwie »setzend« (f»;^^/ gesetzgeberisch)
ist oder »wirkt«; wir dürfen jetzt sagen, solche der Möglichkeit
nach in sich enthält, sei es nun, daß sie sich (oder ihre »Wirkung«)
m einer einmaligen »Handlung« vollendet und erschöpft, oder daß
sie die Regel wiederholter gleichartiger Tätigkeiten, — d. h. der
Gefühle von Tätigkeiten — bildet Wir behaupten nur den Wert
dieses Begriffes für das Verständnis unbezweifelter Tatsachen, z. B.
jener, daß etwas jemandem zum Zeichen oder Merkmal von etwas
anderem wird, ohne es setner Natur nach zu sein. Der Name ist
an und für sich völlig gleichgültig; wir meinen allerdings, daß er
von allem, was sonst als menschlich-vernünftiger Wille gedacht wird,
gleichsam die Quintessenz extrahiert, denn dies ist allen jenen Ideen
gemeinsam: etwas sich selbst bejahendes, andere Gefühle und Vor-
stellungen bejahend oder verneinend. Dies ist es auch, was das
Verhältnis jedes Einzelwillens zu anderen begründet, und wiederum
ist ein Begriff notwendig, der die Einheit mdirerer Willen, wie sie
sich selbst bejaht, ihre Glieder »bejaht« oder veraeint, ausdrücke.
Diese nannten wir »sozialen Willen«. In ihm wird es durchsichtig
und klar, daß Wille oder wie immer die psychische Potenz genannt
wird, nur scheinbar körperliche Bewegungen »bewirkt«, daß sie
nichts ist als Macht über ihresgleichen: Vorstellungen und Gefühle.
Nicht anders aber ist das Verhältnis des individuellen Willens zu
sich selber und zu dem ihm zugehörigen Leibe. Dies ist schwer,
aber nicht unmöglich zu denken. Es will erlerat und eingeübt
werden.
84. 5. Terminologie ist an Erzeugnis menschlichen Willens,
aber auch das Denken und Erkennen selber ist Tätigkeit, worin sich
Wille ausdrückt Wenn ein energischer, glekhartiger, gleichgerich-
teter Wille zur psychologischen und philosophischen Erkenntnis vor-
handen wäre, so würde die Einmütigkeit des Denkens sich bald in
Einmütigkeit über Benennungen umsetzen. Wamm jener Wille
nicht vorhanden ist? diese Frage führt uns auf einige Neben-
ursachen des pathologischen Phänomens, das wir betrachten. Diese
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Nd>enursachen verzögern und hemmen die Überwindung der
Sdiwierigkeiten, selbst wenn sie als solche erkannt werden. Da ist
A, was das gesamte Gebiet der Psychologie angeht, die Beschaffen-
heit der Gegenstände, die sich nicht abbilden, nicht als wahrnehm-
bare Einheiten sich konstruieren, nur indirekt sich zählen und messen
lassen. Auf sprachliche Zeichen sind wir mehr als sonst angewiesen,
um psychische Wirklichkeit kundzugeben und zu schildern. Weil
aber dies jedem, zumal dem phantasiebegabten Menschen, leicht
wird, sonderlich die Schilderung von Qemätsbewegungen, deren
Natur bei den Individuen nicht stark variiert, in bildlichen Aus-
drücken, deren Sinn jeder, der die Sprache und die elementaren
Naturereignisse kennt, versteht, so hält man oft auch psychologisches
Denken für leicht Denken erfordert auch Phantasie, aber eine
erstarrte; sie darf hier um so weniger schweifen, als die darzu-
stellenden »Ejekte«, um somit CLIFFORDzu reden, nur durch Selbst-
beobachtung gewonnen werden, die mehr als jede andere Beobachtung,
von den Sinnen unabhängig, eine eigentümliche Anstrengung und
Übung, ja ein eigentümliches Talent erfordert, das in der Regel nur
mit starkem theoretischem Interesse sich verbinden wird. Nun ist
aber B, ein solches Interesse, verhältnismäßig wenig gefördert worden.
Es stehen keine mächtigen praktischen Interessen dahinter, die auf
so eminente Weise der Entwicklung von Mathematik, Astronomie,
Physik und Chemie zu gute kommen. Die praktischen Interessen,
denen Psychologie und das auf ihr beruhende Philosophieren ihre
Kräftigung verdanken müssen, sind selber ideale Int^'essen, d. h.
Interessen, die gefühlsmäßig, daher in Verbindung mit Fantasie,
Kunst, Religion sehr lebhaft sich geltend machen, aber im bewußten
Denken um so schwächer zu bleiben pflogen, je mehr sie von jenen
Mächten gleichsam mit Beschlag bel^ werden. C So ist denn
der Einfluß der Naturwissenschaften auf das allgemdne und philo-
sophische Denken ein unvergleichlich größerer gewesen und ist es
noch jetzt, als der Einfluß dessen, was wir die Geisteswissenschaften
nennen. Damit hängt denn eine gewisse Verachtung der Philo-
sophie in den Stücken, die ihr am meisten eigentümlich sind, viel-
fach zusammen: die Geringschätzung der Logik, der Verruf der
Metaphysik. Nun mögen ja die Naturwissenschaften dieser Lehren
entbehren können: die Geisteswissenschaften können ihrer nicht
entbehren. Was die Metaphysik insbesondere angeht, so ist es ein
Verhängnis, daß sie abgeschafft wurde, anstatt reformiert zu werden;
abgeschafft wegen den Berührungen mit der Theologie, die ihrer
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- 74 —
Idee keinesw^[s wesentlich sind, so bedeutend sie ffir die historische
Erscheinung waren. Ihrer Idee nach will sie — als »oberste Philo-
sophie« — den notwendigen Inhalt des Denkens, das Seiende
schlechthin (xi 8v % 8v), in Begriffen darstellen, klassifizieren, ent-
wickeln, also ein System von Urteilen, worin solche Begriffe ver-
bunden sind, aufstellen und beweisen. Auch heute noch gilt der
Satz, womit CHR. WOLF seine Ontologie einführte und verteidigte
{>vix aliud hodie contemtius notnen qtuim ontologiae^Y »Wer die
oberste Philosophie nach wissenschaftlicher Methode abhandelt, der
ruft die scholastische Philosophie nicht ins Leben zurück, sondern
berichtigt sie«. Mit Recht auch hebt jener nüchterne Denker die
wirklichen Verdienste der Scholastiker auf diesem Felde hervor, und
mit Recht weist er hin auf den praktischen Wert der Ontologie,
da man überall auf voreilige, unbesonnene Urteile stoße wegen des
Mangels an geklärten Begriffen von jenen Denkgegenständen, deren
Namen jeder im Munde führe, als: Ursache, Zweck, notwendig,
zußllig, möglich, unmöglich, vollkommen, Einheit, wahr, Ordnung,
Raum usw. In der Tat ist das Werk WOLFS seinem wesentlichen
Inhalte nach eine, freilich mit unsäglicher Breite vorgetragene, Ent-
faltung der Idee eines allgemeinen terminologischen Instrumentes,
das zu konsequenten Verbindungen aller möglichen Begriffe dienen
soll. Es ist eine völlig ungewollte Wirkung der Kantischen Kritik
gewesen, die vernünftige Idee eines solchen Instrumentes ebenso zum
Gespötte zu machen, wie durch DESCARTES und seine Genossen
die Scholastik geworden war; so daß (zwei Menschenalter nach WOLF)
HEGEL schrieb, das, was vor 25 Jahren Metaphysik hieß, sei mit
Stumpf und Stil ausgerottet worden und aus der Reihe der Wissen-
schaften verschwunden — er meinte, daß so »das sonderbare Schau-
spiel herbeigeführt worden sei, ein gebildetes Volk ohne Metaphysik
zu sehen — wie einen sonst mannigfaltig ausgeschmückten Tempel
ohne Allerheiligstes«. Seitdem ist es HEGEL wiederum fast ebenso
ergangen, wie vor ihm WOLF und vor WOLF den Aristotdikem —
oder dürfen wir das Studium der Dialektik, wie es gegenwärtig auf
englischen und amerikanischen Universitäten gepflegt wird, als eine
neue Auferstehung, wenn nicht der spekulativen Philosophie, so
doch jenes Allerheiligsten verstehen? das in Wahrheit dem Menschen
der Spruch des delphischen Gottes befohlen hat, denn das ist die
theoretische Selbsterkenntnis, daß man die Gedanken der Menschheit
in sich aus- und umbilde, und daß man wisse, was man tut, wenn
man urteilt und in Begriffen redet. Es ist immerhin bemerkenswert,
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daß von den drei hervorragenden System-Philosophen, die, nach
HEGEL, in den drei führenden Sprachgebieten die Aufgabe ^ de faire
une sp^ctaliU des gän^raliUs^ auf empirischer Grundlage erneuerten,
der erste die Metaphysik nur als einen Bastard zwischen Theologie
und Wissenschaft betrachtete (COMTE), der zweite schon wieder aus
den »letzten Daten des Bewußtseins«, d. h. aus den Gesetzen des
Denkens, die Prinzipien einer synthetischen Philosophie ableitet
(SPENCER), der jüngste endlich, obwohl gleich jenen beiden durchaus
im Boden der Naturwissenschaften wurzelnd, eine eigentümliche
Aufgabe der Metaphysik darin erblickt, daß sie die Verbindung der
Tatsachen nach dem Prinzip von Grund und Folge auf die Gesamt-
heit aller gegebenen Erfahrung auszudehnen strebe, und folglich
ontologische Einheitsideen neben kosmologische und psychologische
setzt (WUNDT), was denn den Ausblick auf eine neue Verar-
beitung aller transszendenten Begriffe eröffnet.
85. D. Wenn die heutige Philosophie und also auch Einheit
und Klarheit der Terminologie gleichsam nach rückwärts zu kämpfen
haben, indem ihnen der Geruch der Unwissenschaftlichkeit, der an
per Metaphysik haftet, den Weg versperrt — so begegnen sie an-
do-erseits in ihrem natürlichen Fortschritte den Hemmungen, die
alles wissenschaftliche Denken durch überlieferte, für heilig und not-
wendig gehaltene Lehren und Meinungen immer aufs neue erfahren
muß; und obwohl diese Widerstände ihre historisch größte Bedeu-
tung gegenüber der entgeistigten Ansicht der Natur gehabt haben
und noch haben, so werden sie ^och in gegenwärtiger Zeit viel
lebhafter und, man darf sagen, schmerzhafter empfunden in den
moralischen Disziplinen. Auch die Psychologie hat, wegen ihrer
Bedeutung für diese, ein gemessenes Maß davon zu ertragen. Scharf
wird dies bezeichnet durch gewisse Äußerungen in den Eröffnungs-
reden zum Dritten internationalen Kongresse für Psychologie (Mün-
chen 1896, 4 — 7. August). Der Präsident, ein gefeierter Psychologe der
experimentellen Schule, kritisierte die sogenannte Paralldismus-Lehre
und meinte dabei sich ausdrücklich dagegen verwahren zu müssen, daß
er diese :» politisch oder moralisch verdächtigen« wolle. Wer sich ent-
schuldigt, klagt hier freilich wohl nicht sich, um so mehr aber andere an.
Der Kgl. bayrische Staatsminister des Innern, für Kirchen- und Schul-
angelegenheiten, antwortete auf diese Rede und sprach zum Schlüsse
die Hoffnung aus: »daß die psychologischen Kongresse dazu beitragen
wei-den, die große Gefahr, welche dem öffentlichen Leben der
Kulturvölker aus gewissen psychologischen Theorien erwachsen
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könnte, zu beseitigen«, und sogar seine Überzeugung, »daß diese
Kongresse den alten Glauben an die Verantwortlichkeit des Menschen
ffir seine Handlungen nicht erschüttern, sondern befestigen werden«^
86. Man denke sich einen Kongreß von Astronomen, dem ans
Herz gelegt und die Zuversicht ausgesprochen würde, daß er die
altehrwürdige Lehre von den Cycloiden und den überlieferten
Glauben an die Bewegung der Sonne um die Erde, nicht erschüttern,
sondern befestigen werde; oder einen Astronomen, der seine Kritik
der neueren Ansichten von den Kometen damit beschließen wollte,
daß ihm nicht darum zu tun sei, diese Ansichten politisch oder
moralisch zu verdächtigen! Und doch waren vor nur 300 Jahren
solche Reden durchaus möglich, ja, wenn astronomische Kongresse
stat^[efunden hätten, so wären sie unvermeidlich gewesen. In Wahr-
heit reflektiert sich die Gespensterfurcht hier, wie überall, in einem
teils unklaren, teils falschen Denken. Unklarem: denn, wenn auch
jener Minister ohne Zweifel »Tausenden« aus der Seele spricht, so
dürften doch von diesen Tausenden kaum zehn Personen irgend
welchen gedaditen Begriff mit dem Worte »Verantwortlichkeit« ve*-
binden, und vielleicht keiner einen brauchbaren. Alle, die joie Ge-
fahren wittern, dürften das Verantwortlichsein für eine Eigenschaft
des Menschen halten, die ihm als vernünftigem Wesen anhänge.
Diese Eigenschaft kann nicht wahrgenommen werden, man muß sie
also durch Introspektion kennen. Auf das Bewußtsein des freien
Willens wird hingewiesen. Dies Bewußtsein aber enthält, wie oft
bewiesen worden, in praktischer Hinsicht nichts als die Tatsache
des vernünftigen Denkens. Wenn »verantwortlich« nichts weiter ist
als ein anderer Name für diese normale Tatsache, so kann weder
Tatsache noch Name durch irgend welche Psychologie erschüttert
werden. Aber die im Banne der Sprache Denkenden wären darauf
aufmerksam zu machen, daß immer geredet wird vom »verantwort-
lich machen«, daß es auch hier um einen Begriff sich handelt,
dessen Wesen durch individuellen oder Zumeist) durch sozialen
Willen konstituiert wird. Die Menschen machen einander g^:en-
seitig, die Gemeinde macht die Bürger, Eltern machen ihre Kinder,
Sitte, Religion, Gesetz und Moral nur den Menschen, der ihrer
Idee eines vernünftigen Menschen entspricht, verantwortlich. Ob es
richtig und erlaubt ist, daß sie es tun? es ist richtig und erlaubt,
in dem^Maße, als es sinnvoll und zweckmäßig ist Im ethischen
Sinne am höchsten steht es aber, daß der Mensch sich selber
verantwortlich mache. — Und die Gespensterfurcht reflektiert sich in
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— 77 —
falschem Denken: in dem Wahne, daß Menschen in ihrem prak-
tischen Verhalten durch psychologische Lehren sich bestimmen
lassen. Hier liegt zuletzt jener Mangel an soziologischer, eben darum
aber auch an psychologischer Einsicht selber zu gründe, ein Mangel,
der in Anwendung auf politische Maximen noch immer ffir Reich-
tum gehalten wird.
87. E. Die Philosophie bewegt sich also gleichsam zwischen
zwei Feuern: von den Vorausgeschrittenen wird sie als reaktionär,
von den Zurfickgebliebenen als revolutionir angegriffen. Ihre be-
klommene Lage verrät sich am deutlichsten durch die Stellung, die
ihr im höheren Unterricht und im öffentlichen Leben eingeräumt
wird. Im höheren Unterricht: wenigstens in Deutschland spielt sie
nur die Rolle eines geduldeten Schutzburgers; auf vielen Universi-
täten erhält sie sich, in schwacher Geltung, durch das noch bestehende
Privileg der »philosophischen« Fakultäten, den »philosophischen«
Doktortitel zu verldhen, der in neuerer Zeit einen gewissen Markt-
wert, hauptsächlich für junge Chemiker, die sich der Industrie wid-
men, besitzt Im fibrigen wird sie von den Vertretern der Medizin
und Naturwissenschaften über die Achsel angesehen, von den Re-
gierungen höchstens etwas gefördert, wo sie, wie die Psychologie,
in einigen Beziehungen zu jenen emporzusteigen vermag. Dieser
Lage entspricht der schlecht organisierte Zustand des Unterrichtes
selber: Vorlesungen müssen »gemeinverständlich« sein, d.h. wenig;
stens halbwegs zur Unterhaltung dienen, gleich Vorträgen für Laien-
publikum; »Übungen« für Anfänger wird meistens KANT zu gründe
gel^;t, weil die unkundige Menge ein dunkles Vorurteil hegt: ihn
einigermaßen verstehen, heiße in die Geheimnisse der Philosophie
eindringen; zudem ist er Nationalphilosoph. Die Methode aber, mit
KANT zu beginnen, ist, als ob man europäische Kinder lesen lehren
wollte am koptischen Alphabete. Welche heillose Wirkungen popu-
läre Vorträge auf der einen Seite, Elementarunterricht durch Kritik
der reinen Vernunft auf der anderen, in Schülerhimen haben, davon
bleiben selbst bei den fähigsten, zumal wenn sie hurtig an eigene
Produktion sich wagten, die Spuren oft genug als beliebige Mischung
vulgärer und Kantischer Terminologie erkennbar. Mitschuldig
daran ist auch die völlig unzulängliche Art, in der die Geschichte
der Philosophie noch immer auf Kathedern und in Büchern vor-
getragen wird — zum großen Teile nämlich als eine Geschichte
von Einfällen und Fantasien. Das Ansehen, dessen das gefällige
belletristische Werk des Geheimen Rats KUNO FISCHER sich noch
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im In- und Auslande erfreut, ist dafür charakteristisch. Für eine exakte
Geschichte der Terminologie ist aus neuerer Zeit fast nur, als
sehr schätzenswerte Vorarbeit, die Schrift von EUCKEN vorhanden. —
Im öffentlichen Leben — wohl aller Lander — ist die Geltung der
Philosophie gleich Null. Weder Psychologen noch philosophische
Moralisten und Politiker (Soziologen) genießen als solche irgend
welche Autorität Gesundheitswesen und Gerichte bedürfen oft
psychologischer Gutachten, Ratschläge, Dienste; sie werden ausschließ-
lich aus der medizinischen Fakultät bezogen. Für alle höheren
Funktionen der R^erung genügt — im Deutschen Reiche — die
gewöhnliche Bildung des Juristen: Kenntnis der Pandekten als Ober-
lebsel, und neuerer Gesetzbücher — philosophische Bildung gilt
eher als Kontra-Indikation der BeBhigung. Von philosophischer
Ethik wird offiziell so gedacht, daß die Behauptung, Ethik sei ihrer
Natur nach unabhängig von den Religionen, zuweilen als disqualifi-
zierend für philosophische Professuren gilt — Philosophie hieß einst
die Magd der Theologie. Damals diente sie einem guten Hause, in
dem sie noch »Königin der Wissenschaften« blieb. Heute gleicht sie
dner Vagabundin, die bald bei der Theologie, bald bei den Wissen-
schaften sich ein Stück Brot erbettelt, von Zeit zu Zeit aber von
der Polizei in sicheres Gewahrsam gebracht wird. Auch die Angst
der Umherirrenden gibt sich oft darin kund, daß sie eine dunkle
und verworrene Sprache reden.
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III.
88. Die Richtungen, in denen wirksame Abhülfe erwartet werden
darf, sind im allgemeinen bezeichnet durch die Diagnose des Zu-
standes und seiner Ursachen. Die Hauptrichtung ist darum g^eben
durch den Fortschritt des Denkens selber, in den verschiedenen
Zweigen, in denen es auf diese Sphäre Einfluß übt
89. Am wichtigsten dafür ist sein zunehmender internationaler
Charakter. Es wird in Zukunft einmal höchst problematisch er-
scheinen, wie in so weitem Umfange, durch Vermischung mit den
belletristischen Nationalliteraturen, der internationale Charakter wissen-
schaftlicher Philosophie hat ausgelöscht werden können. Mehr
und mehr wird erkennbar, daß es sich dabei nur um eine, für das
Geistesleben der einzelnen Nationen mannigfach fruchtbare Unter-
brechung gehandelt hat Philosophie ist von den Einzelwissen-
schaften nicht trennbar. Diese aber sind auf die Kommunikation
neuer Beobachtungen, neuer Erfindungen, neuer Methoden angewiesen,
sie leben durch den Austausch von Gedanken. Die Psychologie
wird besonders in den wichtigen Stücken, die durch Experimente
und statistische Methode sich entwickeln, rasch zu einer internationalen
Wissenschaft Die sogenannte Statistik, d. h. eine Masse von sozio-
logischen Beobachtungen und Forschungen, die durch statistische
Methode gefördert werden, ist längst als internationale Wissenschaft
anerkannt Was die allgemeine Soziologie anbetrifft, so ist sie
noch kaum konstituiert, im nationalen Universitätsbeh-iebe wenig in
Geltung, aber schon ist ein internationales Institut, eine internationale
Zeitschrift dafür ins Leben gerufen worden. Wenn aber Philosophie
heute die Aufgabe hat, das psychologisch-biologische und das sozio-
logische Wissen und Denken in ihrer Sammellinse zu vereinigen,
so hat es offenbar keinen Sinn mehr, daß noch immer der Zufall
nationalsprachlicher Abstammung für die Kenntnis der neueren Ge-
dankensysteme entscheidender Faktor zu sein pflegt Der Vernunft
ist ihr Anspruch wesentlich, allgemeine Geltung zu haben.
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— 80 —
90. Mächtig angeregt wird nun die Verständigung und das
Zusammenwirken schon durch die Bedingungen und Mittel des
heutigen Weltverkehrs. Die Vereinigten Staaten von Amerika, deren
wissenschaftliche Eigentradition noch jung, sind zwar durch die
Sprache, aber nicht durch nationale Vorurteile auf Beschränkung
angewiesen, sie nehmen unbefangen aus allen Ländern die Akkumu-
latoren der Qedankenkraft bei sich auf. Nicht viel anders die Kolonien
des britischen Weltreiches, Japan u. a. Je mehr in der neuen Welt
die innere Sammlung für tiefes Denken gewonnen wird, desto mehr
hat Europa einen Rfickstrom junger Früchte zu erwarten. Studierende
aus allen Weltteilen versammeln sich in den Hauptstädten der
Wissenschaft, die Gelehrten der meisten Länder treten durch Reisen
und Korrespondenzen wieder in lebhaftere Beziehungen. Wieder:
denn noch im 1 7. Jahrhundert war dies, infolge des kosmopolitischen
Wesens der Kirche und der lateinischen Sprache, trotz des überaus
schwierigen Verkehrs, normaler Zustand gewesen. In modernem Stile
bilden sich die Sammelpunkte, teils als periodische Druckschriften,
teils als persönliche Kongresse aus; beide müssen auf Aus-
gleichung immer stärker hinwirken. Es ist unvermeidlich, daß
die Hemmnisse verschiedener Terminologie, besonders, sofern sie
durch jene nationalen Einschränkungen bedingt waren, mehr und mehr
zum Bewußtsein kommen, daß aber auch das Bedürfnis einer ge-
meinsamen Sprache immer lebhafter sich geltend machen wird.
91. Von den immer erneuten Versuchen, eine Weltsprache
zu konstruieren, ist in früherem Zusammenhange geredet worden.
Auch wurde angedeutet, daß sie zumeist in den Forderungen des
Handelsverkehres ihre Antriebe haben. Hier aber ist nicht un-
angemessen, daran zu erinnern, wie gerade das wissenschaftliche
Bedürfnis ehemals in diesem Sinne gewirkt hat Von mehreren
Versuchen und Plänen, die im 17. Jahrhundert Aufmerksamkeit auf
sich zogen, ist keiner so merkwürdig und geistreich, wie das von
unsäglicher Arbeitsmühe angefüllte Werk des Bischofs WILKINS.
Sein Grundgedanke, so bedeutend, wie einfach, verdient in der Tat
immer neue Erwägung, und eine gewisse Verwertung um so mehr,
als er, ohne es selber zu wissen, nur verallgemeinert, was die
Figuren- und Formelsprache der Mathematik längst dargeboten hat.
Der Bischof will, für wissenschaftlichen Gebrauch, eine universelle
Schriftsprache erfinden, d. h. ein Zeichensystem für »Begriffe
und Dinge«, das zunächst geschrieben und nur akzidenteller Weise
auch gesprochen zu werden bestimmt ist »Obschon es wahr ist«,
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bemerkt er, »daß die Menschen gesprochen haben, ehe sie schrieben,
und daß folglich Schrift nur das Bild der Sprache, der Zeit nach
also später ist; so ist doch in natürlicher Ordnung keine Priorität
vorhanden .... Menschen, die je in ihrer Sprache fortfahren zu
reden, können doch miteinander verkehren durch ein reales Schrift-
zeichen (a real character)y das in allen Sprachen lesbar wäre«. Für
jedes Ding, jeden Begriff, für grammatische Derivative und Flexionen
hat er also ein Zeichen erfunden, und zwar stehen die ersteren so
in Beziehung zu einander, daß sie dem Wesen (der Verwandtschaft
usw.) der repräsentierten Dinge und B^^iffe entsprechen sollen. Er
weiß wohl, daß dies eine richtige Theorie, eine universale Wissen-
schaft zur Voraussetzung hat Gleichwohl wagt er es, den bei
weitem größten Teil seines Folio-Bandes anzufüllen mit Tafeln, auf
denen er alle wahrnehmbaren und denkbaren Gegenstände zu regi-
strieren unternimmt. Vor ihm hatte auch DESCARTES die Idee
einer Universalsprache entwickelt und gebilligt, worin gleichfalls
alles, was in den menschlichen Geist eintreten könne, geordnet sein
solle; »aber die Erfindung einer solchen Sprache hängt ab von der
wahren Philosophie .... auf deren Basis würde sie allerdings
dem Urteile so deutlich alle Dinge darstellen, daß es ihm fast un-
möglich sein würde, sich zu täuschen, anstatt daß, ganz im Gegen-
teile, die Worte, welche wir besitzen, gewissermaßen nur verworrene
Bedeutungen haben, an die sich der menschliche Geist von langer
Hand gewöhnt hat, infolgedessen er fast nichts auf vollkommene Art
versteht. »Aber« — meint schließlich der große Denker — »eine
solche Weltsprache hat große Veränderungen in der Ordnung
der Dinge zur Voraussetzung; die ganze Welt müßte nichts sein
als ein Paradies auf Erden, und so etwas darf man nur in
Romanen der Einbildung zumuten«. Diese Idee war nicht dazu
angetan, LEIBNIZ abzuschrecken, der immer, mit ahnungsvoller
Unklarheit, solchen Weltgedanken nachging. So wollte er denn noch
über WILKINS hinausschreiten, indem er meinte, für jede Idee ihre
charakteristische Zahl auffinden zu können, so daß man alles
Denken ebenso universell und sicher zu machen vermöchte, wie die
einfache Arithmetik. Er dachte dabei an die Berechnung der Wahr-
scheinlichkeit von Ereignissen, und folglich wohl auch an so etwas,
wie heute in der Bevölkerungs- und Moralstatistik die Natalitäts-,
Mortalitäts-, Nuptialitäts-, Kriminalitäts- usw. Ziffern bedeuten.
Übrigens ist bekannt, wie in der Logik die Versuche einer graphi-
schen Darstellung; wie auch einer mathematischen Behandlung von
Tönnies, Philos. Terminologie. 5
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— 82 —
Baffen immer, wenn auch seither mit geringen Erfolgen, wieder-
holt worden sind.
92. Viele alte Vemunftentwfirfe, die noch vor einigen Jahr-
zehnten ebenso als utopisch belächelt und weggeworfen wurden,
wie noch jetzt die Idee einer solchen Weltsprache von vemfinftiger
Skepsis abgewehrt wird, sind seitdem, wenn auch keineswegs voll ver-
wirklicht, so doch in gewaltigem Fortschritte gefördert worden;
man denke an den Weltpostverein, an das metrische System für
Maß und Gewicht, an die lateinische Münzkonvention, an die mittel-
europäische Zeit u. a. Überall handelt es sich um Beziehungen von
Zeichen auf ein umfassenderes System, um Bestimmung von iMaB-
Einheiten durch einen universelleren Willen. Im Angesichte dieser
Tatsache darf man auf jene Träume, denen Denker von erstem
Range anhingen, das Wort anwenden, das KANT von der plato-
nischen Republik gebraucht: man würde besser tun, diesem Ge-
danken mehr nachzugehen und ihn durch neue Bemühungen ins
Licht zu stellen, als ihn, unter dem sehr elenden und schädlichen
Vorwande der Untunlichkeit, als unnütz bei Seite zu stellen.
93. In Wahrheit kann solche Idee höchst nützlich wirken, sie
kann als ein ^Wegweiser dienen, wenn auch in unbekanntes Land,
so doch in ersprießliche Richtung. Das Höchste muß gewollt,
das Unmöglichscheinende muß versucht werden! Ein System von
Begriffen ist denkbar, das alle möglichen Gedanken, soweit sie
formalen Wert in philosophischen Urteilen haben können, in ihrer
natürlichen Ordnung darstellt, ihre Verhältnisse zu einander, Ab-
hängigkeiten, Verwandtschaften, Kontraste festsetzt, alle aber aus ein-
fachen Elementen, von denen angenommen wird, daß sie dem
gemein-menschlichen Bewußtsein angehören, entwickelt; für diese
Elemente, die, wie das ganze System, in einer wirklichen Sprache,
aber in einer so sehr als möglich universellen (wie der lateinischen)
ausgedrückt werden sollten, ließen sich zugleich gewisse lineare
Zeichnungen herstellen, so daß sich die komplexen Gedanken daraus
zu geomeh-ischen Figuren zusammensetzen würden — ebenen, sphä-
rischen und räumlichen. Diese Linien und Figuren würden den
universellen Terminus zwar nicht ersetzen — denn diesen denken
wir doch als sprachlich bezeichnet — aber auf eine leicht verständ-
liche Art die Verhältnisse dieser Termini zu einander illustrieren;
andere mathematische Zeichen wären daneben anwendbar.
94. Gesetzt, z. B. man beschlösse, den Begriff der Cattsa dahin
zu bestimmen, daß er ein besonderer Fall des logischen Verhältnisses
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eines Ganzen zu seinen Teilen würde, so könnte das Ganze durch
ein Quadrat, die Teile durch eine beliebige Anzahl (z. B. 3) hinein-
gezeichneter Quadrate mit gleichem Schwerpunkte symbolisiert werden;
das besondere Verhältnis der Kausalität würde dann etwa durch
Konstruktion der durch alle hindurchgehenden Diagonalen sich dar-
stellen lassen. Hieraus mögen wir — argumenü gratia — den Be-
griff der realen Möglichkeit entwickeln und durch ein hineinge-
zeichnetes Kreuz differenzieren, den B^ff des Willens ferner durch
eine um dieses Gesamtquadrat gezogene Kreislinie, den des sozialen
Willens durch eine oder mehrere konzentrische Kreise mit größeren
Durchmessern usw. Solche I>efinition und Konstruktion der Begriffe
würde sie gleichsam zu Prototypen machen und von den losen
Allgemein Vorstellungen, die in unendlicher Mannigfaltigkeit sonst
mit den entsprechenden Wörtern verbunden werden, scharf abheben.
Sie würde ein in jeder Sprache, in jedem Gedankensystem anwend-
bares Gerät vorstellen, und dem Lernenden sie als feste Assoziationen
einprägen, mit denen er an die Betrachtung und Analyse der Wirk-
lichkeit gerüstet hinangehen würde.
95. Für die Verwirklichung solcher Idee, die sich leicht weiter
ausspinnen ließe, ist aber vor allem notwendig, daß eine Stelle
vorhanden sei, die nicht allein sie auszubauen die Fähigkeit, sondern
auch sie geltend zu machen die Autorität besäße. Solche Autorität
kann niemals eine zwangsmäßige sein, wie die der politischen Gewalt,
sie kann nur ihren Grund finden in ihren wirklichen Leistungen
und in der diese anerkennenden allgemeinen Meinung. Nun fordert
in jeder Hinsicht die wissenschaftliche Arbeit unserer Zeit, zumal
die ungeheuren Arbeiten des Sammeins, Generalisierens, Registrierens
— wozu denn auch die terminologische Klassierung und Etiket-
tierung gehört — - fordert Beratung, Kooperation, Organisation. Die
gegebene Form für eine solche gelehrte Körperschaft ist die Aka-
demie. Was die nationalen Akademien für die Förderung der
Naturwissenschaften leisten sollten und zum guten Teile gdeistet
haben, das ist für die Geisteswissenschaften einer Internationalen
Akademie als Aufgabe zu stellen. Jener lag das materielle prak-
tische Interesse der Staatsmänner und Staatsbürger für die Entwick-
lung des Handels und der Industrie zu gründe; Handel, Industrie
und Wissenschaft verbunden haben die großen politischen Körper
geschaffen, in denen die Nationen sich guten Teils eifersüchtig
und feindlich gegenüberstehen. Diese internationale Akademie muß
sich durch die Fülle und den Reichtum ihres Lebens von jenen,
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— 84 —
die von ihrer Geburt her etwas von einem toten, maschinenhaften
Wesen an sich tragen, ebenso abheben, wie eine moderne Weltstadt
von den steifen Ffirstenstädten des 18. Jahrhunderts. Jene waren
Produkte des monarchischen Absolutismus und des militärischen
Geistes; diese soll eine Schöpfung des demokratischen Relativismus
(den wir als Kommunismus zu definieren freistellen) und des Geistes
der friedlichen Arbeit sein. Ihrer Idee liegt das ideale praktische
Interesse der Menschenerzieher und Weltbürger zu gründe, ein
Interesse, das Psychologie und Soziologie zum Range der leitenden
Organe in einem moralischen Körper erheben will, dem die ge-
bildeten Nationen sich willig eingliedern und unterordnen werden.
Diese Idee li^ nun, wie unter den Soziologen kaum ein nennens-
werter bezweifeln kann, gleichsam in der Luft des Zeitalters. Sie
ist die Oberstimme zu allen den Instrumenten, die im ökonomischen,
im politischen und im geistigen Leben des Jahrhunderts g^eigt
und geblasen werden. An der Wende eines neuen Jahrhunderts darf
sie in diesem Konzerte vielleicht den Ton angeben.
96. Eine solche Akademie soll in erster Linie eine Stätte für
wissenschaftliche Forschung und Gedankenarbeit sein. Eben dadurch
soll sie in zweiter Linie auch eine Stätte der Lehre sein. Nur
nicht der Lehre als eines Mittels zur Ausbildung von Beamten oder
zur Ausstattung wohlhabender Männer und Frauen mit dem Apparate
unterrichteter Plauderei — sondern einer Lehre, die unmittelbar aus
der Mitarbeit des Forschens und Denkens hervorgeht, die also in
persönlichem Verkehr, im Einflüsse und Vorbilde der Meister ihre
lebendigen Quellen habe, die nur den wahrhaft Wissensdurstigen
zugänglich, auf diese aber auch intellektuell und moralisch befruch-
tend wirken kann. Die Akademie ist nicht denkbar ohne eine ge-
meinsame Sprache. Ob nun, wie wir schon vorausgesetzt haben,
das Neulateinische darin seine Auferstehung feiern wird? Manche
Gründe ließen sich anführen, um es wahrscheinlich, nicht wenige,
um es wünschenswert zu machen. Völlig untergegangen ist es nie;
unentbehrlich ist es noch in jeder technischen und wissenschaftlichen
Terminologie, auch durch seine unbegrenzte Fähigkeit, die teils aus
der Geschichte der Wissenschaft, teils aus neueren Bedürfnissen her-
stammenden griechischen Wortformen sich anzubilden; überhaupt
hat es eine lange Periode der Gestaltung für Zwecke eines mannig-
fachen und verfeinerten Denkens durchgemacht; es hat dadurch eine
gewisse Kühle und Nüchternheit gewonnen, die der Vernunft höchst
angemessen ist; nur durch die archaisierende Philologie, daher nicht
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— 85 —
eigentlich als es selber, sondern als erneuertes Altlatein, hat es der
Rhetorik dienstbar gemacht werden können; und auch diese An-
wendung ist als bewußte dem Denken nicht so gefährlich, wie die
unbewußte Rhetorik, die in jeder »lebenden« Sprache verborgen ist;
endlich darf man sagen, daß die Tradition auch ihre Rechte hat,
und daß jene tote Sprache jedenfalls als neutrale fiber allen Eifer-
süchten der Nationen steht, mit deren Widerstand eine so erleuchtete
und freie Tat, wie die B^^ndung dieser Akademie, allerdings wird
rechnen müssen. Wenn wir in früherem Zusammenhange eine
spontan sich bildende Herrschaft des Englischen als der Sprache
kommerziellen und personlichen Weltverkehrs für wahrscheinlich er-
klärten, so steht die hier gedachte Wiederaufnahme des Neulateinischen
damit nicht in Widerspruch. So gut wie eine Umgangssprache und
eine Schriftsprache, sehr verschieden von einander, oft zusammen
bestehen, so könnten auch eine universelle Umgangs- und Schrift-
sprache auf der einen, eine Schrift- und Qedankensprache auf der
anderen Seite, ohne Reibungen neben einander hergehen.
97. In dieser Schrift- und Qedankensprache, wie immer sie be-
schaffen sei, wird das große philosophische System, werden ebenso
die besonderen Corpora der Geisteswissenschaften, dargestellt werden
müssen, deren Abfassung wir als das Werk unserer Akademie
vorstellen, mögen auch viele sukzessive Generationen ihrer Mitglieder
daran tätig sein. Modell-Begriffe auszuprägen genötigt, wird sie um
die Ausdrücke dafür nicht verl^en sein, und das Wort LEIBNIZens
endlich wahr machen, mit dem er auf die von LOCKE aufgezählten
UnvoUkommenheiten der Natursprachen für wissenschaftliche Zwecke
sich bezieht » Car ü dopend de nous^y sagt er, um zu b^^nden,
daß jene Mängel ihren Bestand nur haben durch unsere Nachlässig-
keit, T^de fixer les signißcations, au motns dans quelque langue
savante, et d'en convenir pour ditruire cette tour de Babeh.
98. Wem dies utopisch scheint, der werde an die Utopie des
metrischen Systems für Maß und Gewicht nochmals erinnert und
auf die ältere Literatur darüber aufmerksam gemacht, worin beklagt
wird, daß der Wissenschaft nicht gegeben sei, die Macht des Her-
kommens zu brechen, die nur Gewalt besiegen könne. Noch sind
wenig mehr als 100 Jahre vergangen, seit die Pariser Akademie der
Wissenschaften die Erdmessungen beendete, auf Grund derer die
deponierten Mustermaße als Meter und Kilogramm zu gesetzlichen
Einheiten für ganz Frankreich erhoben wurden, und schon seit
etwa 30 Jahren ist auf Grund von Verträgen zwischen 17 Staaten ein
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ständiges internationales Bureau für Maß und Gewicht ins Leben
getreten. Wer nach dieser Analogie ein internationales Amt für
psychologische und soziologische Begriffe denkt, wird ohne Zweifel
bedeutet werden, daß er Unvergleichbares zusammenstelle; man wird
vor allem den praktischen Wert nicht zugeben, wird darauf hin-
weisen, daß die Triebkraft des Interesses solchen idealen Dingen
immer fehlen werde. Wir haben selber darauf hingewiesen, daß
die idealen Interessen von Fantasie, Kunst, Religion gleichsam
mit Beschlag bel^ werden. Hier aber dürfen wir dagegen betonen,
daß auch in dieser Hinsicht die Lebensbedingungen des gegen-
wärtigen Zeitalters eine gewaltige Umwälzung deutlich vorbereiten.
Die moderne Gesellschaft reckt ihre ungeheuren Glieder. Die soziale
»Frage« err^ die Köpfe der Politiker und der Philosophen aller
Länder. In einzelnen Problemen verdichtet sie sich, die schon als
internationale anerkannt wurden: Kapital und Arbeit, Weltmonopole,
Verbrechertum. Die Einrichtungen, Erfahrungen, Studien der ein-
zelnen Länder ringen nach Verständigung miteinander. In der
Richtung auf das zuletzt genannte Problem ist seit bald einem De-
zennium die Internationale Kriminalistische Vereinigung — Union
Internationale de Droit p^nal — in lebhafter Tätigkeii Über das
Studium der Statistik, das für alle diese Probleme von so großer
Wichtigkeit, ist noch ein Wort zu sagen. Statistik pflegt als be-
sondere Wissenschaft zu gelten. Was aber heute unter ihrem Namen
gedacht wird, ist nur die universell anwendbare numerische Methode;
deren hauptsächliches Objekt ist — gemäß dem ursprünglichen Sinn
des Wortes Statistik — Erforschung der Zustände und Veränderungen
des sozialen Lebens, wofür man auch »empirische Sozialpsychologie«
setzen kann. Ihre Wichtigkeit, ja Notwendigkeit ist von allen Staaten
und von vielen Kommunalverbänden öffentlich anerkannt. Aber
trotz und wegen dieser Anerkennung li^ sie noch im Banne der
unmittelbaren adminishiativen Bedürfnisse, ja, ist dem tendenziösen
Mißbrauche für R^erungs- und Parteizwecke ausgesetzt. Man kann
sie mit dem Zustande der Astronomie vergleichen, jener Zeit, als
die großen Herren Sternwarten bauten, um sich und ihren Frauen
und Kindern das Horoskop stellen zu lassen. Dahinter lagen tiefere
Interessen, die über solchen Zauber die Astronomie erhoben. So
liegt auch hinter den Verl^enheiten von Ministem und Magistraten
um »statistisches Material«, das Lebensinteresse der modernen Ge-
sellschaft, sich zu erkennen, um sich zu beherrschen. Sie strebt
nach Harmonisierung, Ausgleich, Frieden, aber es fehlt ihr an
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Organen; sie bedarf eines Ganglions, wäre es auch nur als eines
Hemmungsmechanismus gegen den Wahnsinn und die Lügen leiden-
schaftlicher Interessenkämpfe Hier, wie überall, kann nur aus viel-
fachem Streben die Tätigkeit, aus vielfacher Tätigkeit das organische
Gewebe sich bilden. Streben und Tätigkeit, eine universelle, echte
Wissenschaft aus der »Statistik«, d.h. der Sozialbiologie und Sozial-
psychologie zu gestalten, sind vorhanden und werden sich vermehren.
Gesetzt aber, ein internationales Bureau für freie wissenschaftliche
Statistik würde eingerichtet, und ein würdiger Nachfolger QUETELET's
an dessen Spitze gestellt, wie hätte dies Wert und Folgen für philoso-
phische B^jiffsbildung, also für Metaphysik und Ontologie, wie wir
sie verstehen wollten? Dies ist nicht schwer zu erkennen. Die Statistik
kann keinen Schritt tun, ohne alte Wortbegriffe zu dissoziieren, neue
Gegenstände unterscheidend zu denken, also auch zu benennen.
Ein Beispiel. Die amtliche Statistik hat in Frankreich, und nach
diesem Vorbilde, im Deutschen Reiche, als notwendig erkannt, um
die stärker agglomerierte Bevölkerung von der weniger agglome-
rierten zu unterscheiden, Ortschaften von 2000 und mehr Einwohnern
zusammenzufassen, gleichgültig dagegen, daß diese weder admini-
strativ, noch dem Sprachgebrauche nach, eine Einheit bilden; weil
aber in beiden Hinsichten allerdings ähnliche Unterscheidungen be-
zeichnet sind, so paßt man diesen sich an, indem man die eine
Gruppe »Stadt«, die andere »Landort» nennt. Würde diese einfache
Norm allgemein durchgeführt, so wäre etwas gewonnen, was für
wissenschaftliche Zwecke vorbildlich gelten kann. In allen Sprachen
werden Stadt und Land unterschieden, zum Teil nur mit unbestimmter
Größenvorstellung von Orten, zum Teil aber hat der Name Stadt
positive, historische, d. h. rechtliche Begründung. Diese kreuzt sich
mit dem Größenunterschiede. In neuerer Zeit ist die rechtliche
Bedeutung des Stadtbegriffes stark zurückgetreten, die Unterschiede
der Orte nach ihrer Volksmenge haben sich immer mehr davon
abgelöst und zugleich sich immer stärker entwickelt. Für die Statistik
haben diese Unterschiede elementares Interesse. Sie findet z. B., daß
die stärker agglomerierten Bevölkerungen auch stärker zunehmen.
Wenn sie dies, sei es am sprachgebräuchlichen oder am admini-
strativen Gegensatze von Stadt und Land zeigen will, so muß sie
stark agglomerierte Orte als Land, schwach agglomerierte als Städte
registrieren — würde also ihrer eigenen Absicht entgegen handeln.
Die Ergebnisse verschiedener Länder wären vollends unvergleichbar.
Willkürliche, d.h. aber ihrem Zwecke bestens angepaßte Begriffsbildung
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ist unerlässlich. Der Name ist an sich gleichgültig; wenn aber der
Name »Stadt« behalten wird und diese neue Prägung erhält, so
können für diese Wahl wie für alles, was sich bestehenden Asso-
ziationen anschmiß, gute Gründe geltend gemacht werden. Der
B^jiff Stadt ist selber ein ontologischer in unserem Sinne. Von
allen »Entitäten» bedürfen die sozialen am allermeisten solcher scharfen
Bestimmung für wissenschaftliche Zwecke, zimial solche, wie Recht,
Religion, hinter denen noch eine Entität, wie eine Seele hinter der
Hirnschale, gesucht zu werden pflegt Daß aber die wissenschaftlich-
amtliche Bestimmung psychologischer B^jiffe, denen die herge-
brachten Namen Empfindung, Gefühl, Wille angemessen wären,
minder zweckmäßig sei, als jene Abgrenzung von Phänomenen g^en
einander, worauf die alten Namen Stadt und Land angewandt werden,
wird sich nicht wahrscheinlich machen lassen. — Man kann mit
Grund sagen, daß es sich hier um rein »äußerliche« Merkmale und
B^jiffe handle. Allerdings; aber der W^ ins Innere geht immer
durch das Äußere. Man muß die Grenzen eines Landes überschreiten,
wenn man sein Klima, wenn man Land und Leute kennen lernen will.
99. Vielleicht aber genügen diese Hinweisungen nicht, wenn
man Vorschläge für unmittelbare praktische Beseitigung der vor-
handenen Übel erwartet hat. Wir haben uns an das Thema ge-
halten und nur die Richtungen gezeichnet, in die sich Hoffnungen
begeben dürfen. Wir meinen auch allerdings, daß Erfahrung ge-
nugsam lehrt: aus den Nöten und Strebungen des Lebens, aus dem
Wachstum vorhandener Bildungen, aus den Wirkungen bedeutender
Beispiele, muß der Fortschritt der Erkenntnis, mithin auch die Ver-
vollkommnung ihrer Instrumente, hervorgehen. So wird auch in
dieser Sphäre das alte Wort gelten:
^Multi pertransibunt et augebttur scientia^.
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Additamente.
i.
(Auf Wunsch meines Freundes Dr. OSKAR VOGT schrieb ich im Jahre 1900
ein Resumö diese Abhandlung, unter dem Titel »Tenninologische Anstöflec,
gedruckt in der Zeitschrift fUr Hypnotismus Bd. X Heft 3, S. 121 — 130. Ich gebe
den Artikel hier wieder, mit Ausnahme der zwei letzten Seiten, die zum gröflten
Teil wörtlich aus dem Manuskript meines Traktates zitiert waren. Dieser Artikel
hatte eine kurze, teils zustimmende, teils (in bezug auf das Neulatein als Welt-
sprache) kritische Erörterung Über den Gegenstand von A. FOREL zur Folge
(daselbst Heft 4).
Wissenschaftliche Disputationen werden oft durch die Bemerkung
unterbrochen: »das kommt auf einen bloßen Wortstreit hinaus«.
Es wird dabei als Einverständnis vorausgesetzt; daß man über Worte
nicht streiten wolle, wenn man über die Sache der gleiche^
Meinung sei. Es gilt nicht nur als töricht, über Worte zu streiten,
sondern auch zumeist als vergeblich; denn man weiß oder fühlt
doch: wenn einer einmal einen bestimmten »Begriff« mit einem
Worte verbindet, so ist diese Verbindung nicht lacht lösbar; er ist
keineswegs bereit oder geneigt, einen anderen B^ff an die Stelle
h-eten zu lassen, oder für seinen Begriff ein anderes Wort als be-
zeichnend gelten zu lassen.
Man darf auf allgemeine Zustimmung rechnen, wenn man sagt:
ein klarer Streit über Wirkliches kann sich erst eigeben, nachdem
alle Wortstreitigkeiten ausgeschieden sind — am besten, wenn diese
ganz unmöglich wären, wenn jede Gefahr eines Mißverständnisses
ausgeschlossen wäre. Dann würde jeder durch Worte ausdrücken,
was er gedacht hat, der Hörende würde diese Gedanken richtig re-
produzieren und mit seinen eigenen »Ansichten« derselben Sache
vergleichen können, wenn er solche hat Man würde sich verstehen
— was im deutschen Sprachgebrauche oft schon so viel heißt
als »übereinstimmen«, während es hier nur als die Voraussetzung
dafür betrachtet wird, daß man Nicht-Übereinstimmung konstatiere.
Die eine Übereinstimmung ist dafür notwendig: Übereinstimmung
über die Bedeutung der Wörter. Und eben darum gilt der Streit
»um Wörter« für töricht, weil man denkt, daß es unvernünftig
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sei »an den Wörtern zu kleben«, sie zu »klauben«; denn es müsse
dem Vernünftigen gieichgiltig sein, ob er etwas so oder so benenne,
ob ein Wort in dieser oder jener Bedeutung gebraucht werde. Es
scheint leicht und einfach, sich über die Zeichen einig zu werden,
wenn man nur wisse, was man bezeichnen will — in diesem Ge-
biete, wie in jedem anderen, wo einer zu seinem eigenen (indivi-
duellen) Gebrauche sich ein Zeichen »macht« oder mehrere zu ge-
meinsamem Gebrauche darüber eine Verabredung treffen, d. h. eine
Art von Vertrag schließen, wodurch sich jeder verpflichtet, das
Zeichen anzuerkennen, d. h. es in einem bestimmten Sinne anzu-
wenden und in einem bestimmten Sinne zu empfangen oder zu
»verstehen«.
Gegenüber diesem Bedürfnisse nach künstlichen Zeichen
mit genau bestimmter Bedeutung besitzen wir nun aber in den
Sprachen — und am meisten jeder in seiner »Muttersprache« —
Systeme von natürlichen Zeichen mit vielfach unbestimmten,
mehr gefühlten als klar und deutlich unterschiedenen Bedeutungen.
Freilich wir verstehen einander im Allgemeinen genugsam für Zwecke
des täglichen Lebens — daher besonders soweit es Gefühl und
Wollen zu erregen gilt (aber auch nur im Allgemeinen: denn wie
viel Feindschaft entsteht durch eigentliche und wörtliche Mißver-
ständnisse!). Wenn es aber um wissenschaftliches Denken sich
handelt, so ist von jeher für notwendig oder wenigstens für erwünscht
gehalten worden, »die B^jiffe zu definieren«, d.h. zu erklären, in
welcher Bedeutung man besondere Wörter anwenden wolle — ob
dies Versprechen auch gehalten wird, bleibt dabei immer noch
zweifelhaft. Nach der Absicht des Lehrers oder Schriftstellers li^
darin ein bedingtes Geheiß an den Schüler oder Leser: »wenn
du mich richtig verstehen willst, so mußt du diese Wörter in
diesem bestimmten Sinne verstehen, d. h. bei jedesmaligem Vor-
kommen die Gleichung, die ihren Wert ausdrückt (d. i. meine De-
finition), dir ins Gedächtnis zurückrufen«. Wer danach, um dieses
ausschließlichen Zweckes willen (den Autor zu verstehen), sich
richtet, erklärt damit nicht zugleich, auch seinerseits die Wörter
in jenem Sinne gebrauchen zu wollen. Will und tut er dies, so
geht er gleichsam eine terminologische Konvention mit dem
Urheber jener Definitionen ein. Auf diese Weise können sich viele
kleine Sprach-Inseln bilden — in der Philosophie als Sekten oder
Schulen bekannt — deren Bewohner jenseits ihrer Grenzen von
Niemandem verstanden werden, während sie unter sich die Wertzeichen
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ihrer Begriffe als vollgültig geben und empfangen. In diesem Sinne
ist vor 60 und 70 Jahren der »H^;el-Jargon« berufen gewesen.
Hieraus kann sich zunächst ein Zustand ergeben, dem ähnlich, der
zwischen verschiedenen wirklichen Sprachen besteht Man kann
aus einer Sprache in die andere übersetzen — aber man weiß
auch, daß dies immer mangelhaft bleibt, zuweilen so gut wie un-
möglich ist: manche Ausdrücke und Wendungen sind »unübersetz-
bar«, warum? Weil das eine Volk kein Wort für die entsprechende
»Sache« besitzt, und es besitzt kein solches Wort, weil es die »Sache«
nicht kennt, d. h. aber (da es hierbei zumeist nicht um materielle
Dinge sich handelt), w^il es kein Bedürfnis fühlte, einen gewissen
Komplex von Vorstellungen und Gefühlen durch einen Namen zu
»begreifen«. Dies zeigt sich besonders in dem Mehr oder Minder
von Unterscheidung: was man nicht unterscheidet, das sieht man
nicht, und auch jede Kombination oder Synthese muß als etwas
Unterschiedenes und Besonderes vorgestellt werden^ um für ein Sub-
jekt überhaupt »da zu sein«. So in der Philosophie. Man verlachte
im 17. Jahrhundert die quidditas der Skotisten als sinnlos; für
diese — in ihrem Systeme — hatte das Wort aber eine ganz be-
stimmte Bedeutung. Im 17. Jahrhundert hatte man das Bedürfnis
nicht mehr (oder so viel weniger), diesen Sinn zu unterscheiden, d. h. zu
denken, man hatte sein Interesse in eine andere Richtung gewandt.
Voraussetzung für das Bedürfnis einer gemeinsamen Aus-
drucksweise ist ein gemeinsames Interesse und ein darin wurzelndes
gemeinsames Denken. Nur insoweit als dieses vorhanden, ist es
verhältnismäßig einfach und leicht, sich über die Ausdrücke »zu
verständigen <<(. Dies »gemeinsame Denken« bedeutet nicht so viel
als »gleiches Meinen« oder »übereinstimmendes Urteilen« — im
Gegenteil, es soll ja auch die Basis dafür bieten, daß man über die
wirklichen Differenzen des Meinens und Urteilens zur Klarheit
also zur Verständigung gelange. Es bedeutet aber, daß man die-
selben Gegenstände des Denkens erkennen und anerkennen, oder
— in komplizierteren Fällen, daß man die Probleme, die Streit-
fragen selber, in gleichem Sinne verstehe.
Davon sind wir nun auf keinem Gebiete so weit entfernt, wie
auf dem der Psychologie und dem mit ihr — wie ich behaupte
— ganz und gar verwachsenen der Soziologie; eben darum aber
auch in der »eigentlichen« Philosophie, denn diese ist — möge
man sie als Logik, als Metaphysik oder als Erkenntnistheorie ver-
stehen — nichts ohne psychologische Fundamente.
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Besser mfiBte es damit stehen, wenn das Bedürfnis der Ver-
ständigung und also eines gemeinsamen, gleichartigen Denkens all-
gemein empfunden wäre. Das ist eben nicht einmal zwischen den
Teilhabern an derselben Sprache der Fall; geschweige denn zwischen
verschiedenen Sprachgebieten, von denen jedes seine eigene gelehrte
Sprache ausgebildet hat, seitdem die alte Odehrtensprache — das
Neulateinische — in Verfall geraten ist Und in keinem ist diese
gelehrte Sprache scharf geschieden von der Sprache des täglichen
Lebens. Ja, es wird nicht nur für ein Verdienst gehalten, sondern
sogar ziemlich ungestüm gefordert, daß wissenschaftliche Werke
gerade auf diesen Gebieten »gemeinverständlich« sein sollen; die
populären (exoterischen) und die strengen (esoterischen) Darstellungen
derselben O^enstände werden nicht auseinandergehalten. Und doch
ist eine Wissenschaft nicht möglich ohne Begriffe, d. h. ohne scharf
b^jenzte Denkobjekte; dag^en hat die Sprache des täglichen Lebens
solches Bedürfnis gamicht: sie ist zwar sehr reich in der Bezeichnung
psychischer Wirklichkeiten; aber es sind immer nur die Gefühle,
Empfindungen usw. dieser bestimmten redenden Menschen, die sie
ausdrücken und wohl auch beschreiben will, aber nicht Gefühle und
Empfindungen an und für sich, die als bei allen Menschen oder
sogar Tieren vorhanden gedacht werden müssen. Da sie immer
hauptsächlich auf die Fantasie wirken will, so hilft sich die Sprache
des Lebens mit metaphorischen Ausdrücken; und diese gehen in
die wissenschaftliche Sprache über, ohne in ihrer Ungenauigkeit er-
kannt zu werden. Innerhalb dieser wissenschaftlichen Sprache werden
zwar immer neue Versuche gemacht, die Wortbedeutungen zu fixieren.
Damit verbindet sich aber allzuoft der Irrtum, als wäre dies ebenso-
viel als das Wesen der Sache »erklären«. Es wird verkannt, daß
Begriffe unter allen Umständen psychische Gebilde sind, die von den
Sachen verschieden, diese nur repräsentieren, auch wenn die Sachen
selber psychische Tatsachen und Gebilde sind; femer, daß es zwei
Gattungen von Baffen gibt, die in der Logik wohl als analytische
und synthetische unterschieden werden, die aber auch empirische
und rationale heißen können: jene erwachsen unmittelbar aus den
Vorstellungen, d. h. aus Erinnerungen, sie sind nur Allgemein-Vor-
stellungen, daher je weiter, desto ärmer an Merkmalen, also an Inhalt
Diese, die wohl auch unter dem Namen der »Idee« oder des »Typus«
auftreten, sind reinere Gebilde des Denkens; ihnen wird der Reich-
tum eines individuellen Objekts g^eben, das die Allgemein-Vor-
stellung oder den empirischen Begriff repräsentiert, wie dieser die
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Menge der einzelnen Vorstellungen, aus denen er »abgezogen« ist.
Die Gattung (B) verhält sich zur Gattung (A) wie in einem speziellen
(alltäglichen) Gebiete ein Maßstab zur bloßen Allgemein- Vorstellung
eines Längenmaßes. Der Armut an Merkmalen entspricht hier der
Mangel eines materiellen Substrats; ohne dieses ist nur eine Schätzung
möglich, z. B. nach der durchschnittlichen Länge eines männlichen
Fußes (welche Vorstellung auf einer unbestimmten Menge von er-
fahrungsmäßig bekannten Füßen beruht). Eine eigentliche Messung
geschieht schon, wenn ich meinen individuellen Fuß als Maßstab
gebrauche; was aber durch die Messung in der R^el erreicht werden
soll, wird erst möglich, wenn eine bestimmte Länge, an einem
bleibenden individuellen Gegenstande verifizierbar und korrigierbar,
soziale Gültigkeit als Maß-Länge erworben hat, z. B. der rheinische
Fuß, von dem ein Modell aufbewahrt wird. Und eine neue Aufgabe
ist sodann, ein allgemein giltiges Längenmaß mit den Maßen
anderer Größen in ein System zu bringen.
In der Psychologie werden, soviel ich sehe, die beiden Gattungen
von Begriffen noch nicht gehörig unterschieden; und soweit als
eigentliche Begriffe zur Anwendung gelangen, kommen sie über das
Stadium der individuellen Füße nicht hinaus, oder kommen höchstens
dem in einer Landschaft, einem kleinen Verkehrsgebiete giltigen
Maßstabe gleich. Oder, wie EUCKEN in seiner trefflichen, grund-
l^enden »Geschichte der philosophischen Terminologie« vor 25 Jahren
mit einem anderen Gleichnisse sich ausdrückte, die Kunstausdrücke
(der philosophischen Schulen) sind wie Scheidemünze: sie haben
keinen Kurs außerhalb ihres engen Bezirkes. EUCKEN hat, wenn
ich nicht irre, kein besonderes Gewicht darauf gelegt, die Begriffe
von ihren Ausdrücken zu unterscheiden; wohl aber hebt er selbst
hervor, daß es immer verschiedene Denkweisen sind, die in den
verschiedenen Terminologien sich reflektieren. Und ich meine, daß
jeder wissenschaftlich Denkende hierüber zur Klarheit kommen sollte,
daß es zweierlei ist: Begriffe bilden und sie benennend Und
darüber, daß es vor allen Dingen wichtig ist, in Betreff des Wesens
und Inhaltes der notwendigen und zweckmäßigen Begriffe sich zu
1 Vor sprachlichen Ungeheuern schreckt die Chemie nicht zurück — und
tut ihrer Popularität dadurch keinen Eintrag — , wenn sie den Ursprung neuer
Synthesen m Kunstwörtern anzudeuten sucht, die die Länge einer ganzen Zeile
gewinnen. Sie ist aber durch ihr vorzügliches Buchstaben- und Ziffern -Sjrstem
immer in der Lage , die kompliziertesten Namen im gewöhnlichen Gebrauch ent-
behrlich zu machen.
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einigen. Da kommen zu den Begriffen der Wirklichkeit die rein
logischen Hülfsbegriffe hinzu, die auf psychologische gleichermaßen
wie auf materielle Gegenstände Anwendung finden. Die Bearbeitung
und Feststellung dieser Begriffe — wie notwendig und zufallig,
möglich und wahrscheinlich, Ursache und Wirkung, Zweck und
Mittel — war es eigentlich, die unter den alten Namen der Meta-
physik oder »ersten Philosophie« oder Ontologie gesucht wurde,
und jetzt in der »Erkenntnistheorie« ein neues Obdach gefunden
hat, nachdem jene Namen — hauptsächlich durch ihre Verbindung mit
theologischen Vorstellungen — in Verruf geraten sind. Hier liegen
nun die Kunstausdrficke selber in jeder Sprache fest, und wegen
ihrer Übersetzung aus einer Sprache in die andere kann kaum ein
Zweifel entstehen. Um so mehr wird eine übereinstimmende und
genaue Fixierung ihres Inhalts vermißt; um so weniger wird erkannt,
daß es nicht darauf ankommt, zu entdecken, was sie etwa in irgend
welchem Sprachgebrauch tatsächlich bedeuten, sondern zu statuieren,
was sie, um für einen bestimmten wissenschaftlichen Gebrauch tauglich
zu sein, bedeuten sollen. Und daß die Begriffe für mannigfachen
Gebrauch modifiziert werden müssen, welche Modifikationen denn
auch durch differenzierte Ausdrücke unterschieden werden müssen.
Nächst EUCKEN, der nur in einem Artikel des »Monist«^ das
Thema wieder aufgenommen hat, ist es englische Frau, Viktoria
Lady WELBV, der das Verdienst zukommt, mit großer Energie, ja
mit einer edlen Leidenschaft, das Mißliche der bestehenden Zustände
dargestellt und auf einen vernünftigen »sinnreichen« Gebrauch der
Sprache zu Zwecken der Erkenntnis gedrungen zu haben. Sie
möchte eine eigene Disziplin b^jünden und das Verständnis dafür
schon durch den Schul-Unterricht anbahnen, die sie früher »Sensißcs«,
das Studium des Sinnes, nannte, nämlich des Sinnes, den Wörter
überhaupt haben können und den sie haben sollten; daraus müsse
methodisch erlernt werden, wie ein Gedanke am treffendsten, am
zweckmäßigsten und am schönsten ausgedrückt werde. »Denn in
der Regel finden diejenigen, die am meisten zu sagen haben, es
nicht am leichtesten, es zu sagen. Im Gegenteil, die größten Geister
sind es oft, die am meisten sich beklagen über die Unzulänglichkeit
von Worten, ihr ganzes Denken auf angenemessene Art auszudrücken,
1 PhüosopHcal ierminohgy: expository and appellatory, Monist VI, 497 fif.
0iiiy 1896). Als ich die Preisschrift verfeiflte, war mir diese Abhandlung unbe-
kannt. Auch wußte ich damals von Lady Welby's Bemühungen nichts, und der
Ursprung der Preisaufgabe war mir fremd.
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und über das Versagen des gewöhnlichen Lesers ihnen zu folgen,
selbst wo Worte ihnen in zureichender Weise gedient haben« \
Lady WELBY hat, außerdem, daß sie diese allgemeinen Anregungen
g^dDen, noch in mehreren kleinen Broschüren »Zeugnisse« wissen-
schaftlicher Autoren (hauptsächlich englischer) gesammelt, die den
Zustand der Terminologie, sogar in der Naturwissenschaft, wo man
das Übel viel weniger vermutet, zwar nicht systematisch, aber durch
die Vielstimmigkeit um so beredter, darlegen. Die einleitenden
Worte, die sie zu diesen » Wttnesses ofAmbiguity<!^ (in Philosophie
und Psychologie) ^ geschrieben hat, sind durchaus wert, hier (in Über-
setzung) wiederholt und allen, die für die Bedeutung der Sache
Verständnis haben, ans Herz gelegt zu werden. Sie lauten nämlich:
»Die folgenden Eingeständnisse einer irreführenden oder lähmenden
Zweideutigkeit und Vieldeutigkeit des Ausdruckes (wo sie oft am
wenigsten vermutet werden und am meisten Schaden tun) sind nur
Beispiele, ausgelesen aus einer viel größeren Anzahl, und diese
wiederum sind nur ein Zehntel von dem, was mit Leichtigkeit ge-
sammelt werden könnte in anerkannten und weitverbreiteten Werken
der modernen Literatur; man wird sehen, daß die Fälle aus den ver-
schiedensten Quellen geschöpft sind. Der Zweck dieser Sammlung
ist, dazu zu helfen, daß ein Mißstand bekannt werde, der beständig
ignoriert und zuweilen sogar geleugnet wird; der aber eine Haupt-
ursache der vielfachen Unfruchtbarkeit umlaufender Erörterungen,
der Verwirrung in Sachen von dringender Wichtigkeit, der Hoff-
nungslosigkeit in bezug auf die Möglichkeit ist, zu einer wirklichen
Lösung von »Rätseln« zu gelangen, denen vielleicht nur ein Über-
lebsel oder ein Wechsel von Wortbedeutungen zu gründe liegt, die
als solche nicht erkannt worden sind. — Sicherlich, so lange wir
uns nicht bewußt werden, wie viel Unklarheit und sogar erbitterter
Streit wenigstens teilweise auf diese Ursache zurückgeführt werden
kann, so lange dürfen wir nicht hoffen, daß es besser damit werde.
Und ob es besser werden kann oder nicht, es muß ein Gewinn
sein, zu wissen, wie es damit steht Zur Hälfte liegt das Übel
1 V. Welby, Grains of Sense. London 1897. XI u. 146 S. Ein so geist-
reiches und unterhaltendes, als ernsthaftes und unterrichtendes Büchlein. Neuer-
dings zieht die Autorin den Ausdruck Signißcs vor, und will das Studium der
Zeichen schlechthin, und ihrer Werte, zu einer pädagogischen und ethischen Be-
deutung erheben. Besser dürfte ein dem Griechischen entlehnter Name, etwa
Semantik, dieser Idee sich anpassen.
2 Grantham 1891, W. Clarke.
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gerade daran, daß man allgemein annimmt, »selbstverständlich« be-
deute das Wort x die Sache y, und daß weiter nichts darüber zu
sagen sei.« — Systematisch hat sodann Lady WELBY ihre Gedanken
über »Sinn, Bedeutung und Auslegung« in 2 Artikeln des ^Mind<^
1896 entwickelt, und hieran anknüpfend erhob der französische
Philosoph Andr6 LALANDE in der Revue de Mdtaphysique et de
Morale 1897 seine Stimme \ um zur Herbeiführung eines »Reiches
der Ordnung« in den philosophischen Studien mitzuwirken. Er
plädiert für eine »philosophische Gesellschaft«, die sich dieses Ziel
ausdrücklich setzen solle; durch sie meint er auf die »philosophische
Propädeutik« in den Gymnasien — LALANDE war Professor
am bekannten Lycee Michdet — wirken zu können: »sie allein
kann die genügende Autorität besitzen, so lange wir nicht einen
Minister haben, der selber Philosoph und Schulmeister wäre, um
Ordnung in ein Gebiet zu bringen, das tatsächlich ein Chaos dar-
stelH«2.
^ •Le langage phUosopkique et Punite de philosophier^ 1. c. S. 566 — 588.
^ (Zusatz 1906.) Von Herrn LALANDE ist das Thema femer behandelt
worden in einem Vortrage auf dem internationalen philosophischen Kongrefi
(Paris 1900) »Sur la criHque et laßxation du langage philosophiquer (abgedruckt
in der Bibliotheque du Congres intern, de philos, I »Philosophie generale*). Er be-
zieht sich darin auch auf meine Arbeit, die ihm in der englischen Übersetzung
bekannt geworden ist, und gibt sehr gute Beispiele philosophischer Mehrdeutig-
keiten an den Worten «Evolutionc und »Naturc. Die frühere Anregung wird
dahin erweitert, dafi jede Nation ihren philosophisch-terminologischen Verein haben,
Und dafi diese Vereine in bestandigem Verkehr miteinander stehen sollten. Auch
die Schrift des Dott. Giovanni VAILATI : »Alcune osservazioni sulle questiom dt
Parole nella storia della scienza e della cultura* (Torino 1899) lernte ich erst
kennen, nachdem die obigen Mitteilungen publiziert waren. Diese am 12. Dez. 1898
gehaltene Vorlesung berührt sich in mehreren Punkten (ohne dafi wir von einander
wissen konnten) mit meinen hier vorliegenden Ausftlhrungen.
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IL
Nachdem die Preisschrift in englischer Übersetzung, die mit
Kenntnis und Sorgfalt Mrs. BOSANQUET verfaßt hatte, im >Mind<^
gedruckt worden, erschienen in derselben Zeitschrift: Notes on the
WelbyPrice Essay (Vol. X No. 38 S. 188—204) von V. WELBY,
der schon genannten Urheberin des Preises. Diese Anmerkungen
folgen dem Gedankengange meines Werkchens mit sehr dankens-
werter Aufmerksamkeit lind vieler Anerkennung. Jedoch verhehlt
die Verfasserin in mehreren Punkten ihre Zweifel und abweichenden
Ansichten nicht Ihre Qfite gab sich aber auch darin kund, daß sie
dem Verfasser das Manuskript dieser Anmerkungen fibersandte, um
ihm für eine Entgegnung Raum zu gewähren. Diese kurze Enig^-
nung wurde in englischer Sprache geschrieben, sie schließt sich an
der bezeichneten Stelle S. 204 — 209 an. Sie wird hier im deutschen
Texte wiederg^eben; es wird daraus zugleich ersichtlich sein,
welchen Inhalt Lady WELBY's Einwendungen hatten. Nachdem
mein schuldiger Dank abgestattet worden, lautet die Entgegnung wie
folgt:
Die Verfasserin der »Anmerkungen« geht geradeswegs auf die
praktische Seite des O^enstandes. Ihr leitender Gedanke ist Be-
freiung von überkommenen Formen des Ausdruckes, sofern sie dem
eigentlichen Zwecke, für den sie bestimmt waren, nicht mehr ange-
messen sind. In dieser Allgemeinheit schien mir der Gedanke nicht
unmittelbar zu der Frage der philosophischen und psychologischen
Terminologie zu gehören. Ich anerkenne aber durchaus, daß er
mit dieser Frage einen bedeutenden Zusammenhang hat Der Über-
gang von dem Bedürfnis, das technische Idiom des Denkens zu ver-
bessern, zu dem allgemeineren Bedürfnis, die Sprache der Unter-
haltung und der Literatur vollkommener zu machen, ist allerdings
unvermeidlich, so lange als jene als Teil einer empirisch gegebenen
und »lebenden Sprache« beh-achtet wird. Indessen kann doch (z. B.)
die Sprache der Chemie von allen Einflüssen der gewöhnlichen
Redeweise sich frei erhalten; denn da die gewöhnliche Rede alle ihre
chemischen Kenntnisse und Ausdrücke von der wissenschaftlichen
Chemie entlehnt, so empfängt sie fast nur und gibt sehr wenig.
Tönnies, Philos. Terminologie. 7
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Anders ist es mit Psychologie und Metaphysik. Das tägliche Ge-
spräch gebildeter Menschen, und die allgemeine Literatur, sind voll
von psychologischen und metaphysischen B^jiffen, die — wenig-
stens auf bewußte Weise t— nicht aus irgendwelchem philosophischen
System bezogen sind, sondern den Anspruch erheben, in der Natur
oder im gesunden Menschenverstand, oder — in der Sprache selber
begründet zu sein. So lange daher als die philosophische Sprache
nicht scharf abg^jenzt ist g^en die allgemeine Sprache — m. a. W.
so lange als Autoren Wörter dieser allgemeinen Sprache ohne weiteres
in philosophischen Gebrauch nehmen, als ob sie jedenfalls richtig
verstanden werden müßten von jedem, der diese Sprache kenne —
so lange werden die Verworrenheiten und Unklarheiten dieser all-
gemeinen Sprache auch femer in die philosophischen Systeme sich
hineinschleichen. Und folglich wird, wenn man die Philosophen
auffordert, strenger und auf weniger mißverständliche Art sich aus*
zudrücken, diese Aufforderung so gut wie erfolglos sein, es sei denn,
daß eine allgemeine R^d durchgesetzt werden könnte, wonach man
in allen Dingen auf strengere, unmißverständlichere, weniger zwei-
deutige Art sich ausdrücken würde. Es wäre allerdings ein vor-
züglicher G^enstand für eine besondere Untersuchung — die in
ihrer Tragweite mehr soziologisch als individualpsychologisch oder
sprachwissenschaftlich wäre — , die Quellen lockerer und leichtfertiger
Redeweise und daraus folgender beständiger oder häufiger Mißver-
ständnisse zu erforschen. Hier möge nur soviel darüber gesagt
werden: alle Arten von Mißverständnis, möge der Redende sie
wohl gar beabsichtigt haben oder nicht, sind, wenn dauernd in den
Seelen wirksam werdend, Symptome einer tiefgewiu^zelten Verderbnis
des menschlichen Zusammenld>ens.
^Et la pdle famine et la peste effroydble
N'ägcUent point les maux et les troubtes divers,
Que les mal-entendiis sdment dans l*univers.<^ (Boursatüt)
Und freilich werden sie (die Mißverständnisse), wie alles schädliche,
verschlimmert dadurch, daß die Absicht darauf gerichtet ist, Übel
zu bewirken, indem nämlich Worte und Redewendungen zu dem
Zwecke gebraudit werden, »die Gedanken zu verbergen«, oder
wenigstens mit dem Wunsche und der Hoffnung, daß sie in einem
gewissen Sinne, der den Zwecken des Redendoi gemäß ist, aufge-
nommen und verstanden werden, obgleich er sdber das nidit eigent^
lieh »sagen« oder »gesagt h2d>en« will, d. h. wie in diesem Ftdle
ganz dgentiich zu vetstehen, von aller Verantwortung sich freihält —
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Ntm versteht sich frdHch von selbst, daß jeder Versuch, die Sprache
zti verbessern^ voraussetzt, daß wir ernstlich gewillt sind, uns ver-
standen zu machen und einander zu verstdien, airf so vollkommene
Art wie möglich. Daher geben uns hier nur die auf beiden Seiten
unfreiwilligen Mißverständnisse an. Und da ist es denn durchaus
richtig und verdienstlich» wenn Lady WELBY nacbdriicklidi betont,
daß sdir viel mdir getan werden könnte und getan werden soIHe,
um Mißverständnisse zu vermeiden — K dadurch» daß alle Weisen
des Ausdruckes entwickelt und organisiert würden; 2. dadurch, daß
wir uns selber, und besonders dadurch, daß wir die Jugend dazu
erddien, diese Weisen sorgfältig zu deuten, die verschiedenen Arten
von »Sinn, Meinung, Bedeutung« [Lady WELBY's Trias: senss,
meaning, significance^ sidte unten} zu unterscheiden» um die Ge-
fahren zu vermeklen, die in aller Bilderspracbe und in rlMtorischen
Figuren verborgen sind. Ich bekenne, daß es mir, ehe ich mit den
Ideen und Bestrdwngen Lady WELBY's bekannt wurde, nicht kbu-
g^eworden ist, welches weite Fdd sich hier gerade der pädagogischen
Reform eröffnet.
Ich betrachte es ebenso als eine reelle Bereicherung meiner
Gedanken über die Gültigkeit des Wortsinnes» was Lady WELBY
über die Madit des Zusammenhanges (des Kontextes) über einzelne
Worte und — umgdcehrter Weise — leitender Worte über die Be-
deutung vieler Worte bemerkt hat, von denen manche, wie sie sich
ausdrückt» »nur einen gewissen Kern von Bedeutui^ haben, von
dem ihre Wert-Schwankungen ausgehen müssen«. Und es ist
durchaus wahr, was sie hinzufügt» daß die gescturiebene Sprache, wie
sie ist (im Englischen vidieidtt mehr als sonst), beinahe aller der
HuKsmittel en&ehrt, um seinen »Sinn« verstanden zu machen,, die
eine gesprochene Sprache besitzt, und daß hier ein weites Fdd
für doi Anbau offen li^ EMe Verfasserin gd^ hier vorüber an
der Frage der Interpunktion, die ja ihrem Ursprünge nach em
Mittd (wenn auch nur em ziemlich armsdiges) ist, um die Weise
amuzdgen, in der ein Schriftsteller seine Sätze gdesen haben will
Wie wenig ist geschehen» um dieses Mittd aus sdmer Kindheit
heraus zu entwickeln! Sogar »t die Anwendung dieses schwachen
Gerätes kdneswegs gerq^lt; nach Herkommen ist sie verschieden
in verschiedmen ^iractien; so da^ um eine fremde Spradie richk^
zu lesen» wir zwar, wenn es eine ^rach« (n»erer westlichen Kuttur
ist, nkht nötig haben», dn nenes AJphaibef^ wohl aber nötig tedoen,
eine nene Interpimhtion zu erlemen» wenn: wir nicht vorzidien» wie
7*
^7J.^;»Qi
o / -i Job ^ ,
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— 100 —
es wahrscheinlich die meisten Leute tun, uns ihres Gebrauches gänz-
lich zu entschlagen. Alles dies betrifft indessen den Sinn und die
Bedeutung von Sätzen, ganzen Perioden oder, wie Lady WELBY
sagt, eines Textes, also nur auf indirekte Art den Sinn der einzelnen
Worte. Die kritischen Bemerkungen kommen aber auf dies eigent-
liche Thema zurück, indem sie die gesetzgeberische Wirkung
der Wissenschaft anzweifeln. Ich habe in dieser Hinsicht ein Ideal und
nicht die Wirklichkeit vorstellen wollen, die aber wenigstens in
einigen der Naturwissenschaften, z. B. in der Astronomie und in der
Chemie, dem, was man ein Muster nennen kann, ziemlich nahe
kommt Was Synonyme betrifft, so glaube ich, es darf nach
deutschsprachlicher Erfahrung bestätigt werden, daß wir »nach allen
Seiten hin diesen Schatz verwüstet werden lassen«. Insbesondere
verführt eine übertriebene und besinnungslose Abneigung g^gen
2> Fremd -Wörter« dazu, diese abzustoßen, auch wenn ihnen speziali-
sierte Bedeutungen anhaften, die sie von den entsprechenden
einheimischen Ausdrücken abheben — sie abzustoßen, ohne daß man
in der Lage ist, Eigenwörter einzusetzen oder neu zu bilden, die mit
den gleichen Vorstellungen assoziiert sind.
Die Verfasserin der s» Anmerkungen« hat hier eine — für ihre
Auffassung charakteristische — Auslassung eingefügt über das, wie
sie sagt, »vornehme« Wort »Bedeutung« (Significance), »Ein Be-
griff, wie der des Logos, kann freilich auf grobe und buchstäbliche
Art mißdeutet oder gar in ein »Dogma« krystallisiert auftreten, und
doch mag eine Zeit kommen, wo wir uns freuen werden, wenig-
stens in dieser Form die Wahrheit angeschaut zu haben, daß das
(echte) Wort des (echten) Sprechers schöpferischer, heiliger, gewaltiger
ist, als unsere gewöhnlichen Ideen vom Wesen der Sprache ahnen
lassen. Wenn der Redner, sogar wie er jetzt sich uns darstellt, bei
seinen Zuhörern wohl eine Kraft der Begeisterung und des Ent-
schlusses erweckt, die dazu helfen kann, das Angesicht der Welt
und den ganzen Gang der Kultur zu verändern, oder wie man sagt,
»das härteste Herz zu schmelzen« vermag — was zuweilen die
schwerere Aufgabe ist — : wenn die Worte in einem Buche durch
die Jahrhunderte hindurch so die Menschheit in Schwingung ver-
setzen können, daß sie als »Offenbarung« par excellence gelten und
von unzähligen Mengen beinahe abergläubisch verehrt werden — so
dürfen wir uns allerdings versichert halten, daß der Ausdruck in
Formen, die wir bis jetzt nur schwach uns einzubilden vermögen^
in gewissem Sinne Sitten und Gebräuche rechtfertigen wird, in denen
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— 101 —
wir jetzt entweder bloßes Dogma, das von gedankenlosem Glauben
angenommen werden will, oder das Überlebsel von naivem Mythus
erblicken«.
Lady WELBY erhebt Einwände gegen die »Analogie des Geldes«.
Es war aber nicht meine Meinung, den Gebrauch eines »Bildes«
zu verteidigen; und ich bin, nicht weniger als meine gelehrte Gön-
nerin, davon durchdrungen, daß es falsch sein würde^, Sprache
»figürlich zu definieren« durch jene Analogie. Ich habe nur darauf
hinweisen wollen, daß unter den vielen sozialen Symbolen, mögen
sie konsensueller (wie ich hier sagen möchte) oder konventioneller
Natur sein, die alle den Worten gar sehr unähnlich sind, gering-
wertiger als sie und sogar von ihnen abhängig, es doch einige
gibt, und zwar solche, die in der empirischen Kultur eine höchst
wichtige Rolle spielen, die gewisse charakteristische Züge mit Worten
gemein haben und wohl geeignet sind, das Wesen und die Macht
verschiedener Formen von sozialem Willen zu illustrieren. Das
sind die Zeichen ökonomischen Wertes, d. h. des Tauschwertes.
Sie haben ebenso wie Worte selber, im eminenten Sinne des Wortes
einen sozialen Charakter. Wie Worte von Gehirn zu Gehirn
wandern, so gehen die Zeichen des Tauschwertes (Geld, seine Vor-
gänger und seine Ersatzmittel) von Hand zu Hand — sie führen
eine Bedeutung mit sich, außer dem, was sie sind — d. h. sie müssen
außer dem, als was sie den Sinnen [und dem an sie gebundenen
Verstand] erscheinen, intellektuell gedeutet werden: und es versteht
sich, daß dieser ihr »Sinn« eine Beziehung auf »Gehimtätigkeit«
(d. h. auf Denken) in sich schließt, sowohl im Falle des Geldes
wie im Falle der Worte. (In der Tat hätte ich darauf bestimmter
hinweisen sollen, und bin der Kritikerin dankbar dafür, daß sie mich
auf diesen Mangel aufmerksam macht) Die Analogie steht allerdings
nicht »durch«, außer in gewissen allgemeinen Zügen, die vielleicht
»äußerlich« genannt werden dürften, wenn gleich eben dies Gleichnis,
wie Lady WELBY oft mit Nachdruck betont hat, sehr leicht irreführt
Wenn aber hier der allgemeine Satz ausgesprochen wird, »man
könne den Wert des Geldes nicht dadurch vermindern, daß man es
unterstreiche oder in Majuskeln drucken lasse«, — so wage ich doch,
dazu noch eine gewisse Analogie zu finden in dem Indossieren
von Wechseln, das allerdings ihren Wert in dem geschäftlichen
Zirkel, wo sie ihren »Kurs« haben, erhöht; freilich auch dies simile
Claudicat^ Vielleicht aber ließe das Unterstreichen besser noch mit
einer speziellen Bürgschaft, die ein Zahlender dafür übernehmen
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— 102 —
wfinle, daß seine Mänzen echt oder vollwichtig sind, sich vergleichen;
das wird ihren Wert zwar nicht schlechthin, aber doch ffir den, der
sie empfängt, erhöhen.
kh bitte um Entsdiuld^ng, wenn idi den Einwand nicht für
gültig erachte, daß die »Metapher« mit anderen, die von der Kritikerin
für »wahrer« gehalten werden, sich nicht verdnigen lasse. Ich würde
Metaphern nicht als mdir oder weniger »wahr«, sondern als mehr
oder weniger illustrierend und dadurch nützlich hinstellen. Übrigens
aber ist eine Metapher nicht dasselbe mit einer Analogie. Die Kritikerin
unterscheidet selber, was ich wohl durch ein Beispiel erläutern darf.
Wenn ich sage: dies Wort hat keinen Kurs-Wert mehr, so brauche
ich offenbar eine Metapher, die so wenig »echte Analogie« in sich
schließt^ als wenn ich vom Strome des Lebens oder vom Zahn der
Zeit spreche. Eine echte Analogie bedeutet, wenn ich mich nicht
irre, daß mehr als ein Punkt der Ähnlichkeit vorhanden ist, daß es
eine Ähnlichkeit in den Verhältnissen der Merkmale zueinander
gibt, wie in einer mathematischen Proportion. Und dies wage ich auf-
recht zu erhalten, daß eine echte Analogie existiert zwischen Worten als
Zeichen von Ideen, und Münzen oder anderen Zeichen von Tauschwert
Eine Gefahr haftet sicherlich allen Analogien wie allen Meta-
ph^n an, wenn sie nicht in gehöriger Weise verstanden werden
(natüriicherweise werden Metaphern leiditer verstanden). Aber die
Kritikerin zeigt durch die Sätze, mit denen sie den Abschnitt schließt,
deutlich, daß sie vortrefflich verstanden hat Und in bezug darauf
möchte ich hinzufügen, daß »Philosophie oder Wissenschaft oder
überhaupt alles ernste Denken« schwerlich darauf abzielen kann, den
»gewöhnlichen Leser« zu überzeugen oder zu unterrichten, der in der
R^el alle diese Arten »gelehrten Jargons« allzugründlich verachten
wird, und der in der Tat, wie Plato jungen Leuten rät, die nicht
ihren Kursus in der Geometrie durchgemacht haben, »mein niedriges
Dach« besser vermeiden wird. Denn, wie derselbe Plato (in der
Rq)ublik) so trefflich sagt, keine Wissenschaft oder Lehre kann sich
in Seelen einprägen, die nicht den ernstlichen Willen haben, sie zu
empfangen, d. h. vor allem, sie zu verstehen. Und ist nicht dies
Motto der wahre Kern dessen, worauf meine verehrte Gönnerin
selber abzielt? —
Die »Anmerkungen« enthalten auch in bezug auf das zweite
Kapitel meiner^ Schrift manche wertvolle Anregungen, die meine
eigenen Ansichten über das »Übel und seine Heilmittel«, Ansichten,
die ich nur zagend mitgeteilt hai)e, weiter zu entwickeln geeignet sind.
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— 103 —
Insbesondere bin ich der Kritikerin dankbar dafür, daß sie auf
die »nur zu gewöhnliche Verwechslung von Trennung und Unter-
scheidung« [im wissenschaftlichen Sprachgebrauch] aufmerksam macht.
Was den Ausdruck »real« betrifft, so werde ich gewiß nichts dag^en
haben, daß er für die »physische« Welt reserviert wird, sobald nur
ein allgemeines Einverständnis herrscht, daß das »Reale« nicht das
einzige »Existierende« oder gar »Seiende« ist. Alles wäre hier leicht
zu erledigen, wenn nur Autoritäten anerkannt und Gesetze beob-
achtet würden.
Der dritte Teil der Anmerkungen fuhrt mich zu den Schluß-
sätzen, die mich nur erh-euen können durch die volle Zustimmung
und Würdigung, die meine Skizze über die Art der Abhülfe bei
der aufgezdchneten Kritikerin gefunden hat. Ich gebe audi zu, daß
e^ vielleicht schicklicher wlu-e, von einer internationalen Auskunfts-
stelle (an International Council of Reference)^ anstatt von einer
Akademie, zu sprechen, wenn nur jener Name nidit zu lang wäre
Sicherlich sollte es nichts sein als ein beratendes Konzilium;
es würde keine Zwangsgewalt haben ; es würde nicht wirken außer
durch Argumente und Gründe. Aber das Bedürfnis einer allge-
meinen Sprache halte ich für gebieterisch; dasselbe Bedürfnis
wird von den vorhandenen nationalen Akademien und geldirten Ge-
sellschaften eben jetzt sehr stark empfunden, und es ist sehr merk-
würdig für mich gewesen, daß gerade ein Jahr später, als ich meine
Preisschrift verfaßt hatte (also die sie gedruckt war), eine Konferenz
dieser Akademien stattgefunden hat, die sidi zum Ziele setzte, die
Frage der Wiedereinsetzung des Lateins in seinen alten Rang als
Sprache der Gelehrtenrepublik zu erörtern. Ich teile nicht die
Besoi^is, der Lady WELBY Ausdruck gibt, daß »diese Wiederein-
setzung schlimmere Übel mit sich führen möchte, als die sind, zu
deren Heilung sie bestimmt wäre;« denn das Neu-Latein wäre
biegsamer und geschmeidiger als irgendwelche lebende Sprache,
und könnte sehr wohl »der gegenwärtigen Neigung, archaische
Redefigurcn zu gebrauchen« entgegenwirken (anstatt, wie Lady
WELBY meint, diese zu begünstigen); und was die Gefahr betrifft,
von der hier femer gesprochen wird, — nur durch die größte Behut-
samkeit werde sich verhindern lassen, daß es die Fesseln des For-
malisten noch fester schmieden würde, als sie schon sind — warum
sollte diese größte Behutsamkeit nicht angewandt werden, um der
Gefahr zu b^egnen?
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— 104
IIL
Im Jahre 1903 erschien — London, Macmillan & Co. — das
Buch: » What is meaning? Studies in the development qf stgnt-
ficance.oi By V. WELBY pciu 321 S.) Hierin entwickelt die Ver-
fasserin ihre Idee einer Lehre, die sie Significs nennt (s. oben) und
ihre schon erwähnte Unterscheidung der 3 B^jiffe, die wir viel-
leicht besser, als oben geschehen, durch die Wörter »Sinn, Bedeu-
tung, Hochsinn«, wiederzugeben versuchen. Es ist aber schwerlich
möglich — wie wir wünschen möchten — den Gedankengang
dieses Werkes in wenigen Sätzen zu charakterisieren. Ich glaube
indessen, daß, trotz einer gewissen Undurchsichtigkeit in ihrem Denken
und Wollen, die Verfasserin etwas so Hohes und Edles im Auge
hat, daß wir von ihren Gefühlen und Ahnungen uns gern eine
Weile in ferne Regionen entführen lassen dürfen. Der Leser wird
alsbald erkennen, daß die Verfasserin etwas erstrebt, was weit
über das Thema dieser Schrift hinaus zielt, wenn es auch darüber
schwebt Sie behauptet und beklagt, daß der Gedanke in unge-
höriger Weise geltenden Formen, Regeln und Moden des Aus-
druckes dienstbar sei, daß die Sprache sich in einem so zurückge-
bliebenen Zustande befinde, wie ehemals die örtlichen Kommu-
nikationsmittel, daß dem enormen Fortschritt unseres Wissens ein
Fortschritt oder eine Umwälzung in den Ausdrücken dieses Wissens
folgen und sich anpassen müsse; die Sprache müsse im biologischen
Sinne plastisch werden, und so immer mit einer höheren, rationalen
Bewußtheit gebraucht werden. »Die Dunkelheit großer Schriftsteller
ist oft die Folge gerade jener Gabe von Einsicht und Vorsicht,
deren ihre Leser in der R^el ermangeln.« Von entscheidender
Bedeutung ist die Richtigkeit, d. h. der tiefere Sinn von Metaphern
und Analogien. Wir sollen von einer planetarischen zu einer sola-
rischen, von dieser zu einer kosmischen Deutung aller unserer
Erfahrung aufsteigen; dadurch soll diese ihre richtige Bedeutung
erhalten; so erst werden wir von ptolomäischen zu kopemikanischen
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— 105 —
Analogien, und daräber hinaus, uns erheben. Die Verfasserin ver-
sucht, Sätze über einen 0^;enstand in die Terminologie eines anderen
zu fibertragen, und will so die innere Verwandtschaft und auf-
steigende Ordnung aller Wahrheiten illustrieren. Der Mensch ist
Ausdruck der Welt Der primitive Geist wird beherrscht durch
das Schema des 'Sinnes' d. b. der unmittelbaren Empfindung; das
Schema der 'Bedeutung' hat sich mdir und mehr angebahnt, das
Schema des 'Hochsinns' müssen wir erstreben. Alles Lebende sucht
und fragt; das Warum? ist die eigentlich menschliche Frage. Der
Erzieher der Zukunft wird das Warum? des Kindes gleichsam zum
musikalischen Schlüssel der Erziehung machen. Das Kind muB
vor allem lernen und davon ausgehen, den 'Sinn' von Worten und
Dingen zu verstehen. Aber der Hochsinn, zu dem der erwachsene
Mensch sich erheben soll, ist der Generalschlüssel zur Wirklichkeit.
Der Mensch soll wissen, wie zu schaffen, wie zu denken, wie zu
leben. Er kann schaffen nur auf dem planetarischen Niveau; er
kann (und muß im höchsten Sinne) denken in der solarischen
Welt. Aber leben, in dem verklärten Sinne, der das Leben wesent-
lich lebenswert macht, kann er nur im Kosmos. Er tritt ein in dies
Leben, wenn er erreicht haf^ den 'Hochsinn' zu schauen (oder — zu
ahnen).
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91.
91.
91.
92.
97.
98.
Zitate.
BASTIAN in Zeitschrift für Völkcrpiychologic V, 174. (Berlin 1868) S. 20
TYLOR, Die Anfange der Kultur. Deutsche Ausg. 1,297. ^pdg 1873) « 21
PASCAL Peusees I, 2. 3 * 34
und Anmerkung i. SIGWART, Logik I« § 376 »35
V. PHILIPPOVICH, Grundrifi der poUtischen Ökonomie I, S. 178 . * 36
NASSE in Schönbergs Handbuch der politischen Ökonomie I, 319 "^ 37
A. WAGNER daselbst I, 431 »38
LOCKE, Conduct of the understanding\ Works in fol, Volume JIL
p. 398. (London 1751) »45
EÜCKEN, Geschichte der {OiikMophiscfaen Terminologie. S. 212.
(Leipzig 1879)
EUCKEN I. c. S. 162
PAULSEN, Geschichte des gelehrten Unterrichts II, 2. S. 664 . .
LOCKE, Essay on human unäerstanäing III, lO. 34. (Works /, 237^
EUCKEN I. c. S. 162
PAULSEN I. c. H, 666
KANT, W. W. IV, 466. (Hartenstein)
OSTWALD, Die Überwindung des wissenschaftlichen Materialismus.
S. 25. (Leipzig 1895)
BICHAT, Sur la vie et la tnorU I,art3
CLAUDE BERNARD, Legtms sur les pkenomenes de la vie p. 41.
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CARUS, PAUL, Primer of Philosophy p. 190. (Chicago 1893)
JAMES, Principles of psyckohgy /, 6. (London 1891) . . . .
JAMES ibid. ü, 486 und 562
WUNDT, Physiologische Psychologie II, 4. 560. 567
WUNDT, Grundriß der Psychologie S. 215. (Leipzig 1896) . .
WUNDT, System der Phüosophie. 2. Aufl. S. 379. (Leipzig 1897)
HUXLEY, Science and Culture p. 237 ff. (London 1888) ....
CHR. WOLF, PhüosopMa prima sive Ontologia prolegg § 7 (ao. 1745)
HEGEL, Logik: Werke HI, S. 3
Dritter internationaler Kongreß ftlr Psychologie S. 15. und S. 18.
(Müchen 1897)
WILKINS, JOHN, An essay towards a real char acter and a philo-
sophical language p. 385. p. 21. (London 1668)
DESCARTES, Z<//nfj /, p. 6iif. (Paris 1657)
LEIBNITZ, Hisioria et commendatio linguae charctcteristicae umver-
salis, guae simul sit ars inveniendi et judicandi: Oeuvres philcso-
phiques ed Paspe p. 535 ff. (Amsterdam und Leipzig 1765)
KANT, Kritik der reinen Vernunft. Ausg. Kehrbach S. 275. (I. Zweiter
Teil, zweite Abteilung, erstes Buch, erster Abschnitt) ....
LEIBNITZ, Nouveaux essais m, 9. ii. Oeuvres ed Raspe p. 299 .
Vgl. z. B. DOVE, Maas und Messen. 2. Aufl. (Berlin 1853) JACOBI
Uniie des poids et mesures, (Petersburg 1865) »85
6%
70
70
70
70
71
74
74
75
80
81
81
82
85
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Google
Verlag von THEOD. THOMAS in Leipzig.
Klassiker der NadirwisseDScAaflen,
I. Band: JnlinS Robert Mayer von Dr. S. Fried-
länder. Eleg. brosch. M. 3. — , eleg. gebd. M. 4. —
Wir wünschen dem jungen, hochbegabten Verfasser zu diesem prächtigen
Buch yon Herzen alles Glück und sehen mit gespannter Erwartung seinen-
ferneren YerOffentlichungen entgegen . . .
Johanneg Sohlaf in der Wiener „Zeit''.
n. Band: Charles Darwin von s. lubUnskL
Eleg. brosch. M. 2.40, eleg. gebd. M. 3.40
Wem es also um die Bekanntschaft mit einem geistreichen Buche zu
tun ist und mit seinem Verfasser, dem können wir nur dringend anraten,
diese Lublinskische Darwinschrift zur Hand zu nehmen und sich in ihren
Inhalt zu versenken. Berliner Tageblatt.
ni. Band: Karl Ernst von Baer von Dr. Wilhelm
Haaeke. Eleg. brosch. M. 3.—, eleg. gebd, M. 4. —
.... .Mit grossem Geschick hat Verfasser es verstanden, uns das
Leben und die Werke Karl Ernst von Baers so vor Augen zu führen, dass
auch der gebildete Laie dafür Interesse gewinnen muss. . . .
New Yorker Staatszeitnng:.
IV. Band: VarcniuS von Professor Dr. S. Ofinther.
Eleg. brosch. M. 3.50, eleg. gebd. M. 4.50
Wem, der von irgend einer Seite der geographischen Wissenschaft
genaht ist, wäre nicht der Name Varenius einer der geläufigsten ! Aber für
weitaus die meisten bleibt er doch leider eben nur ein Name. ... Es ist
daher mit grösster Freude zu begrüssen, dass einer unserer allerbesten Kenner
der Geschichte der Erdkunde in der neubegründeten Tbomas^schen Sammlung
ein leicht zugängliches Bild dieses Mannes aus seinen Werken uns ent-
worfen hat. Zeltochrift der OeMllschafl; für Erdkunde.
V. Band: Plato Und AristoteleS von L.Brieger- Wasser-
TOgel. Eleg, brosch. M. 8.50, eleg. gebd. M. 4.50
.... Trotzdem bleibt das mit einer Abbildung Piatos versehene Werk
sehr empfehlenswert und wird sicher seinen Weg bei allen denjenigen finden,
die sich nicht mit einseitiger Fachbildung zufrieden geben wollen.
Steassbnrger Post.
VI. Band: Hermann Helmholtz von Dr. J. Beiner.
Eleg. brosch. M. 3.50, eleg. gebd. M. 4.50
.... In recht geschickter Weise hat Verfasser im Anschluss an die
Biographie ein Bild der physikalischen Weltanschauung seines Heros ge-
zeichnet, und dann in zwei umfangreichen Abschnitten den wesentlichsten
Inhalt der Lehre von den Tonemp&idungen und der physiologischen Optik
gemeinverständlich skizziert. ^*atIlrwlssenBGllafalche WoohenMArift.
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Verlag von THEOD. THOMAS in Leipzig.
Gegensiitiie Hilfe in dir Entwiciieiuiig
von
Fürst Peter Kropotkin.
Ein stattlicher Band in bester Ausstattung.
Brosch. M. 8. — , in Halbfranz gebd. M. 10. — •
Ans den Urteilen;
.... Es (das Buch) dürfte eines der schönsten und lehrreichsten
der Gegenwart sein und sollte, wie die Selbstbiograpliie des Verfassers,
rasch in alle Sprachen übersetzt werden. Denn es luit noch grösseren Wert
als seine Selbstbiographie, so trefflich diese auch ist . . .
Oeorir Brandes in „Gestalten und Gedanken**.
Gustav Landauer, der kürzlich den „Meister Eckehart" herausgab, hat
dies herrliche Buch des Fürsten KropotJan übersetzt. Ich meine, seine
Lektüre ist eine Wohltat« . . . Wer einen guten und erfrischenden Labe-
trunk tun will von der Quelle der Wahrheit, wer zurück will zu dem Glauben
an die guten und edlen Eigenschaften der menschlichen Seele, dem sei die
Lektüre dieses hervorragenden Buches ans Herz gelegt. Wissenschaft
korrigiert hier Wissenschaft, und es ist das Werk eines Menschenfreundes.
Und es ist für jeden geschrieben.
Johannes Schlaf in einer aasf ährlichen Besprechung in „Die Zeit** (Wien).
Es (das Buch) ist nicht nur den Tatsachen nach von höchstem
Interesse, ist nicnt nur von einer wahrhaft prachtvollen Grösse des Wurfs
und der Ausführung, sondern es bietet ausser den wahrheitssuchenden Ge-
lehrten und dem geniessenden Ästhetiker auch dem an seiner Zeit leidenden
Menschen eine köstliche Gabe
I>r. Frans Oppenheimer in einem grösseren Aufsatz in „Freistatt''.
Ginge die Wertschätzung russischer Autoren bei uns nicht nach Tages-
launen, sondern nach ihrem wissenschaftlichen, menschlichen und richtig
verstandenem Kulturwert, so würde Kropotkins Name nahe dem von Tolstoi
genannt werden und die Mehrzahl der russischen Tagesgrössen weit über-
lenden. Ich wünschte zu seiner Einführung und dauernden Schätzung
namentlich das Bekanntwerden dreier Werke von ihm in Deutschland:
seiner „Memoiren", seiner in Deutschland noch nicht erschienenen, pro-
grammatisch wertvollen Bede „L*Anarchiste et son ideal'* und seiner herr-
Uchen Schrift ^^Gegenseitige Hilfe in der Entwickelung^^ — das einzige
mir bisher bekannt gewordene Gedankengebäude, das dem Nietzsches gegen-
über auf festen, eigenen Füssen steht. Und als Schreiber von der Kunst-
wartrichtung möchte ich zugleich nicht verfehlen, den Dank des Bücher-
freundes für die geschmack- und wertvolle Ausführung des Übersetzungs-
bandes auszusprechen. Hermann Hftf her.
Unsere angesehensten Kritiker und unsere besten
Zeitschriften haben sich in diesem Sinne geäussert.
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(
Verlag von THEOD. THOMAS in Leipzig.
Dr. Eugen Dühring
Logik u. Wissenschaftstheorie.
Denkerisches Gesammtsystem
verstandessouveräner Geisteshaltung.
Zweite durchgearbeitete und Termehrte Auflage.
Eleg. brosch. M. 10. — , in Halbfranz gebd. M. 12.—
Der Ersatz der Religion
durch Vollkommeneres
und die
Abstreifung alles Asiatismus
von
Dr. Engen Dühring.
Dritte umgearbeitete Auflage.
Eleg. brosch. M. 4.50, gebd. M. 5.50
Prospekt mit genauer Inhaltsangabe gratis und franko.
Die Überschätzung Lessing's
und seiner Befassung mit Literatur.
Zugleich eine nene kritische Dramatheorie.
Zweite durchgearbeitete und vermehrte Auflage.
Eleg. brosch. M. 2.60, geb. M. 3.25.
Waffen, Capital, Arbeit.
Zweite YÖlUg umgearbeitete Auflage.
Eleg. brosch. M. 3«50, gebd. M. 4.35.
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Vsriag von THEOO. THOMAS in Leipzig.
Darwin und der Staat
Preisgekrööte Arbeit von
Dr. F. Lütgenan
Eleg. brosch. M. 3.20, gebd. M. 4.—
.... Ohne ganz mit dem Yerfasser in dieser allgemeinen Sehluss-
folgerung sowohl als in den einzelnen Ausführungen übereinzustimmen,
müssen wir doch bekennen, dass wir selten eine so vorzügiiche, sachliche
und kritische Barstellung und Würdigung des Darwinismus und dar bezügl.
Verhältnisse des Menschen gelesen haben. Namentlich die Kapitel über
Deszendenztheorie und Rechtspflege, Deszendenztheorie und Ehe, Deszen-
denztheorie und Pädagogik verdienen weiteste Beachtung und enthalten
viele Salze, die man genidezu «goldene Worte'' meunen konnte.
Die ümsehan.
Vom Strome des Seins
Blicke auf unser künftiges WelflaM
von
Dr. WUhelm Haacke.
Eleg. brosdi. Mk. 1.50.
.... Im Verlag von Theod. Thomas in Leipzig erschien vor kurzem
eine kleine Schrift aus der Feder des bekannten Zoologen und Schrift-
fitelleis Dr. Wilhelm Haacke, die sieh „Vom Strome des Sein»" betitelt.
In dieser kleinen Schrift legt der Autor neue Ideen einer Weltanschauung
nieder .... Das 1. Kapitel der Schrift handelt vom , Wirklichen* ....
Wirkliches ist nach ihm das Weiss des Papieres, jede Farbe,. Ton, Schall,
Duft, GeschmAck, jede Wärme und jeda Kälte,, jede Weichheit, Härte,
Rauheit und Kälte. Diese Wirklichkeitsetemente nennt er Naturate ....
Am Schlüsse seiner Ausführungen, die, mag man sich zu des Autors An-
sichten itelltB, wie man will, eün ausseren^ntlieh tjefea I>BBfcTermdgen
desselben bekunden, kommt der Verfasser zu dem Ergebnis: ,Der Welt
der Naturate, der Welt, mit der es NaturwiBseEBSchaften, Psychologie und
Philosophie zu tun haben, der Welt, die der Wissenschaft zugänglich ist,
entstammen die Naturate, entstammt die uns gegebene Wirklichkeit nicht.
Diese Welt ist in Raum und Zeit gebannt. Aber es ^bt noch eine andere
Wirklichkeit, uns unzugänglich zwar, darum aber nicht minder wirklich,
die räum- und zeitlose Welt des Ewigen, die Urheimat des Geistes". Man
sieht, dev Autor tAoiht auf einem dualistisehen Stand|>ankt, dieses geht aus
dem folgen^m Satzei hervor: „.Durch die Erkenntnss^ (iass die vn» ge-
gebene Wirklichkeit Fluss ist, wird ai^h der für unser Gemütsleben so
notwendige Glaube an den ewigen, die in Raum und Zeit gebannte Natur
ununterbrochen schaffenden Geist wieder ermöglicht ''. Die kleine inhalts-
reiche Broschüre sollte von jedem denkenden Menschen gelesen werden.
Berliner Tageblatt.
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Verlag von THEOD. THOMAS in Leipzig.
Des
Volkes Kraft und Schönheit.
Ein Hausbuch
von
Dr. med. J. Schneider.
Mit 111 Abbildungen.
Eleg. brosch. M. 10,—, eleg. geb. M. 11.50.
.... Ich kenne kein Buob» welches als Unterlage f%lr populär-medi-
zinische Vorträge besser geeignet wäre .... Deutoohe städtezeitnnff.
Dieses prachtvoll ausgestattete Buch verdient weiteste Verbreitong ....
BUz' Oesondlielterat.
Das Werk ist von unseren besten Zeitschriften aus-
gezeichnet besprochen worden, ein Prospekt mit Inhalts-
angabe steht Interessenten gratis und franko zur Verfugung.
Das Evangelium der Natur.
Ein Buch für jedes Haus
von
Heribert Ran.
8. Auflage. Mit ca. 90 Abbildungen und dem Bild des Verfassers.
Eleg. brosch. M. 6. — j eleg. gebd. M. 7.50.
Der Mensch als Tierrasse
und seine Triebe.
Beiträge zu Darwin und Nietzsche
von
Dr. W. Rlieinliard.
Bieg, brosch. M. 8. — , eleg. geb. M. 4. — .
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Verlag von THEOD. THOMAS in Leipzig.
Professor Dr. Ludwig Büchner.
Kraft und Stoff oder Grnndzüge der natär-
liehen Weltordnimg. ^'ife^ÄeÄS^ÄJS:
Auflage. Brosch. Mk. 5.—, gebd. Mk. 6.—. Wohlfeile Ausgabe
Mk. 2.50, gebd. Mk. 8.—.
"KTni^iY» TiTi/1 r3-£hiai ^^®' Gespräche zweier Freunde über den Materia-
Hai;Ul UllU \Jt51»l ligmus und über die realphilosophischen Fragen
der Gegenwart. — 3. Auflage. Preis Mk. 4.50, gebd. Mk. 5.50.
Physiologische BUder. l SttJ^ ^ "" ' "' """^
Ans Natar nnd Wissenschaft K^gS?t'''aÄ.iü;
verständlicher Barstellung. 2 Bände. Preis ä Mk. 6.—, gebd. ä Mk. 7.—
Ans dem Geistesleben der Tiere Äntf mein^^.
4. Auflage. Preis Mk. 4.—, gebd. Mk. 5.—.
Liebe und Liebesleben in der Tierwelt. ^Säe^
Preis Mk. 4.—, gebd. Mk. 5.—.
T ^/»1^4 Tivi/I T a'Kavi ^^^^ allgemein verständliche natnrwissen-
lüCni UnU Ueoen. gchaftUche Beiträge zur Theorie der natür-
lichen Weltordnung. Zweite Auflage. Preis Mk. 4. — , gebd. Mk. 5. —
Die Darwinsche Theorie r.ditgt?Ä^eirlJS:
läge. Brosch. Mk. 5. — , gebd. Mk. 6.—.
Der Mensch nnd seine Stellung in Natnr nnd
Gesellschaft. ä£**?il^''*'- ^^'^^- ^- ^■-' *^'"*"^*''
Gott nnd die Wissenschaft. SS'tsa ""*' ^'"'""'"*
Über religiöse nnd wissenschaftliche Welt-
anschannng. Broscii. Mk. 1.50.
Zwei gekrönte Freidenker. ,^trsÄÄ''^e«§:|eT
wart. Brosch. Mk. 1.50.
Meine Begegnung mit Ferdinand Lassalle.
Ein Beitrag zur Geschichte der sozialdemokratischen Bewegung in.
Deutschland. Nebst 5 Briefen Lassalles. Brosch. 75 Pfg.
Dmok von Hartmann & Wolf in Leipzig.
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